Julia Stoschek im Interview„Vielleicht müssen Oligarchen jetzt ihre Kunst verkaufen“

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Die Kunstsammlerin Julia Stoschek

  • Die Julia Stoschek Collection ist ein privates Museum für Video- und Medienkunst in Düsseldorf.
  • Mit rund 900 Werken gehört es zu den weltweit wichtigsten Sammlungen von Medienkunst.
  • Stoschek ist Gesellschafterin der Firma Brose, eines der weltweit führenden Unternehmen der Automobilzulieferer-Branche.

Köln – Frau Stoschek, Sie haben 2007 ihr eigenes Sammlungshaus, die Julia Stoschek Collection, in Düsseldorf eröffnet und sind rasch zu einer der bekanntesten Kunstsammlerinnen Deutschlands aufgestiegen. Wie hat sich die Kunstwelt seit diesen Anfängen verändert?  Julia Stoschek: In diesem Jahr wurde nicht nur die Sammlung eröffnet, 2007 hat Apple auch das iPhone herausgebracht. Das war ein einschneidendes Jahr, weil sich mit den mobilen Endgeräten und den darauf zirkulierenden Bildern sowohl unsere Sehgewohnheiten als auch unser Sozialverhalten verändert haben – und damit auch die Kunst. Vieles, was 2007 produziert wurde, wirkt heute bereits antiquarisch. Diese großen Technologie-Sprünge können wir mit der Sammlung abbilden, und das wollen wir auch weiterhin tun. Ein Teil dieser Entwicklung zu sein und mit der Sammlung beschreiben zu können, ist ein wahnsinniges Glück. Die Sammlung ist jetzt im Teenageralter. 15 Jahre, das ist keine lange Zeit. Trotzdem haben wir fast 40 Ausstellungen gemacht mit über 500.000 Besuchern in Berlin und Düsseldorf.

Ich wollte immer in meiner Generation sammeln

Sie sammeln vor allem Videokunst und Medieninstallation. Das hängt man sich nicht einfach so ins Wohnzimmer. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich wollte immer in meiner Generation sammeln. Ich wurde Mitte der 1970er Jahren geboren, die Medienkunst beginnt Ende der 60er Jahre. Die Sammlung wie ein Archiv von Zeitlichkeiten zu verstehen und abzubilden, was in meiner Generation passiert, war immer mein Anspruch. Das hat mich umgetrieben. Ich wollte mit den Künstlern in den Diskurs gehen können, und ich finde es nach wie vor spannend, dass die Medienkunst so nonkonformistisch und oft sehr politisch ist. Ich liebe es, wenn Künstler wie Seismographen politische Entwicklungen vorwegnehmen und kommentieren. Keine andere Kunstform ist so nah an der Dynamik unseres Lebens. Insofern hat meine Leidenschaft überhaupt nicht nachgelassen.

Sie haben gesagt, dass die Zyklen in der Medienkunst viel schneller sind als in der klassischen Kunst. Es geht also auch um eine radikale Beschleunigung.

Es ist vor allem eine technologische Beschleunigung, aber damit einhergehend auch eine gesellschaftliche. Wir haben zum Beispiel früh damit begonnen, die Sammlung zu digitalisieren. Jetzt stellen wir sie online. Ich glaube, es ist in der Kunstgeschichte ein einmaliger Schritt, dass eine private Sammlung in der Form öffentlich zugänglich gemacht wird, ohne Bezahlschranke, mit Zustimmung der Künstler und in der höchsten Qualität. Das ist ein spannendes Projekt, das unglaublich gut angenommen wird und es wird den Ausstellungsbesuch niemals ersetzen können.

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Julia Stoschek beim Gespräch in Köln

Sie haben die Politik erwähnt. Der Krieg in der Ukraine wird ja auch als Medienkrieg über die sozialen Netzwerke geführt. Wie nehmen Sie das wahr?

Wie wir alle schaue ich mit Bestürzung darauf. Ich kann nur beobachten und hoffen, dass dieser Krieg ganz schnell beendet wird.

Wie wird man in zehn Jahren auf diese Kriegsbilder und auch auf diese Form der Auseinandersetzung schauen?

Je globaler die Welt ist und je mehr Informationen verteilt werden, desto größer wird unser Wissensschatz. Umso erschreckender ist es, zu beobachten, dass der Zugang zu Informationen in Ländern, in denen Autokraten und Despoten herrschen, immer weiter beschränkt wird. Ich glaube, das ist das zentrale Thema unserer Zeit. Zugang zu Informationen ist die Grundlage von Bildung und Zivilisation.

