Die DLRG geht davon aus, dass die Hälfte der Erwachsenen unsicher im Wasser ist – Cyndie war eine von ihnen. Wie sie ihre Angst überwandt und wo sie Hilfe fand.
„Vielen ist es unangenehm“Wie zwei Kölner erwachsene Nichtschwimmer fit machen wollen

Yannick Hilgers (links) und Fabian Thorwesten mit Schwimmschülerin Cyndie, die seit Anfang des Jahres bei den „Otterbuddies“ schwimmen lernt.
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Wer Cyndies Geschichte nicht kennt, sieht nur eine Frau, die im Schwimmbad ruhig ihre Bahnen zieht. Schwarzer Badeanzug, schwarze Kappe, Arme, Beine, atmen, kurze Pause, wenden, weiter. Dass Cyndie, 38 Jahre alt, drei Kinder, bis Ende 2024 panische Angst vor Wasser hatte, Pools nicht mal anschauen konnte und an Bahnenziehen nicht im Traum zu denken war, sieht man nicht.
Ein Viertel der Grundschulkinder schwimmt unsicher
Dass der Anteil von Kindern, die nicht schwimmen können, in den letzten Jahren stetig gestiegen ist, ist bekannt. Unter Grundschülern hatte er sich im Zuge der Corona-Pandemie verdoppelt. Laut einer Forsa-Umfrage von 2022 waren damals rund 20 Prozent der Grundschulkinder Nichtschwimmer. Kölner Schulleitungen an Grundschulen in sozial benachteiligten Stadtteilen berichten von einem Anteil von 50 Prozent, die nach dem vierten Schuljahr nicht schwimmen können. Hinzu kommt nach Angaben der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) durchschnittlich ein weiteres Viertel Grundschulkinder, die als unsichere Schwimmer einzustufen sind.

Ganz wichtig: gleiten lernen, in diesem Fall mit einem Brett.
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Bei Erwachsenen ist die Lage komplizierter. Valide Zahlen, wie viele erwachsene Menschen in Deutschland nicht sicher schwimmen können, gibt es nicht. Die Forsa-Befragung gibt aber Hinweise auf die Größenordnung des Problems: Fünf Prozent der Befragten ab 14 Jahren sagten, dass sie gar nicht schwimmen können. Die DLRG geht allerdings davon aus, dass die Hälfte der Erwachsenen eher unsicher im Wasser ist. Mit ihnen arbeiten Yannick Hilgers und Fabian Thorwesten, die beiden haben die Schwimmschule „Otterbuddies“ gegründet, die sich auf Erwachsene konzentriert.
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„Vielen ist es unangenehm, dass sie etwas so Grundlegendes nicht beherrschen“, sagt Hilgers auf die Frage, warum man nicht genau beziffern kann, wie viele erwachsene Nichtschwimmer es gibt. Das ist die eine Antwort. Die andere: „Manche überschätzen sich auch hart, halten sich für sichere Schwimmer, sind es aber in Wahrheit nicht.“ Für die Profis der DLRG gilt man ab dem Schwimmabzeichen Bronze als sicherer Schwimmer. „Seepferdchen reicht nicht“, sagt Alexander Lustig, stellvertretender DLRG-Bezirksleiter in Köln.
In der Jugend wassertraumatisiert
Bei Cyndie hat ein Ereignis in ihrer frühen Jugend Angst vor dem Wasser ausgelöst. Sie wächst in der Dominikanischen Republik auf, geht mit 14 mit ihrer Schwester an den Strand. Eine Gruppe Jungs findet es lustig, Cyndie vom Strand weg ins offene Meer zu ziehen. Sie kann zu dem Zeitpunkt noch nicht schwimmen. Sie schluckt Wasser, viel Wasser, paddelt, schreit, und wird von Menschen am Strand, die das sehen, herausgezogen. Bootsausflüge, Schwimmbadbesuche mit den Kindern, Strandtage, für Cyndie ist all das der blanke Horror. Ende vergangenen Jahres reicht es der Stammheimerin dann. Zwei ihrer drei Kinder können schwimmen, während ihr selbst der kalte Schweiß ausbricht, wenn sie einen Pool auch nur anschaut. Cyndie spricht mit Freundinnen, googelt, und sie landet bei den „Otterbuddies“.
Thorwesten war früher Leistungsschwimmer, mehrfacher Weltmeister im Rettungsschwimmen und bringt seit sieben Jahren Menschen Schwimmen bei. Auch Hilgers unterrichtet schon lange, war unter anderem an Kölner Grundschulen für das Projekt „Sicher Schwimmen“ im Einsatz. Mit ihrer Schwimmschule richten sie sich vor allem an erwachsene Menschen – die Nachfrage nach den Trainings, die immer eins zu eins stattfinden, sei hoch, sagen die beiden. Beckenzeiten in Hallenbädern, so erzählen sie, hätten sie nicht bekommen, also fragten sie in Hotels, Wellness-Centern oder Fitnessstudios, ob sie dort stundenweise eine Bahn mieten können. Im Holmes Place am Gürzenich wurden die beiden jungen Männer fündig. Sechsmal die Woche unterrichten sie auf einer separaten Bahn, während nebenan Fitnessstudio-Gäste schwimmen können. Auch Triathleten und andere Wettkampfschwimmer können sich von den beiden coachen lassen.
