Militärexpertin bei „Hart aber fair“„Atomare Drohungen sollen uns Angst machen“

Lesezeit 5 Minuten
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Militärexpertin Claudia Major diskutiert bei „Hart aber fair“

Am 9. Mai feiert Russland den sowjetischen Sieg über das Dritte Reich. Dies geschieht jedes Jahr mit großen Paraden. So auch 2022, während der russische Angriffskrieg auf die Ukraine brutal und erfolglos stockt. Russlands Präsident Wladimir Putin droht mit dem Einsatz von Atomwaffen, einem dritten Weltkrieg. Was hat er vor? Einen offenen Konflikt? Oder sucht Putin schon nach einem Ausweg für seinen bislang misslungenen Überfall?

Das diskutierte Moderator Frank Plasberg noch am selben Abend, dem Abend des 9. Mai, mit seinen Gästen in der Sendung „Hart aber fair.“ In der Runde saßen:

  • Bundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Oberst a.D.
  • Militärexpertin Claudia Major, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin
  • Bundestagsabgeordneter Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses sowie Mitglied des SPD-Präsidiums und -Parteivorstands
  • Politikwissenschaftler und Demokratieforscher Wolfgang Merkel
  • Journalistin Gesine Dornblüth, von 2012 bis 2017 Korrespondentin des Deutschlandradios in Moskau
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Die Talkrunde bei „Hart aber fair“ mit Moderator Frank Plasberg (r.)

Bei seiner Rede an diesem so wichtigen Tag für Russland ist Putin, gemessen an einigen Erwartungen, zurückhaltend. Es gibt keine Generalmobilmachung, kein Ausrufen des Sieges, er gibt russische Gefallene zu. Sei das also eine Hoffnung auf ein baldiges Ende des Kriegs? Das stellt Plasberg als große Eingangsfrage in den Raum. Zeitgleich zu Putins Rede heulten in Kiew die Sirenen, man merkt der Frage ihren Farbton an, dass sie in sichere deutsche Wohnzimmer gesendet wird.

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Kein schnelles Ende des Kriegs: Sendungsfrage ist schnell beantwortet

Militärexpertin Major nimmt die Frage auf. Sie sieht die Rede als ein Bekenntnis zu den Narrativen, mit denen Putin den Krieg begründet: Ein angeblicher Krieg gegen den Faschismus. „Eine Abkehr von Zielen sehe ich nicht.“ Putin spreche weiterhin davon, dass seine Truppen auf russischem Boden kämpften. Damit scheint die Frage der Sendung irgendwie beantwortet, man könnte meinen, nun sei Zeit für den Abspann. Moderator Plasberg fürchtet ein wenig um seine Diskussion: „Gibt es hier irgendjemanden, der das eine Nuance anders sieht?“ Kurzes Schweigen, keine Wortmeldung. Was also anfangen mit der restlichen Sendezeit?

Zunächst geht es um Details, so versandet die schnell beantwortete Sendungsfrage. Roderich Kiesewetter war mit seinem Parteivorsitzenden Friedrich Merz in der Ukraine, wirbt noch einmal dafür, Zeichen zu setzen und Rat zu geben. Plasberg versucht, daraus eine parteipolitische Diskussion zu spinnen, indem er Richtung SPD-Mann Mihael Rot einwirft, die SPD sei da nicht so klar. Aber Kiesewetter grätscht diesen Versuch sofort ab, es gehe hier nicht um Parteipolitik. Roth stimmt ihm sofort zu, Applaus im Publikum.

Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel wirbt für den Verhandlungstisch

Letztlich ist es nicht Plasberg, der die Sendung in Fahrt bringt, sondern Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel. Er greift Punkte direkt auf, sagt Richtung Roth: „Die CIA sagt, Putin muss den Krieg gewinnen. Er kann ihn nicht verlieren, weil seine politische Existenz daran gebunden ist.“ Und zu Kiesewetter, der einen langen Krieg prognostiziert: „Wir müssen ihn schnell beenden.“ Es werde noch viele Opfer geben. Aber wie? Verhandeln? Dafür wirbt Merkel zumindest.

