Abo

„Eine der größten Fotografinnen dieser Zeit“So dokumentierte eine Nonne den Aufbau des Kölner Doms in der Nachkriegszeit

5 min
Pressefoto zur Ausstellung "Finding Margarita Neiteler"
Die fotografierende Nonne
Abbildung: Köln, Wiederaufbau das Kölner Dom 1945-1948, Negativglas 13x18cm

Kölner Dom, Innenansicht Langhaus

Das fotografische Talent der Ordensschwester Margarita Neiteler blieb lange unentdeckt.

In der Ausstellung „Finding Margarita Neiteler“ ist das Werk einer Nonne zu sehen, die als einzige Frau in der Nachkriegszeit den Dom fotografierte.

Die Idee zur Ausstellung „Finding Margarita Neiteler“ kam dem Kölner Fotografen Manfred Linke bereits im Jahr 1999, als er sich mit der fotografierenden Nonne traf. Sie war die Schwester seiner Schwiegermutter, und das, was von ihr erzählt wurde, hatte ihn neugierig gemacht. Die Ordensschwester war vermutlich die einzige Frau, die den Kölner Dom und die zerstörte Innenstadt in der frühen Nachkriegszeit fotografierte. „Ich bin sicher, wäre sie damals mit ihrer Kunst bekannt geworden, dann wäre sie heute eine der größten Fotografinnen aus dieser Zeit“, sagt Manfred Linke.

Aus einem praktischen Auftrag entstanden fotografische Meisterwerke

Bei Kriegsende hatte Schwester Maria Margarita Neiteler im Sankt Elisabeth-Krankenhaus Köln-Hohenlind gearbeitet. „Ihre Arbeit war hier unter anderem, als Röntgenschwester medizinische Fotos zu machen“, erzählt Linke. Daher habe sie ihr Wissen über die Technik des Fotografierens und die Entwicklung im Labor gehabt.

Als der Dom bei Kriegsende stark beschädigt war, haben die Dombaumitarbeiter nach jemandem gesucht, der diese Schäden schnellstmöglich dokumentieren könne. Dass das Sankt Elisabeth-Krankenhaus Hohenlind mit dem notwendigen Equipment ausgestattet war, habe sich mutmaßlich herumgesprochen, und Margarita Neiteler erhielt den Auftrag.

Fotoalbum Familie Neiteler,
Abb. Schwester Margarita Neiteler, 1942

Die Ordensschwester Margarita Neiteler im Jahr 1942.

„Der Anspruch war nur, festzuhalten, was ist kaputt, hier ein Fenster, da eine Säule. Aber sie hat angefangen wie eine hochprofessionelle Fotografin“, sagt Linke. Aus einem rein praktischen Auftrag habe Neiteler Kunst geschaffen, die lange nicht als solche erkannt wurde. 

Als Linke sich 1999 in Greven, Neitelers Geburtsstadt, mit ihr traf, wusste sie selbst nicht, was mit den Fotos von damals geschehen war, nachdem sie sie abgegeben hatte. Da Linke sich für das historische Material interessierte, schrieb sie ihm kurz darauf einen Brief mit mehreren Kontakten, bei denen er nachforschen könne. In diesen Brief befanden sich auch einige Abzüge, Kontakte von Glasnegativen. „Als ich die Bilder gesehen habe, dachte ich, ‚Wahnsinn - was für ein Material‘“, erinnert sich Manfred Linke. „Nicht nur kunsthistorisch und dokumentarisch, sondern auch fotografisch - eine unfassbar hohe Qualität, das hätte ich niemals erwartet“.

Das ist keine nüchterne Dokumentarfotografie, sondern sehr emotionale Aufnahmen des zerstörten Doms.
Manfred Linke

Man könne sehen, dass Margarita Neiteler das Besondere gesucht, auf bestimmte Lichteinfälle gewartet habe, während sie im Dom stand und um sie herum Reperaturarbeiten stattfanden. „Man spürt auf den Bildern auch ihren Glauben. Das ist keine nüchterne Dokumentarfotografie, sondern sehr emotionale Aufnahmen des zerstörten Doms“, sagt Linke.

Die Fotografierende Nonne: Manfred Linke kuratiert eine Ausstellung mit Fotografien aus der Nachkriegszeit von Margarita Neiteler

Der Kölner Fotograf Manfred Linke ist mit Margarita Neiteler verwandt.

Die Kontakte, die Neiteler ihm geschickt hatte, halfen leider nicht dabei, die restlichen Bilder zu finden. 2002 verstarb Margarita Neiteler, es gab vorerst keine weiteren Spuren zu ihrem Werk.

Vor zweieinhalb Jahren dann schlug Manfred Linke den Kölner Stadt-Anzeiger auf und sah eines von Margarita Neitelers Bildern groß abgedruckt, darunter ihr Name. Es ging um einen Bildband des Rheinischen Bildarchivs, in der unterschiedliche Fotografinnen und Fotografen aus Köln vorgestellt wurden. Linke nahm daraufhin die Spur wieder auf und fragte den Leiter des Archivs nach seinem Wissen über Neitelers Bilder. Dieser zeigte sich erstaunt: Man habe die Fotografien mit ihrem Namen erhalten, wisse jedoch nichts über sie als Person.

