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25 Jahre Pop in Köln„Dann geh doch nach Berlin“

5 min
09.09.2023, Köln: Kölner Band AnnenMayKantereit spielt bei Open Air Konzert im Rheinenergiestadion

Henning May von der Kölner Band AnnenMayKantereit beim Auftritt im Rheinenergie-Stadion.

Ende der 1990er galt Köln als Musik-Metropole der Republik, kurz darauf lag die Branche in Trümmern – die Stadt musste sich neu erfinden.

„Geh doch nach Berlin, wohin deine Freunde ziehen“, rief Robert Drakogiannakis anno 2003 einem unbekannten Trendopfer nach. Und schlug dazu, auf der gleichnamigen Single seiner Band Angelika Express, eine eckige Postpunk-Gitarre an, im Rhythmus seiner Empörung. Es war der Hit zur Krise, nicht nur des Musikstandorts Köln, sondern auch des Musikgeschäfts im Allgemeinen.

Wenige Jahre zuvor hatte sich Köln, strotzend vor Selbstbewusstsein, noch als Pop-Metropole der Nation inszeniert. Nicht zu Unrecht: Viva – kurz für „Videoverwertungsanstalt“ – versendete aus dem Mediapark das anarchisch-bunte Lebensgefühl der 1990er in den Rest der Republik, auch die deutsche Dependance des glanzvollen Plattenlabels EMI residierte hier, ebenso wie 1Live, die damals neu konzipierte Jugendwelle des WDR.

Pop war in den 1990ern noch eine Fortschrittserzählung

Jeden August feierte sich auf der PopKomm, einem der weltweit größten Branchentreffs, die Musikindustrie mit dekadent designten Ausstellungsflächen und noch ungezügelteren Partys – während die Massen eher diffus popbeseelt über das kostenlose Ringfest stolperten. In Köln erschienen auch zwei der wichtigsten und geschmacksprägendsten Musikmagazine, die schon altehrwürdige „Spex“ und die kostenlose Konkurrenz „Intro“. „Pop“, das war damals noch eine Fortschrittserzählung und vor allem in der Elektronik – Techno war ja vielleicht die letzte wirklich neue Musik – gab die Kölner Szene den Takt an, zusammengefasst unter dem schlauen Werbeslogan „Sound of Cologne“.

Spätestens Mitte der Nuller Jahre platzte dann die Blase: PopKomm, Viva, EMI, „Spex“ zogen, wie Angelika Express unkte, in die Hauptstadt – um dort sämtlich den Gnadentod zu sterben. Es war nicht allein der vom Pop-Papst Diedrich Diederichsen konstatierte „Berlinzwang“, dem bereits große Teile der Kölner Galerieszene zum Opfer gefallen waren. Die fetten Jahre der Branche waren ein für alle Mal vorbei. Nach der Musiktauschbörse Napster funktionierte ihr Geschäftsmodell einfach nicht mehr. Die Popmusik musste große Teile ihrer identitätsstiftenden Funktion an andere Medien abgeben. Es war das Ende der Welt, wie wir sie kannten. „A toast to the fairest city“ – einen Toast auf die schönste Stadt, hatte Michael Stipe mit erhobenem Glas ausgesprochen, ohne jede Ironie, als seine Band R.E.M. im Mai 2001 ein spektakuläres Gratis-Konzert vor dem Dom gab. Wenige Jahre später lag die Pop-Metropole in Trümmern.

Die vier Mitglieder der Kölner Band Von Spar stehen nebeneinander

Die Kölner Band Von Spar

Als er 2012 von Paris nach Köln zog, erzählte der kanadische Pianist und Entertainer Chilly Gonzales dieser Zeitung, waren seine Freunde schockiert. Doch die Tabula Rasa war, künstlerisch gesprochen, eine interessante Ausgangslage. Kölns Vorzeige-Elektroniklabel Kompakt, im Ausland quasi-religiös verehrt, begegnete der Krise mit Qualität: Viele seiner besten Veröffentlichungen fallen ins neue Jahrtausend, von Justus Köhnckes „2 After 909“ und „Pop“, dem Meisterwerk von Wolfgang Voigts Ambient-Alter-Ego Gas, über Michael Mayers „Immer“ und Superpitchers „Here Comes Love“ bis zu Mathias Aguayos „Ay Ay Ay“ oder „Here We Go Sublime“ von The Field.

Das von der PopKomm verlassene Feld bestellte ab 2004 das c/o pop-Festival, fantasievoller, aber auch prekärer, in beständiger Zwischenmiete in vernachlässigten, aber vielversprechenden Orten der Stadt. Inzwischen besteht die kleine c/o pop länger als die PopKomm, was auch der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass sie sich permanent verändern musste.

Aus Trends wurden Mikrotrends

Damit spiegelte das Festival zugleich das Ende der linearen Erzählung des Pop wider. Aus Trends wurden Mikrotrends, aus großen Umwälzungen um einen fixen Punkt kreisende Umdrehungen, eventuell war Pop nur noch die ewige Wiederkunft des Immergleichen?

Die Kölner Band Von Spar etwa hatte mit ihrem ersten Album „Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative“ von 2004 noch mit zickigem Elektropunk gegen die Nostalgiewelle aufbegehrt, erkundet aber seitdem mit großer Akribie und faszinierenden Ergebnissen die (Kölner) Musikgeschichte, angefangen beim Krautrock von Can. Dass sie inzwischen zu den Preisträgern des vor einigen Jahren von der Stadt ausgelobten und nach dem Can-Bassisten benannten Holger-Czukay-Preis für Popmusik gehören, verwundert jedenfalls nicht.

Ray Lozano stützt ihren Kopf auf ihre Faust.

Die Kölner Soul-/R&B-Sängerin Ray Lozano

Tatsächlich beschreibt die Diagnose der Retromanie die Lage im Streamingzeitalter nur unzureichend. Weil alles, was es jemals an Genres und Subgenres der populären Musik existierte, gleichzeitig verfügbar ist, erscheinen die Innovationen nur noch als kleine Kräuselungen im großen Teich.

Dabei gibt es sogar die eine, unumstrittene Erfolgsgeschichte, nämlich die von Christopher Annens, Henning Mays und Severin Kantereits Schülerband aus dem Sülzer Schiller-Gymnasium. Es ist kein Zufall, dass inmitten der unübersichtlichen Verästelungen des Pop der dicke Stamm der Authentizität – „barfuß am Klavier“, wie Henning May singt – die Stadien füllt.

AnnenMayKantereit fanden die treffenden Worte für die Probleme und Sehnsüchte ihrer Generation, während sich der Sound of Cologne zersplitterte: In den schlauen Indie-Pop von Klee, Locas in Love und OK Kid, in die international konkurrenzfähigen Elektro-Songs von Coma und Roosevelt, die unterschiedlichen Rap-Entwürfe von Eko Fresh, Retrogott und Hulk Hodn oder Veedel Kaztro, und den wortgewaltig betexteten Liedern von Fortuna Ehrenfeld und den Erdmöbeln, in den weltmusikalischen Erkundungen von Keshavara und Bukahara.

Irgendwie gibt es fast alles im Angebot der Stadt, ob den undogmatischen Punk von KMPFSPRT und Pogendroblem oder die feinnervigen R'n'B-Miniaturen von Ray Lozano. Und nicht zuletzt die allseits beliebte Post-Höhner-Fraktion des kölschen Liedguts, wie Kasalla, Cat Ballou und die Barbarossaplatz-Liebhaber Querbeat. Der Klang von Köln ist heute so zusammengepuzzelt wie die Stadt selbst.