Graffiti in KölnMit der Sprühdose gegen den braven Rest der Welt

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Graffito von Harald Naegeli in Köln

Köln – Allzu viel Ruhm dürften die Kölner Graffitikünstler, die Oberbürgermeisterin Henriette Reker im vergangenen Wahlkampf haushoch auf einer Schutzmauer verewigten, nicht geerntet haben. Zwar hat das Herrscherbildnis eine lange Tradition, aber die zählt in der Szene der Straßenkünstler nun mal weniger als der Nervenkitzel des Verbotenen; mit nach Quadratmeter bezahlter Wahlwerbung lässt sich keine Heldengeschichte schmücken.

Auch Streetart lockt Kunsttouristen nach Köln

Man darf daher wohl bezweifeln, dass der Kölner Streetart-Guide Michael Johne ausländische Gäste vor die in Seifenblasen gebadete Reker führt. Anderswo in Köln werden weit gereiste Graffiti-Liebhaber nämlich deutlich besser bedient, mit viel bewunderter Starkunst in Ehrenfeld etwa, die, so Johne, nicht weniger zum touristischen Image der Kunststadt Köln gehöre wie der unbefleckte Dom.

Das dürfte manchen Besucher dann doch gewundert haben, der am Freitagabend ins Museum Schnütgen gekommen war. Anlässlich der Harald-Naegeli-Ausstellung im eigenen Haus hatte Direktor Moritz Woelk zur Podiumsdiskussion über Graffiti, Streetart und andere Kunst im öffentlichen Raum geladen, und zwar unter einem Motto des als Zürcher Sprayer berühmt gewordenen Naegeli: „Die Bereicherung des öffentlichen Raums ist verboten“. Aber obwohl Naegeli seit den 80er Jahren als ein Urvater der lokalen Graffitiszene gelten darf, muss man deren heutige Hinterlassenschaften ja nicht zwingend als hohe Kunst ansehen. Mit Naegelis grandiosen Totentänzen ist es wie mit allen Dingen im Leben: Es nervt, wenn es Überhand nimmt.

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Aber wer entscheidet, was an der Streetart Kunst ist und was ein Fall für den Hochdruckreiniger? In Köln ist dafür von Amts wegen auch Stefan Charles zuständig – Kölns Kulturdezernent präsentierte sich auf dem Podium als Kenner der internationalen Straßenkunst und erinnerte sich geradezu schwärmerisch daran, wie Naegeli, sein Schweizer Landsmann, das bürgerliche Zürich mit der Sprühdose in Aufregung versetzte. Vielleicht sieht man Charles auch deswegen selten ohne Rucksack durch die Straßen ziehen.

Eigentlich eine schöne Vorstellung: Der Kulturdezernent verschwindet in der Nacht, um den öffentlichen Raum in Schweizer Manier zu bereichern. Zu tun gäbe es da einiges, wie der Stadthistoriker Martin Stankowski ausführte. Köln sei eine Stadt der Gegensätze, so Stankowski, und die besondere Gabe der Kölner bestehe darin, das eine wie das andere auszuhalten.

In Köln liegt das Hässliche und Schöne oft nahe beieinander

Als Beispiel nannte er Ewald Matarés gelungenen Taubenbrunnen vor dem Dom und dessen hässlichen Nachbarn, die von vielen Einheimischen innig geliebte Domspitzen-Replik. Aufs Volk ist offenbar auch kein Verlass, wenn es um ein geschmackssicheres kölsches Stadtbild geht. Der Kunsthistorikerin Barbara Hess blieb es in diesem Zusammenhang vorbehalten, auf die gelungene Bürgerbeteiligung beim Mahnmal zum terroristischen Anschlag in der Keupstraße hinzuweisen. Allerdings ist für diese Skulptur noch nicht einmal der Grundstein gelegt.

Martin Stankowski erinnerte etwas wehmütig daran, dass die Straße die Geburtsstätte der Demokratie sei und deren Gestaltung eine kollektive, fast schon utopische Angelegenheit. So hat das auch an diesem Abend wieder vielstimmig beklagte kölsche Gestaltungs- und Zuständigkeitswirrwarr vielleicht auch sein Gutes. Im Schmuddel zeigt sich Köln auf der Höhe seines toleranten Selbst.

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