In alten Briefen berichtet Margarita Neiteler aus der Nachkriegszeit

Linke begann, weiter zu recherchieren. Über seine Familie stieß er auf Briefe von Margarita Neiteler aus der Nachkriegszeit. „Das war ein entscheidender Punkt – denn in diesen Briefen beschreibt sie, wie die Zeit damals war, wie sie gearbeitet und was sie erlebt hat.“

Pressefoto zur Ausstellung "Finding Margarita Neiteler"
Die fotografierende Nonne
Abbildung: Köln, Wiederaufbau das Kölner Dom 1945-1948, Negativglas 13x18cm,
Blick aus dem Kölner Dom auf den zerstörten Hauptbahnhof 

01.12.2025 - 18.01.2026 in den Räumen der Michael Horbach Stiftung, Wormser Strasse 28, 50677 Köln
kontakt@manfred-linke-fotografie.de

Neiteler fotografierte auch die zerstörte Innenstadt: der Kölner Hauptbahnhof.

Neiteler schildert hier beispielsweise, wie sie den Kölner Dom im Ganzen aufnehmen wollte, aber vom Boden aus keine gute Perspektive hierzu einnehmen konnte. Kurzerhand bat sie die Domarbeiter um Hilfe: „Es half alles nichts, um einige anständige Aufnahmen zu machen gebrauchte ich ein mehrere Meter hohes Gerüst. In einer Stunde war es fertig und ich kletterte tapfer mit meinen 13 Kilogramm an Apparat und flatternden schwarzen ‚Photographen – Tuch‘ und flatterndem Schleier hinauf.“

Es beeindrucke ihn, wie zielgerichtet und mutig Neiteler gearbeitet hatte, sagt Manfred Linke. Er könne sich die beschriebene Szene lebhaft vorstellen - er habe sie als „sehr sympathische und lustige Frau, mit ganz wachem, neugierigen und offenem Blick“ erlebt. Sicher habe auch ihr Gottvertrauen eine Rolle gespielt, „wenn man sich vorstellt, wie sie da herumgeturnt ist mit ihrer schweren Kamera und sich scheinbar keine Sorgen gemacht hat.“

Pressefoto zur Ausstellung "Finding Maria Margarita Neiteler"
Die fotografierende Röntgenschwester
Abbildung: Köln, Wiederaufbau das Kölner Dom 1945-1948, Negativglas 13x18cm
7

Kölner Dom, Langhaus? 

01.12.2025 - 18.01.2026 in den Räumen der Michael Horbach Stiftung, Wormser Strasse 23, 50677 Köln
kontakt@manfred-linke-fotografie.de

Neitelers Fotografien sind von überraschend hoher Qualität.

Manche der Bilder wirken fast, als würden sich die Menschen auf ihnen bewegen. Die Gesichtsausdrücke der Domarbeiter sind teilweise deutlich zu sehen, manche von ihnen wirken amüsiert, vielleicht vom ungewöhnlichen Anblick der fotografierenden Nonne. Besonders spannend ist auch, zu sehen, mit welchen Mitteln der Dom in kurzer Zeit wieder aufgebaut wurde: „Das habe ich noch nie so gesehen“, so Linke. 

Aus den Bildern wird deutlich, dass Neiteler nicht einfach ihre Aufgabe erfüllen wollte, sondern ein historisch-dokumentarisches Interesse verfolgte. So nahm sie nicht nur Löcher und Schäden an einzelnen Säulen oder Fenstern auf, sondern fotografierte auch aus den Domfenstern heraus und hielt die in Trümmern liegende Innenstadt fest.

Kriegsfotografien mit aktueller Relevanz

Unter anderem sieht man den zerstörten Hauptbahnhof und dessen Umgebung. „Als ich das hier sah, musste ich sofort an Palästina denken“, sagt Manfred Linke und deutet auf das Foto. „Es sind Kriegsbilder, ähnlich wie die, die wir aus den Medien kennen, nur eben bei uns.“

Die Fotografierende Nonne: Manfred Linke kuratiert eine Ausstellung mit Fotografien aus der Nachkriegszeit von Margarita Neiteler

Die kostenfreie Ausstellung öffnet am Sonntag, 30. November.

Neiteler habe in einem ihrer Briefe ausführlich geschildert, wie sie das Kriegsende in Köln erlebt habe. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete sie eine Zeit lang in einem Lazarett in München, auch von dieser Erfahrung erzählt sie. Talentiert sei sie auch beim Schreiben gewesen: „Die Briefe sind nicht mit Glaubensphrasen überladen, sondern sie schreibt in einer ungewöhnlichen Art, die einen nicht loslässt“, sagt Linke. Ausschnitte aus Neitelers Briefen werden in der Ausstellung in Vitrinen zu lesen sein. Insbesondere für jüngere Menschen könnte der Besuch der Ausstellung spannend sein, findet Linke, „die oft kaum noch eine Idee von dieser Zeit haben“.

Die vergrößerten Bilder zeigen einen Teil von Margarita Neitelers kurzen, aber intensiven Zeit als Fotografin. Sie begrenzen sich auf den Kölner Dom und dessen direkte Umgebung, den sie zur Dokumentation der Schäden und später anlässlich der 700-Jahr-Feier im Jahr 1948 aufnahm. Nach 1949 ist nichts mehr über eine Tätigkeit als Fotografin bekannt, sie ging ihrem Dasein als Nonne nach und hatte ihr „Ämtchen“, wie sie es selbst in Briefen nannte, erledigt.