Major wirft ein, wie schwierig das ist. Aufgrund der zu unterschiedlichen Zielvorstellungen der Parteien. Putin will eine ihm anhängige Ukraine, will die Krim und die Ostukraine. Die Ukraine will genau das nicht. Merkel wirft erneut die Frage ein: „Wie viele Opfer brauchen wir?“ Und: Inwiefern sollte sich die Situation in einem Jahr ändern, um dann verhandeln zu können? Von Russland gebe es aber keinen Willen zur Deeskalation, zu erfolgreichen Verhandlungen, antwortet Major wiederum.

Einig ist man sich dann immerhin in einem Punkt: Die Entscheidung liegt in der Hand der Menschen in der Ukraine. Dann springt Roth Major zur Seite. Die Idee des Westens, Russland möglichst nicht zu provozieren, wie beispielsweise im Krieg gegen Georgien nicht zu reagieren, sei in den vergangenen Jahren gescheitert.

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Die Sendung hangelt sich ein wenig weiter. Gut für Moderator Plasberg, dass es rund um diesen Angriffskrieg viele Themen gibt, war die Ausgangsfrage doch schnell durchgekaut. So fehlt der Diskussion dann aber etwas der frische Anstrich, denn die Themen sind zwar zahlreich, aber doch schon weitestgehend in vielen anderen Diskussionen aufgetaucht. So wirkt alles etwas wiederholt.

Atomwaffen: Claudia Major erklärt anschaulich und ordnet sachlich ein

Also Themenwechsel. Ein Einspieler berichtet über die nuklearen Drohungen der russischen Seite (über 20 sind es laut Claudia Major seit Kriegsbeginn gewesen), dann nimmt Plasberg die Militärexpertin Major aus der Runde heraus, lässt sie die atomaren Drohungen einordnen. Das kurbelt die Sendung, die etwas einzuknicken drohte, wieder an. Major erklärt, wie nukleare Abschreckung funktioniert, dass sie funktioniert. „Zumindest bislang“, räumt sie ein. Plasberg wirft zurecht ein, dass es dafür eine Art Vernunft auf beiden Seiten brauche. „Die gab es bislang“, so Major.

Das Gespräch, eher ein Interview, ist eine gesunde Mischung aus sich abwechselnder militärischer Analyse und „Frag doch mal die Maus“. Major erklärt anschaulich Abläufe, so gebe es beispielsweise den berühmten roten Knopf gar nicht, sondern, in Russland, drei Koffer. Die Entscheidung eines Atomschlags kann keine Person allein treffen. Und sie ordnet ein. Mit den Drohungen setze Russland zwei Zeichen: Die Nato solle sich raushalten und die Öffentlichkeit solle Angst bekommen.

Roth erst „fassungslos“ über Merkels Aussagen, dann aber mit Verständnis 

Zurück in der Diskussionsrunde wirbt Wolfgang Merkel weiter für Verhandlungen. Roth ist „fassungslos“, „eine Verhandlung ist nur dann sinnvoll, wenn die Beteiligten zu ernsthaften Gesprächen bereit sind.“ Er will viel mehr weitere Staaten auf die Seite des Westens zu ziehen. China und Indien beispielsweise, um den Druck auf Russland zu erhöhen.

Das bricht Plasberg ab, vielleicht angetan von seinem guten Gespräch mit Major, will er noch einmal zurück zum Thema drohender Atomkrieg. Es geht um Propaganda, um eine vergleichsweise ruhige und gesprächsbereite Reaktion der USA auf die Drohungen. Aber da kommt dann doch wieder Merkels Werbung für den Verhandlungstisch ins Spiel. Auch, wenn er viel Gegenwind, gerade von Major und Roth, bekommt, kommen ihm die anderen Gäste auch entgegen. Sie betonen noch einmal, dass seine Position eine respektable und ernstzunehmende sei. Aber die Möglichkeit, zu verhandeln, sieht der Großteil der Runde angesichts der aktuellen Lage nicht.

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