Weil die Kinder anders lernen sollenLehrerin und Eltern gründen ihre eigene Schule

Lesezeit 4 Minuten
Sophie Herrndorf

Sophie Herrndorf

Köln – Lehrermangel, zu kleine Räume, Technik aus dem letzten Jahrhundert und Noten-Druck. Über das Schulsystem ärgern sich viele: Eltern, Kinder und natürlich auch Lehrer und Lehrerinnen. Aber einfach eine eigene Schule gründen und alles anders machen? Das wagen die wenigsten.

Vor allem nicht, wenn sie bei Null anfangen müssen, wie Sophie Herrndorf. Und „bei Null“ ist in ihrem Fall wörtlich zu nehmen. Denn außer einer Menge Enthusiasmus und dem pädagogischen Konzept hatte die Grundschullehrerin am Anfang nichts: kein Geld, keine Räume, keine Genehmigung, keine Mitstreiter.

Für Schulen ist das Modell ungewöhnlich

Dabei soll es nach den Sommerferien 2022 schon losgehen: Eine Grundschule mit offenen Lernangeboten, jahrgangsübergreifenden Klassen und ohne Noten. „Ich möchte Schule verändern“, sagt die 35-Jährige, die sich schon in ihrem Studium für Reformpädagogik begeistert hat. Über Facebook hat sie sich Ende September auf die Suche nach interessierten Eltern gemacht. Denn mit denen steht und fällt das Projekt: Sie bilden gemeinsam den Trägerverein der Schule, müssen die Lehrer einstellen, sind verantwortlich für Finanzen und Renovierungsarbeiten. Das Modell gibt es bei vielen Elterninitiativen im Kita-Bereich – für Schulen ist es eher ungewöhnlich.

„Das solltest Du mitbringen“ heißt es in dem Facebook-Aufruf von Sophie Herrndorf: „Ein Kind, derzeit vier Jahre alt. Lust und Zeit zur Mitgestaltung.“ Beides hat Sarah Eylers. Und nicht nur deswegen hat sie sich sofort von dem Aufruf angesprochen gefühlt. „Ich wünsche mir einfach für meine Kinder, dass man sie bei ihrer Lebenswelt abholt und nicht nach Schema F unterrichtet.“

Als Erzieherin und Ergotherapeutin hat sie selber schon in der Hausaufgabenbetreuung gearbeitet. „Es gibt auch viele tolle und moderne Lehrer, aber die Rahmenbedingungen sind super schwierig. Bei Klassen mit bis zu 30 Kindern und einem sehr engen Lehrplan – wie soll es da möglich sein, individuell auf alle Kinder einzugehen?“

Zwei Parallelklassen

Eine eigene Schule zu gründen – das macht man nicht mal nebenbei, gibt sie zu. Aber die Arbeit schreckt die Mutter nicht ab, genauso wenig wie die Verantwortung, die die Eltern künftig tragen werden. Sie ist jetzt im Vorstand des neuen Trägervereins und sitzt für die Schul-Gründung ständig in Zoom-Treffen. Eine Satzung muss verabschiedet werden, die Suche nach Räumen irgendwo in und um Nippes ist sehr schwierig. Und Grundschullehrer und -lehrerinnen zu finden, wird auch nicht viel leichter werden.

Das könnte Sie auch interessieren:

Trotzdem: „Für mich ist es leichter, Verantwortung zu übernehmen als völlig außen vor zu sein. Da erfahre ich dann vielleicht irgendwann mal beim Elternabend: Bei Ihrem Sohn läuft alles schief, oder dass er im letzen halben Jahr nie seine Hausaufgaben gemacht hat.“

Zwei Parallelklassen soll die neue Schule haben, die Kinder sollen von der ersten bis zur vierten Klasse gemeinsam lernen. „Ich würde die Schule noch kleiner machen, wenn das finanziell machbar wäre“, sagt Sophie Herrndorf. Seit acht Jahren unterrichtet sie an der Grundschule Steinbergerstraße in Nippes – mit rund 400 Schülern eine der größeren Grundschulen Kölns. Zu groß, findet die Lehrerin. Möglichst offen, basisdemokratisch und vielfältig soll ihre Schule sein. Aber ist das überhaupt möglich, wenn die Eltern mehr als 150 Euro Schulgeld im Monat bezahlen müssen? Damit rechnet Sophie Herrndorf, denn das Land übernimmt nur 87 Prozent der Kosten.

Kein Kind ausgeschlossen

Und gerade am Anfang muss das Gründungsteam von den Stühlen bis zur Tafel alles selber beschaffen. „Ich weiß, dass in vielen Schulen auch Möbel für den Sperrmüll aussortiert werden, die eigentlich noch funktionstüchtig sind. Also wir werden uns auch mal nach gebrauchten Möbeln erkundigen.“ Trotzdem soll kein Kind wegen des Geldes ausgeschlossen werden, sagt sie. Wie das genau funktionieren soll – Stipendiensystem, gestaffelter Elternbeitrag – das ist noch eine der sehr, sehr vielen Sachen, die die Eltern jetzt zusammen entscheiden müssen.

All die Sicherheiten, die ihr Job als Beamtin mit sich bringt, wird Sophie Herrndorf als künftige Schulleiterin einer Ersatzschule aufgeben. „Heute noch sagte eine Kollegin zu mir: Hut ab, dass du dich das traust, dass du diesen Mut hast“, erzählt sie. „ Ich muss ja eher sagen, dass es mich mehr Mut und Kraft kosten würde, im System zu bleiben.“

Nachtmodus
KStA abonnieren