Das Gürzenich-Konzert mit Absolventen der Kronberg-Academy hätte mehr Zuhörer verdient gehabt. Lionel Martin bot Grandioses.
Kölner PhilharmonieFantastisches Talent, leider vor leeren Rängen

Lionel Martin trat im Gürzenich-Sonderkonzert mit der Kronberg-Academy in der Kölner Philharmonie auf.
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Die Letzten beißen die Hunde, heißt es so schön-hässlich. Der „letzte“ beim Gürzenich-Sonderkonzert mit drei Elite-Studierenden der Kronberg Academy in der Kölner Philharmonie war der Cellist Lionel Martin, der mit dem ersten Schostakowitsch-Konzert erst drankam, als der Zeiger schon fleißig auf 23 Uhr zurückte. Mit der Folge, dass sich die von Anfang an nicht allzu üppig besetzten Publikumsreihen nach der vorangehenden zweiten Pause noch einmal sichtlich geleert hatten (das Konzert hatte wie gewohnt um 20 Uhr begonnen).
Sicher: Die Verbliebenen feierten den Jungstar für seinen grandiosen Auftritt zu später Stunde mit frenetischem Beifall, aber der Auftritt hätte in jeder Hinsicht ein volles Haus verdient gehabt. So viel hochgespannte Expressivität, zerbrechliche Lyrik und zugleich vital-energischer „Biss“ (etwa in der stets neu aktivierten Formulierung des zentralen Vierton-Motivs, das viele Hörer noch in den Nachtschlaf verfolgt haben dürfte) – da wurden Erinnerungen an die ganz großen Interpreten des Werkes wach.
Nach der zweiten Pause erschlafft irgendwann der beste Wille
Also: Im Prinzip hat das neue Gürzenich-Projekt – jeweils drei Stipendiaten der Kronberg Academy, der illustren internationalen Hochbegabten-Ausbildungsstätte vor den Toren Frankfurts, geben einmal im Jahr mit dem stadtkölnischen Klangkörper (diesmal unter Generalmusikdirektor Andrés Orozco-Estrada) ein öffentliches Konzert – seine Premieren-Bewährungsprobe bestanden. Wer dort war, konnte Zeuge davon werden, was großes, ja überwältigendes musikalisches Können im Aufgang ist.
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Bleibt eben das Problem der Programmlänge. Hier empfiehlt sich für die wünschenswerte Wiederholung Abrüstung. Und zwar vor allem bei den vom Orchester noch beigesteuerten Ensemblewerken, diesmal Brahms´ Haydn-Variationen und zwei Suiten-Zusammenstellungen aus Tschaikowskys „Nussknacker“. Die nicht nachlassende Energie, Präzision und Klangkultur des Orchesters auch noch zu später Stunde – zweifellos eine Konzentrationsleistung, die eine eindrucksvolle Durchhaltemoral erkennen ließ.
Zu viel war es eben vor allem für den Hörer. Das Argument, dass schließlich auch Opernaufführungen vier oder fünf Stunden dauern können, ist in diesem Zusammenhang fadenscheinig: Es ist etwas anderes, ob man in einem Werkflow drinsteckt oder sich immer wieder auf ganz Neues einlassen muss. Da erschlafft dann irgendwann der beste Wille.
Bei den Auftritten der drei Solisten stoßen die Möglichkeiten einer Abspeckungskur zweifellos an Grenzen. Sie präsentierten jetzt allesamt massiv armierte und auch entsprechend ausgedehnte Paradestücke des Repertoires – vor dem Schostakowitsch spielten Dmytro Udovgychenko das Violinkonzert von Sibelius und Haesue Lee das Bratschenkonzert von William Walton. Klar, kein Kronberger Violinist kommt nach Köln, um mit Vivaldi aufzuwarten, kein Bratscher, um das Stamitz-Konzert zu servieren, kein Cellist für Boccherini. Es geht schließlich um beides: um die Demonstration technischer Überlegenheit wie geistig-emotionaler Durchdringung anhand einer extrem fordernden Agenda. Auch Udovgychenko – bei Sibelius mit einem dunklen, dichten, körperlich wirkenden Sound und exzellent austarierten Dialogen mit dem Orchester – und Haesue Lee – bei Walton mit warmem, hochkantablem Ton und anrührender Traurigkeit im dritten Satz – bestanden diese Proben, die es ja tatsächlich waren, mit souveräner Bravour.
Bemerklich war hier und dort allenfalls der – indes angesichts von Alter und Erfahrung kaum verwunderliche – Mangel an äußerer Performance-Routine. So fiel etwa die ambitioniert-freudlose Introversion, die Udovgychenko an den Tag legte, schon auf. Das muss man nicht tadeln. So ein Auftritt ist vermutlich ehrlicher und authentischer als die routiniert lächelnde Dauer-Kommunikation, die viele arrivierte Stars des Konzertbetriebs betreiben.