Vielleicht müssen einige Oligarchen ihren Sammlungen verkaufen

Jetzt ist es wahrscheinlich noch zu früh, um Auswirkungen auf den Kunstmarkt festzustellen. Aber womit rechnen sie?

Der Kunstmarkt ist ein Thema, das mich persönlich nicht so sehr beschäftigt. Besonders in diesen Zeiten ist das nachrangig. Ich bin keine Galeristin, ich verkaufe nicht und bin insofern an dem Marktgeschehen selber auch gar nicht sehr interessiert. Ich weiß natürlich, dass es gewisse Auswirkungen für einen Künstler und seinen Marktwert hat, wenn ich seine Arbeit für meine Sammlung erwerbe. Aber Sammeln unter Investitionsgesichtspunkten habe ich nie betrieben, und bin dafür auch wirklich die falsche Ansprechpartnerin. Wenn man unter monetären Gesichtspunkten erfolgreich Kunst sammeln möchte, sollte man keine Medienkunst kaufen. Das kann ich niemanden empfehlen, das ist eine sehr sperriges Kunstform und sehr aufwendig in Archivierung und Konservierung. Jemand hat mal sehr schön formuliert: Medienkunst sammeln ist wie Schneebälle sammeln. Vielleicht macht gerade das die Medienkunst so spannend, dass man sie nicht sofort verfügbar hat, dass sie immer an Raum und Zeit gebunden ist und man dafür immer Technik braucht. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Wahrscheinlich muss sich der eine oder andere Oligarch von einer Immobilie trennen. Und vielleicht auch von seiner Sammlung. Und das könnte unmittelbare Auswirkungen auf das Marktgeschehen haben. Das ist aber nicht mein Thema.

Sammeln hat immer auch mit Status zu tun, ist das nicht eher eine männliche Domäne?

Aber um Status geht es bei Medienkunst eben nicht. Sie ist überhaupt nicht elitär. In ihren Anfängen war die Medienkunst für alle gedacht. Die Limitierung entstand durch den Markt, um die Kunst besser verkaufen zu können – ähnlich wie bei der Fotografie. Eigentlich liegt es in der Natur der Medienkunst, dass sie reproduziert wird. Auch deswegen stellen wir meine Sammlung online, um sie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Ich kann höchstens 15 Prozent meines Sammlungsbestandes gleichzeitig ausstellen. Und all die anderen tollen Werke sollen irgendwo im Depot oder auf irgendeinem Server lagern? Das wäre doch Wahnsinn.

Zur Person und zum Jubiläum

Julia Stoschek, geb. 1975 in Coburg, ist Gesellschafterin der Firma Brose, eines der weltweit führenden Unternehmen der Automobilzulieferer-Branche. Im Jahr 2007 eröffnete die Urenkelin des Firmengründers Max Brose in Düsseldorf die Julia Stoschek Collection, ein privates Museum für Video- und Medienkunst. Seit 2016 gibt es eine Filiale in Berlin.

Mit rund 900 Werken gehört die Stoschek Collection zu den weltweit wichtigsten Sammlungen von Medienkunst. In wechselnden Ausstellungen und bei freiem Eintritt präsentiert Stoschek jeweils Teile ihrer Sammlung, das 15-jährige Bestehen ihres Museums feiert sie ab dem 5. Juni mit der von Hans Ulrich Obrist kuratierten Ausstellung „Gaming und Kunst“.

„Gaming und Kunst“, Julia Stoschek Collection, Schanzenstr. 54, Düsseldorf, jeden Sonntag 11–18 Uhr. 5. Juni 2022 bis 10. Dezember 2023, Eintritt frei. Eröffnung: 4. Juni, 12–18 Uhr.

Ist die russische Journalistin, die das Antikriegs-Plakat in der Nachrichtensendung hochgehalten hat, Stoff für die Medienkunst?

Krisenzeiten sind immer dazu prädestiniert, künstlerisch verarbeitet zu werden. Aber ich finde es viel spannender, wenn Künstler etwas vorwegnehmen. Wie zum Beispiel Arthur Jafa, der das Thema Rassismus in den U.S.A. vor den großen Black Lives Matter-Protesten in Folge des Mordes an George Floyd bereits so präzise reflektiert hat, dass einem klar wurde: Es wird zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen.

Stehen sie in Kontakt zu ukrainischen und russischen Künstlern?

Nein, das nicht. Wir haben 2008 im Pinchuk Art Center in Kiew ausgestellt. Es war eine tolle Zeit, weil ich dort eine junge, aufstrebende Generation von kunstbegeisterten, demokratisch gesinnten Menschen kennengelernt habe. Umso schwerer finde ich es, sich jetzt vorzustellen, dass so eine Stadt wie auch das gesamte Land gerade mutwillig zerstört werden.