34 Menschen in sieben Monaten gestorben
Nimmt man die Zahlen von Badeunfällen als Grundlage, ist klar: Die Notwendigkeit für mehr Schwimmkurse ist da. In Nordrhein-Westfalen sind allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 34 Personen in Gewässern ums Leben gekommen, wie die DLRG jetzt mitteilte. Im Vorjahr waren bis zum 31. Juli 42 Badetote gezählt worden, ein Grund für den Rückgang sei der regenreiche Juli, erklärte die DLRG. 14 Menschen starben bis Ende Juli in Flüssen – seither ist mindestens ein Rhein-Badender tot aufgefunden worden, weitere werden vermisst. Auch in Seen, Bächen, Kanälen, Teichen und Schwimmbädern ertranken Menschen.
Das „stille Ertrinken“ sei der häufigste Bade-Notfall, sagt Marco Strohm, Leitender Notarzt der Feuerwehr Köln. „Plötzlich tritt eine Erschöpfung ein, der Kreislauf versagt und man geht lautlos unter.“ „Ressourcenschonend schwimmen zu lernen, zu erfahren, dass man sich auch in tiefem Wasser ausruhen kann, indem man sich auf den Rücken legt, ruhig zu atmen“, all das ist daher essenzieller Teil der Stunden, die Hilgers und Thorwesten geben.
Ansetzen müssen die beiden ehemaligen Studenten der Deutschen Sporthochschule jedoch oftmals weit früher. Manche Menschen, die zu ihnen kommen, können – wie Cyndie – keinen Pool anschauen, können ihr Gesicht nicht in den Strahl der Dusche halten, trauen sich nur mit Mühe die Treppe zum Becken herunter, sind eingeschüchtert von den Geräuschen oder dem Druck, den das Wasser ausübt.
Wassergewöhnung, erst dann alles andere
Bei ihnen geht das Training mit Wassergewöhnung los. Und dann geht es Schrittchen für Schrittchen: Bewegungsabläufe der Arme und Beine erst theoretisch begreifen und verstehen, dann nachmachen. Wie groß oder klein muss die Bewegung sein? Müssen Arme und Beine gleichzeitig gestreckt werden? Wie wirkt der Wasserwiderstand, wie verhält sich der Körper im Wasser beim Gleiten, wie beim Schwimmen? „Erwachsenen Schwimmschülern kann man die Dinge ganz logisch erklären, bei Kindern muss man bildhafter arbeiten“, sagt Yannick Hilgers. Die beiden versuchen, immer da anzusetzen, wo der Schüler oder die Schülerin steht.
Das Tempo, in dem die erwachsenen Nichtschwimmer lernen, ist individuell, und dementsprechend ist auch das Training so: „Wir hatten schon Teilnehmer, die in zwei Stunden den Bewegungsablauf gut hinbekommen haben, da war dann aber auch eine Wasseraffinität vorhanden. Und wir hatten auch schon Menschen hier, die mehr als zehn Stunden brauchten“, sagt Hilgers.
Cyndie hat ihr erstes Ziel schon erreicht: „Ich schwimme, ich bin nicht mehr hektisch, ich weiß, ich kann mich einfach auf den Rücken legen und dann kann nichts passieren.“ Sie möchte dennoch bei Hilgers und Thorweisten weitermachen, denn: „Ich will ganz ruhig im Wasser bleiben können, auch wenn ich nicht schwimme, sondern nur kleine Bewegungen mit den Füßen mache.“
Ihre Kinder sind schon jetzt stolz auf sie.
DLRG
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e. V. (DLRG) ist ein gemeinnütziger Verein, der 1913 gegründet wurde. Rettungsschwimmer der DLRG bewachen jedes Jahr die Küsten von Nord- und Ostsee, Badeeinrichtungen in den Binnengewässern und Flüssen, Schwimmbäder und Veranstaltungen am, auf und im Wasser. Hauptziel ist es, Menschen vor dem Ertrinkungstod zu bewahren, indem man ihnen möglichst frühzeitig das Schwimmen beibringt und über das sichere Verhalten im und am Wasser aufklärt.
Die meisten Kinder starten nach der Wassergewöhnung mit dem Frühschwimmerabzeichen „Seepferdchen“, das noch kein Nachweis für sicheres Schwimmen ist. Wer also nur das Seepferdchen erworben hat, muss weiterhin beim Schwimmen beaufsichtigt werden. Danach können Kinder, Jugendliche und Erwachsene die deutschen Schwimmabzeichen in Bronze, Silber und Gold erwerben. Bei den Schwimmabzeichen lernen sie verschiedene Schwimmarten, auch längere Strecken im Wasser zurückzulegen und sich sicher im Wasser zu bewegen. Außerdem erwerben sie Kenntnisse zum Verhalten bei Notfällen im und am Wasser. Erst diese Schwimmabzeichen sind der Nachweis dafür, dass man sicher schwimmen kann.