Die Leichtigkeit ist dahin, Katy Perrys Glanztage liegen weit zurück. Aber niemand soll sagen, dass sie sich beim Kölner Konzert nicht redlich bemüht hat.
Katy Perry in der Lanxess-ArenaVon allen Kritikern verrissen, in Köln geliebt

Katy Perry, hier als ihr eigener Videospiel-Avatar, in der Kölner Lanxess-Arena
Copyright: Alexander Schwaiger
Der Zentralrechner hat die Schmetterlinge entführt, die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel! Jetzt kann uns nur Cyberkriegerin KP143 retten. Die Geschichte, die uns Katy Perry in der Kölner Arena auf einer Wand aus Dutzenden wild zusammengewürfelten Bildschirmen – ein Paradies für kurze Aufmerksamkeitsspannen – erzählt, erinnert an jedes 3D-Fahrgeschäft in jedem Vergnügungspark. Dystopische Allgemeinplätze, billige Digitaloptik, Visualisierungen, die Stanley Kubrick schon 57 Jahren zuvor eingefallen waren: Neues von gestern.
Aber dann ist sie ja wirklich unter uns, die echte Katy Perry, kabelt sich von der Matrix ab, windet sich aus der Mitte des Raums in höchste Höhen. Kein just programmiertes Videospiel-Girl dreht sich da über unseren Köpfen, sondern ein Popstar aus Fleisch und Blut. Eine Schaugeschäft-Veteranin, die in zwei Tagen, am 25. Oktober, ihren 41. Geburtstag feiern wird – ganz fabulös sei das, kommentiert Perry offensiv – und die sich seit 2008 auf mehr als 150 Millionen Tonträgern vervielfacht hat. Eine, die sich immer wieder aufrappelt und weitermacht. Auch wenn ihr bestes Album – „Teenage Dream“ – nun schon 15 Jahre zurückliegt, auch wenn sie für ihr aktuelles Album – „143“, die Zahlen stehen für „I love you“, zählen Sie die Buchstaben – durch die Bank nur Häme erntete: seelenlos, hohl, KI-generiert, unkten die Kritikerinnen und Kritiker.
Zwei Tage nach der Kölner Show feiert Katy Perry ihren 41. Geburtstag
Aber die Lanxess-Arena ist ausverkauft, die Fans bleiben ihr treu. „Egal, was das Internet sagt“, bedankt sich die Kalifornierin zum Ende der Show, „das hier ist echt.“ Eine steile These, hat sie sich doch gerade gut zwei Stunden lang in wenig geschmackssicheren Kostümen – die kissenartigen Minirock-Applikationen, die orthopädischen Strümpfe! – durch eine bonbonpapierfarbene Alternativwelt gekämpft, die wirkte, als hätte sie der böse Zentralrechner aus den Hochzeiten von Britney Spears generiert. Also vor rund 25 Jahren, als Popstars noch spiegelblanke Avatare unserer Fantasien waren und ein eigener Standpunkt – bei Swift, Eilish oder Rodrigo selbstverständlich –unerhört.
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Das kann nicht gut gehen. „Teary Eyes“ ist ein dumpfer Durchhalteschlager, „Crush“ klingt wie ein moldawischer ESC-Beitrag. „Woman's World“ jedoch hinterlässt einen ungleich schlimmeren Eindruck. Feministische Zukunftshymnen kauft man Perry eh nicht ab, erst recht nicht, wenn sie so instinktlos ist, sie zusammen mit einem Produzenten zu schreiben, dem in der Vergangenheit Mobbing und sexueller Missbrauch vorgeworfen wurden. Hinter ihr trägt eine anonyme, überlebensgroße Frauenstatue die Welt auf ihren Schultern, es sieht aus, wie ein Buchcover von Ayn Rand. Dazu üben Perrys Tänzer Geräteturnen an selbst mitgebrachten Gestängen.

Katy Perry als Cyberkämpferin KP143
Copyright: Alexander Schwaiger
Aber dann kündigt die Strauchelnde „unsere Nationalhymne“ an. Es ist ihr alter Wohlfühl-Hit „California Gurls“, es ist die gute, unwiderstehlich poppige Art von dumpf, in der selbst aus BH-Körbchen schießende Sprühsahne noch als selbstironisch durchgeht. Da war doch mal was, eine quietschbunte Blödheit, eine bewusstseinserweiternde Aufgedrehtheit durch konsequente Überzuckerung.
Perry erinnert selbst an ihren schon lange zurückliegenden letzten Kölner Auftritt. Damals, vor siebeneinhalb Jahren, spielte sie mit Haien Klavier, ließ sich von überdimensionierten Salz- und Pfefferstreuern würzen, und vom Brezelverkäufer ein Laugenstück zuwerfen. Damals biss sie kraftvoll zu und sang mit vollem Mund weiter. Diese Leichtigkeit ist nun dahin.

Katy Perry sind inmitten ihrer Tänzer vorm bunten Bildschirmchaos.
Copyright: Alexander Schwaiger
Immerhin, es wird besser, je weiter sie sich von ihrer Rolle als KP143 entfernt. Inspiriert von Donna Haraways feministischem Essay „Cyborg Manifesto“ haben sich seit der Jahrtausendwende immer wieder Popdiven ins futuristische Menschmaschinen-Kostüm geworfen: Missy Elliott, Robyn, Christina Aguilera, Grimes, Janelle Monáe – die Liste ist endlos und Perry reiht sich hier reichlich spät ein.
Sie wirkt auch viel mehr in ihrem Element, wenn sie mit dem Publikum flirtet, Handküsse verteilt, Fans in Cheeseburger-Kostümen zu sich auf den Laufsteg bittet, der sich wie eine Acht geformt durch die Menge schlängelt. Dieser Wunschkonzert- und Meet&Greet-Teil des Sets zieht sich ein wenig. Die obligatorischen Selfies müssen geschossen werden, ein zwölfjähriges Mädchen aus Palästina darf ein selbst komponiertes Lied singen – aber Perry geht in ihrer Rolle als Popmutter auf und merkt sich sogar alle Namen.
Die Schmetterlingsgeschichte kulminiert in einem Endkampf mit dem Großrechner, der wie der Zauberer von Oz als großer grüner Kopf aus dem Bildschirmchaos aufpoppt. KP143 kämpft mit dem Lichtschwert gegen einen „Dune“-Wurm, im Hintergrund perlt grüner Matrix-Code: Beliebigkeit ist der wahre Endgegner von Katy Perry.
Ganz zum Schluss – befreite Konfetti-Schmetterlinge werden in die Luft geschossen – hat sie noch die unverzichtbaren Hits, „Roar“, „Fireworks“, angepappt. Aber der wahre Höhepunkt kam früher, mit „Part of Me“. „Das ist der Teil von mir, den du mir niemals nehmen wirst!“, singt Perry im hart erkämpften Triumph: „Wirf deine Stöcke und Steine, wirf deine Bomben und Schläge, meine Seele wirst du nicht brechen.“ Tänzer lenken mit Spiegelschildern Scheinwerferstrahlen von ihr ab. Die Fans singen aus voller Kehle mit, winken mit Handylichtern, dürfen sich endlich als Teil von ihr fühlen. „People have the power“, ruft ihnen Perry, Patti Smith zitierend, zu: „Wacht auf!“
Wozu man seine Menschenmacht nutzen soll, erfährt man von ihr freilich nicht. Katy Perry verwandelt die allgemeine Begeisterung in kinetische Energie, sprintet die Laufsteg-Acht entlang und landet rutschend auf den Knien. Genau dort, wo sie zum Endspurt angesetzt hatte.