Sie haben vorhin die Digitalisierung Ihrer Sammlung angesprochen. War das auch eine Reaktion auf den Lockdown? Das wollte ich schon immer machen. Aber Corona hat uns die Zeit gegeben, es auch umzusetzen.

Wir haben 38 Prozent nicht-männliche Künstler in der Sammlung

Wie reagiert die Kunstwelt aus ihrer Sicht auf die anderen großen Themen unserer Zeit? Also Klima, Migration und Gleichberechtigung?

Alles wird verarbeitet. Das ist ja das Schöne an der Medienkunst. Es gibt eigentlich kein gesellschaftspolitisches Thema, das nicht behandelt wird.

Hat Corona dabei jetzt schon einen besonderen Platz?

Für die Kunst sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie weniger inhaltlich als kulturpolitisch interessant. Als die Politik die Museen mit Baumärkten und Bordellen gleichstellte, nahm ein Diskurs über ihren gesellschaftlichen Wert Fahrt auf, der sie meines Erachtens gestärkt hat. Das gilt auch für die Künstler, die weiter dringend unterstützt werden müssen, wo ihnen Ausstellungs- und Atelierraum fehlt. Die für mich beste Arbeit zu Pandemie-Themen wie Einsamkeit und Isolation hat der kanadische Künstler Jeremy Shaw mit der Quantification Trilogy im Übrigen auch wieder einige Jahre vor Corona geschaffen.

Der traditionelle Kunstmarkt ist sehr männlich. Wie steht es mit der Gleichberechtigung?

Wir haben 38 Prozent nicht-männliche Künstler in der Sammlung, das ist im Vergleich ein ziemlich hoher Wert. Aber da geht noch mehr. Ich sammle Arbeiten von Kollektiven, von queeren Künstler*innen, Transpersonen, da gibt es keine Unterschiede. Ich freue mich immer, wenn ich gute Kunst von Künstlerinnen finde. Aber das Geschlecht ist für mich nicht ausschlaggebend. Spannend finde ich den fundamentalen Wandel im Gaming-Bereich zu beobachten. Vor zehn Jahren waren die allermeisten Akteure in dem Bereich noch männlich. Das ist heute anders.

Ich möchte Gamer ins Museum holen

Gaming ist das Thema Ihrer Jubiläums-Ausstellung in Düsseldorf.

Genau, das passt ja auch zum 15-jährigen Teenager. Wir haben einige Künstler und Künstlerinnen in der Sammlung, die sich mit der Ästhetik von Computerspielen beschäftigen oder schon vorhandene Computerspiele appropriieren und manipulieren. Es ist interessant, welchen Einfluss zum einen die Gaming-Industrie auf die Kunst hat, aber wie sehr wiederum die Kunstszene die Game-Designer ästhetisch inspiriert. Ich habe von meinen Eltern noch mitbekommen, dass Computerspiele etwas Negatives sind, und heute ist es die größte Unterhaltungsindustrie mit weltweit drei Milliarden Usern. Die Umsätze, die dort gemacht werden, sind höher als in der Musik- und in der Filmbranche.

Sind Sie selbst eine Gamerin?

Nein, aber gerade deswegen ist unsere Jubiläumsausstellung so spannend für mich. Ich würde gerne von diesen vielen Menschen, die Computer spielen, auch ein paar ins Museum holen. Es wäre doch großartig, wenn wir den einen oder anderen Jugendlichen zum ersten Mal in ein Museum locken können.

Ich würde gerne in Berlin bleiben, aber noch ist nichts unterschrieben

Wie ist eigentlich der Stand bei Ihrer Berliner Filiale? Sie liegen im Streit mit dem Bund wegen der Mieterhöhung und haben angekündigt, den Mietvertrag zum Ende dieses Jahres auslaufen zu lassen.

Mein Mietvertrag in Berlin läuft Ende des Jahres aus. Über die Verlängerung sind wir in guten Gesprächen mit der Bundesanstalt für Immobilien. Ich würde jedenfalls gerne in Berlin bleiben, und ich glaube, die Bundesanstalt hätte uns auch gerne weiterhin als Mieter. Aber noch ist nichts unterschrieben.

Ist da etwas kaputtgegangen zwischen Ihnen und Berlin?

Nein, mit der Berliner Kunstszene sowieso nicht. Wir haben dort einen hohen Stellenwert. Wir sind verankert und gut vernetzt, ein Wegzug würde mir schwerfallen, allein weil wir hier so viel Unterstützung aus der Szene erfahren. Ich glaube, das wäre auch für die Berliner Kunstszene ein empfindlicher Verlust. Dass ich als private Sammlerin über die eine oder andere kulturpolitische Schwierigkeit hinwegsehen muss, gehört dazu.

