Ausstellung in LeverkusenDafür möchte man Sigmar Polke heute noch an die Gurgel gehen

Lesezeit 4 Minuten
Vier Männer sitzen nebeneinander, einer gähnt.

Eindrücke aus einer pakistanischen Opiumhöhle: Sigmar Polke fotografiert einen herzhaft gähnenden Einheimischen.

Das Museum Morsbroich zeigt selten gesehene Werke von Sigmar Polke. Im Zentrum steht ein Film, der allerfeinste Publikumsverarsche ist. 

Seit der monumentalen, vor acht Jahren um die Welt gereisten Sigmar-Polke-Retrospektive könnte man auf den verwegenen Gedanken kommen, man habe vom Kölner Großmeister des heiligen Unernsts alles oder wenigstens das Wesentliche gesehen. Dabei hatten sich die „Alibi“-Kuratoren weitgehend auf die Malerei beschränkt und sich nur sehr zaghaft an die lang verschlossenen Schränke gewagt, in denen Polkes ungezählte Privatfilme und Fotografien lagerten. Anscheinend hat der 2010 verstorbene Künstler nicht nur die Pop-Art ins Deutsche übersetzt (also verwurstet), sondern auch unsere Manie, das eigene Leben aufzuzeichnen, vorweggenommen.

2018 brachte das Museum Morsbroich einen kleinen Teil von Polkes Fotoproduktion ans Licht – sie stammte aus einer verloren geglaubten Bilderkiste, die Polke seinem Sohn Georg überlassen hatte. Ganz so spektakulär ist die aktuelle Polke-Schau in Leverkusen nicht. Aber das zentrale Werk der Ausstellung, ein 33-minütiger Film, den Polke 1969 gemeinsam mit Christof Kohlhöfer drehte, dürfte seit seiner Uraufführung im selben Jahr kaum jemand zu Gesicht bekommen haben. Dabei ist diese „Der Körper wird ganz leicht und möchte fliegen“ betitelte 16mm-Fingerübung allerfeinste Publikumsverarsche – selbst heute möchte man Polke dafür noch an die Gurgel gehen.

Im Museum Morsbroich ist die Wiederaufführung eines alten Polke-Films zu sehen

Das Gemeinschaftsprodukt reichte Polke als Beitrag zur heute legendären Ausstellung „Konzeption/Conception“ im Museum Morsbroich ein – mit ihr stellte Konrad Fischer die neue Konzeptkunst-Bewegung erstmals in Europa vor. Für deren intellektuelle Grübeleien hatte Polke nicht einmal Spott übrig. Er tritt als Parodie eines Künstlers vor Kohlhöfers Kamera, der mal als Leonardo da Vincis Idealmensch posiert (allerdings in der schamanenhaften Hippie-Version), sich unter ein okkultes Pendel legt, etwas Semi-erotisches mit seinem Mund vollführt, ein Fußbad mit Gurken nimmt - und eine gefühlte Ewigkeit mit einer schwingenden Latte zwischen seinen Beinen winkt. Man muss schon auf die sporadischen Avantgardefilm-Anleihen hereinfallen, um Polkes Botschaft zu übersehen: In der Kunstwelt geht es auch nur um die Frage, wer den längsten hat.

Man möchte diese Wiederaufführung nicht missen, aber auch möglichst schnell wieder vergessen – dabei hilft das von Fritz Emslander arrangierte Rahmenprogramm. Aus der Sammlung Prigge sind zwei schöne Papierarbeiten zu sehen, für die Polke jeweils Bilder aus Büchern und Zeitungen mithilfe eines handelsüblichen Fotokopierers verfremdete – einfach, indem er sie während des Kopierens über die Glasplatte zog. Ebenfalls aus der Sammlung Prigge stammen frühe Zeichnungen und Fotografien, die Polke in den 1970er Jahren auf Reisen durch Afghanistan und Pakistan aufnahm. Als spät berufener Hippie suchte Polke in der Fremde nach Rauscherfahrungen und Inspiration. Aber er blieb eben auch der westdeutsche Teufel, der in einer pakistanischen Opiumhöhle heimlich einen herzhaft gähnenden Einheimischen fotografiert.

Sigmar Polke hat sich als Palme verkleidet.

Aus der Serie „Höhere Wesen befehlen“ von Sigmar Polke

Später bearbeitete Polke seine Aufnahmen in der Dunkelkammer, um sie im Geiste der längst als Humbug entlarvten Geisterfotografie magisch aufzuladen. Dieses Interesse an chemischen Prozessen führte dann zu Polkes alchemistischer Malerei. 1986 feierte er mit ihr auf der Biennale von Venedig einen internationalen Triumph, wovon in der Leverkusener Ausstellung wiederum etliche in Venedig entstandene und später verfremdete Schwarz-weiß-Aufnahmen erzählen. In einer besonders schönen venezianischen Fotoreihe verbeugte sich Polke vor Salvador Dalí, dem von „seriösen“ Künstlern verachteten Surrealisten.

Was für Dalí das Unbewusste war, waren für Polke die höheren Mächte, mit denen er angeblich im Bunde war. Aus der Leverkusener Museumssammlung stammt die 1968 entstandene Edition „… Höhere Wesen befehlen“, in der sich Polke (erneut mithilfe Christof Kohlhöfers) über die weihevolle Betrachtung von Kunst und Künstlern lustig machte. 14 Aufnahmen zeigen 14 Palmen, aus Zollstöcken, Knöpfen, einem Handschuh, Brot oder Polke selbst geformt – und zwar jeweils auf Geheiß der titelgebenden Wesen. Die Konstruktionszeichnungen zur Edition sind bewusst skizzen- und kritzelhaft gehalten und werden um den genialisch-pubertären Entwurf eines „Apparats zum Schwängern der Luft mit Polke“ ergänzt. Sie zeigt eine rotierende Fliegenpatsche, auf der ein Porträt des Künstlers klebt.

Sogar ein kleiner Beitrag zum ablaufenden Picasso-Jubiläumsjahr findet sich in Leverkusen. Einige farbenfrohe Zeichnungen sind dem Spanier gewidmet, darunter Harlekine, eckige Frauen und ein Kontrabass auf Beinen, der sich selbst mit einem Säbel spielt. Man glaubt Sigmar Polke fröhlich mit den Augen zwinkern zu sehen – vor Überraschungen ist man bei ihm niemals gefeit.


„Sigmar Polke – Höhere Wesen befehlen“, Museum Morsbroich, Gustav-Heinemann-Str. 80, Leverkusen, Di.-So. 11-17 Uhr, bis 25. Februar 2024

KStA abonnieren