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Kölner Debatte über MeToo„Menschenrechte sind Scheißdreck, wir brauchen Gesetze“

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Professor Klaus Theweleit, Patricia Engel, Dominik Meiering, Mithu Sanyal und die Moderatorin Prasanna Oommen schauen vor der Podiumsdiskussion zur Susanna-Ausstellung gemeinsam in die Kamera.

Klaus Theweleit, Patricia Engel, Dominik Meiering, Mithu Sanyal und die Moderatorin Prasanna Oommen bei der Podiumsdiskussion zur Susanna-Ausstellung.

Im Kölner Wallraf-Richartz-Museum debattierten Klaus Theweleit, Mithu Sanyal und Marina Weisband über die Susanna-Ausstellung. Teilweise ging es hoch her. 

In der biblischen Susanna-Legende steckt erstaunlich viel Gegenwart: sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch, die fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter im Leben und vor Gericht, wahnhafte Rollenbilder, Rassismus (die Heldin wurde im Laufe der Jahrhunderte immer weißer), die Frage, was uns aus welchen Gründen als normal erscheint, und nicht zuletzt die Debatte darüber, wie politisch und inklusiv Kunst und Museen sein sollten. All das sei zu viel für einen Abend, warnte Prasanna Oommen, Moderatorin der Podiumsdiskussion zur viel diskutierten Susanna-Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum. Aber nicht darüber zu reden, ist eben auch keine Lösung.

Die Freunde des Wallraf-Richartz-Museums hatten prominente Gäste in den vom Publikum geradezu belagerten Stiftersaal geladen: die Schriftstellerin Mithu Sanyal, Klaus Theweleit, Autor der „Männerphantasien“, die per Video zugeschaltete Politikerin Marina Weisband, und, als Kölner Beisitzer, die Kunsthistorikerin Patricia Engel sowie Innenstadtpfarrer Dominik Meiering.

Die Hälfte der Menschheit ist normal, die andere Hälfte sind Frauen
Marina Weisband

Nach einer etwas ausschweifenden Einführung, die Klaus Theweleit offenbar auf Kohlen sitzend verfolgte, fragte Oommen zunächst nach der grundlegenden Rolle von Kunst und Museen für die gesellschaftliche Selbstverständigung. Marina Weisband betonte, dass die Kunst ein emotionales Begreifen ermögliche und so Empathie über geschlechtliche oder ethnische Grenzen hinweg aufbauen könne. Statistiken, so Weisband, beeindruckten hingegen niemanden. Dominik Meiering sekundierte mit Blick auf die Bibel, die, sei es in der Predigt oder Malerei, in Bilder übersetzt werde; dies sei jeweils eine Übertragung ins Medium „affektiver Identifikation“.

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Klaus Theweleit ergriff dann die Gelegenheit, selbst ein wenig abzuschweifen. All die Renaissancekünstler, die Susanna malten, hätten auch die antiken Sagen gemalt, die, mythisch verbrämt, nicht nur von der sexuellen Nötigung einer einzelnen fiktiven Frau, sondern von realen und massenhaften Vergewaltigungen erzählten. Hinter den immer gleichen Sagen von Göttern, die Königstöchter überwältigen, um mit ihnen Helden zu zeugen, verberge sich die Geschichte einer gewaltsamen Kolonisierung, so Theweleit. Die antiken Griechen wurden demnach, wer sie waren, indem sie die Frauen der eroberten Länder vergewaltigten und die Kinder zu ihren Erben machten.

Mithu Sanyal verbindet mit Susanna eine persönliche Geschichte

Mithu Sanyal verband mit Susanna hingegen eine persönliche Geschichte. Diese sei für sie, die „krass katholisch“ erzogene Tochter, eine frühe Identifikationsfigur gewesen, weil sie in der Bibel die einzige heldenhafte Frau mit dunklen Haaren und Augen gewesen sei. Später sei ihr Susannas Passivität aufgefallen, eine Eigenschaft, die Mädchen, gerade in Bezug auf sexuelle Gewalt, immer noch als Ausweg vermittelt werde. Sie sei mit dem allgemein akzeptierten Eindruck aufgewachsen, so Sanyal, dass vergewaltigt zu werden eine ständige Gefahr sei, gegen die man sich nicht wehren könne und nach der das Leben zu Ende sei.

Patricia Engel erinnerte bei dieser Gelegenheit daran, dass lange Zeit nur schönen Frauen zugestanden wurde, überhaupt Opfer von Vergewaltigungen werden zu können. Studien würden belegen, so Engel, dass „hässlichen“ Frauen seltener geglaubt wurde. Die Frage, ob die junge, mit den sozialen Medien aufgewachsene Generation eine andere, deutlich lockere Auffassung von Privatsphäre und Intimität habe, verneinte Engel mit Blick auf ihre Führungen durch die Susanna-Ausstellung. Innerhalb der Schulklassen werde angeregt über Flirtverhalten diskutiert, und man verstehe vor den Bildern besser, dass Grenzüberschreitungen nicht erst bei Berührungen, sondern auch schon mit Blicken beginnen können.

Wir wollen nichts mehr von Powerfrauen hören
Patricia Engel

So mäanderte die Diskussion auf anregende Weise vor sich hin. Marina Weisband definierte die „Essenz des alten weißen Mannes“ als das, was unhinterfragt als normal gelte. Darin liege die Macht des Patriarchats: „Die Hälfte der Menschheit ist normal, die andere Hälfte sind Frauen.“ Frauen müssten daher härter um ihre Rollen kämpfen, als es sich Männer überhaupt vorstellen könnten. Auch Daniels Eingreifen in der Susanna-Legende sei nur ein Pflaster auf Machtverhältnissen, die weiterhin blieben, wie sie sind. Daniel rette eine einzelne Frau, lasse aber alle anderen im Stich.

Dominik Meiering wiederum beschwor das revolutionäre Potenzial der christlichen Lehre: Alle Menschen seien gleich vor Gott. Das blieb nicht unwidersprochen. Theweleit etwa erinnerte an die mit der Bibel gerechtfertigten Völkermorde der katholischen Invasoren in Amerika. Die christlichen Ideale schützen uns so wenig vor Gräueltaten oder Machtmissbrauch wie die Menschenrechte in ihrer aktuellen, weitgehend unverbindlichen Form, so Theweleit: „Menschenrechte sind Scheißdreck, wir brauchen Gesetze.“

Zum Ausklang des Abends wollte Oommen von den Diskutanten wissen, warum sich sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch so hartnäckig in unserer Gesellschaft hielten. Engel verwies auf unsere Sozialisierung, Weisband darauf, dass wir den Sexismus verinnerlicht hätten. Sanyal wollte nicht ganz so düster sehen. Es sei schon vieles besser geworden, es lohne sich zu kämpfen.

Bei der Machtfrage kam es zum Streit: Während Theweleit darauf bestand, dass Macht immer auch Missbrauch sei, wenn sie nicht dazu führe, sich selbst aufzulösen, hätte Engel wohl nichts gegen einen allmählichen Machtwechsel einzuwenden: „Wir wollen nichts mehr von Powerfrauen hören“, sagte sie. „Es sollte selbstverständlich sein, dass Frauen Macht haben und Macht ausüben.“

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