Berlin hat seine eigenen Gesetze - wie jede Stadt

Das wird man in Berlin sicher gerne hören. Aber ganz so innig scheint die Beziehung der Berliner Kunstszene zu den Sammlern nicht mehr zu sein. Thomas Olbricht hat seine Collection aufgegeben. Können Sie das nachvollziehen?

Dass man den Standort Berlin verlässt? Ja, klar. Berlin hat seine eigenen Gesetze. Aber die hat jede Stadt und ich betreibe kein Berlin-Bashing, das liegt mir fern. Wir wollen gerne bleiben, wobei ich feststelle, dass ganz viele Künstler, die wir nach Berlin einladen, gerne in Düsseldorf ausstellen möchten.

Sie leben in Berlin. Bleibt Düsseldorf der Hauptsitz der Sammlung?

Düsseldorf ist das Herz der Sammlung. Hier lagern die Werke im Medienkunstdepot, hier befindet sich das Forschungszentrum. Die Infrastruktur ist seit 15 Jahren gewachsen und auf hervorragendem technischen Niveau. Außerdem gehört mir das Haus im Gegensatz zur Berliner Dependance. Damit geht automatisch ein enges Verhältnis und ein Gefühl von hoher Verantwortung für den Standort einher.

Wo liegt der Unterschied zwischen den Kunstszenen in Berlin und im Rheinland?

In Berlin ist das Publikum internationaler, es reisen sehr viele Menschen aus dem Ausland an. Unsere Besucherzahlen sind dort deutlich höher als in Düsseldorf. Aber hier im Rheinland haben wir das gebildete Bürgertum, das sich schon immer mit Kunst beschäftigt hat. Das fällt mir immer wieder an den Fragen auf, die nach einem Besuch in der Sammlung gestellt werden.

Ein Spagat ist das für Sie schon. Auch was die Mentalität betrifft?

Ich finde solche Schubladen nicht wirklich hilfreich. Ich bin mit beiden Standorten außergewöhnlich glücklich, auch wenn es einen immensen Aufwand bedeutet. Das Sammeln ist das Eine. Die Kosten für den Betrieb der Häuser, das Ausstellungs- und Vermittlungsprogramm und die Personalkosten sind um ein Vielfaches höher als mein Ankaufsetat. Das zu unterhalten ist wirklich ein Kraftakt. Ich möchte das weiterhin machen, solange ich eben kann. Düsseldorf wird bleiben. Ansonsten schauen wir mal, wohin es uns in der Welt noch hin verschlägt. Die Kunst ist ja sehr global und ich möchte dort arbeiten, wo es spannend ist.

Auf lange Sicht steht das Rheinland prima da

Und wie halten Sie es als Düsseldorferin mit Köln?

In Köln gibt es so viele bedeutende Sammlungen und gute Sammler, da ich freue ich mich, dass ich überhaupt die Stadtgrenze überschreiten darf, um etwa vor dem Freundeskreis des Wallraf-Richartz-Museum und des Museum Ludwig einen Vortrag zu halten. Köln hat den Kunstmarkt etabliert und war in den 80er Jahren das Mekka der Kunstwelt. Alle relevanten Figuren sind aus New York nach Köln geflogen. Es ist immer noch ein total wichtiger Standort, gerade mit seinem gewachsenen Bürgertum.

Weltspitze ist Köln aber nicht mehr. Was fehlt Köln zurzeit?

Ganz wichtig sind bezahlbarer Wohnraum und Atelierräume, das ist schon mal die Grundvoraussetzung, damit künstlerisches Potential in einer Stadt gehalten werden kann - und da war Berlin natürlich auch eine Zeitlang besser aufgestellt. Viele Künstler sind aus dem Rheinland nach Berlin gegangen, dann sind die Galerien gefolgt und dann die Sammler. Übrigens bin ich 2007 nach Düsseldorf gegangen und nicht nach Berlin. Ich mache Dinge auch gerne mal antizyklisch.

Wenn es um billige Mieten geht, können die Berliner bald zurück nach Köln fliegen.

Ja, diese Beispiele gibt es. Renommierte Galeristen, die euphorisch nach Berlin gegangen sind und dann wieder zurück ins Rheinland kamen. Denken Sie an den sehr geschätzten Hans Mayer etwa. Hier im Rheinland gibt es außerdem diese lange Tradition, die Akademien, die unglaubliche Dichte an Museen und die vielen Künstler, die hier leben. Deswegen wird auch Köln als Kunststadt bestehen. Es gibt immer Auf und Abs. Aber wichtig ist doch die lange Sicht. Und in der steht das Rheinland prima da.

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