Henri Christofer Aavik gewann in Köln den German Conducting Award. Doch sein triumphaler Abend endete beim Arzt.
Kölner PhilharmonieNachwuchs-Dirigent renkt sich bei Beethoven die Schulter aus

Der estnische Dirigent Henri Christopher Aavik in der Kölner Philharmonie, vor seinem Unfall
Copyright: WDR/Simin Kianmehr
Beethovens Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“ beginnt mit zwei wuchtigen Schlägen im ganzen Orchester. Göttlicher Zorn oder jäher Ausbruch schöpferischer Energie? Ganz gleich, wie man den markanten Beginn deutet – er muss mit ordentlich Wumms ausgeführt werden.
Daran ließ es Henri Christofer Aavik denn auch nicht fehlen. Den Taktstock hatte der junge estnische Dirigent in der Garderobe gelassen; die Arme holten weit aus und trieben einen mächtigen Akzent in die Reihen des Gürzenich-Orchesters. Zu einem weiteren kam es leider nicht mehr: Nach einer irritierend langen Pause verließ der Maestro, der sich im Eifer des Gefechts die Schulter ausgerenkt hatte, das Podium; der Konzertmeister bat den diensthabenden Arzt hinter die Bühne.
Für Henri Christofer Aavik war es das traurige Ende eines triumphalen Abends. Nicht nur den ersten Preis des zum fünften Mal in Köln vergebenen German Conducting Award hatte der 30-Jährige gewonnen, sondern auch den vom Leipziger Kurt-Masur-Institut gestifteten Publikumspreis. Statt Aavik setzte der zweitplatzierte Finalist, der gleichfalls 30-jährige Luis Toro Araya, mit der Beethoven-Ouvertüre einen musikalischen Schlusspunkt an den langen Abend in der Kölner Philharmonie.
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Nur zwei Frauen schafften es auf die Shortlist der Jury
234 junge Dirigentinnen und Dirigenten aus 50 Ländern hatten sich mit Video-Einsendungen um die Teilnahme am Wettbewerb beworben, der vom Deutschen Musikrat ausgetragen wird. Zwölf von ihnen wurden zu den drei Wertungsrunden nach Köln eingeladen. Nur zwei Frauen schafften es auf die Shortlist, keine von ihnen ins Finale. Man wird der zwölfköpfigen Jury keinen Sexismus vorwerfen wollen; offensichtlich wählen nach wie vor viel zu wenige Frauen den Weg in die alte Männerdomäne des Dirigentenberufs.
Man muss darin eben auch schon einige Schritte vorangekommen sein, um in dem Wettbewerb überhaupt eine Chance zu haben. So nehmen alle Preisträger bereits Dirigenten-Positionen ein – Aavik im estnischen Pärnu, Araya im chilenischen Concepción. Der mit dem dritten Preis ausgezeichnete Deutsche Friedrich Praetorius ist seit dieser Spielzeit Kapellmeister an der Deutschen Oper Berlin.
Henri Christofer Aavik dirigierte Strawinskys „Pulcinella-Suite“
Leer konnte keiner von ihnen mehr ausgehen – sie waren als Preisträger bereits zu Beginn des Abends gesetzt, lediglich die Rangfolge stand noch zur Disposition. Die hätte wohl auch anders ausfallen können, denn natürlich sind alle drei große Talente, wenn auch sehr unterschiedlich im musikalischen Temperament und in der körperlichen Disposition.
Friedrich Praetorius hielt Brahms’ Tragische Ouvertüre mit rhythmischer Strenge und konziser Formgebung zusammen; Luis Toro Araya ging den beständigen Tempo-Schwankungen in Schumanns „Manfred“-Ouvertüre mit großer Flexibilität und hoher Linienspannung nach. Bei Henri Christofer Aavik lag Strawinskys „Pulcinella-Suite“ auf dem Pult, deren ausgesprochen feinsinniger und liebevoller Nachvollzug eher die Rokoko-Reminiszenzen der Partitur ins Visier nahm als ihren ruppigen Humor.
Für die Konzertliteratur war das WDR Sinfonieorchester zuständig; es stand den drei Kombattanten ebenso loyal und aufmerksam zur Seite wie das Gürzenich-Orchester, das nach der Pause drei Opern-Auszüge begleitete. Ivana Rusko (Sopran), Armando Elizondo (Tenor) und Wolfgang Stefan Schwaiger (Bariton) von der Kölner Oper waren auf die Duette aus Mozarts „Così fan tutte“, Strauß’ „Fledermaus“ und Puccinis „La Bohème“ bestens vorbereitet und machten den jungen Kapellmeistern die Sache nicht allzu schwer.
Die Kombination der beiden Bereiche Konzert und Oper ist ein wichtiges Merkmal des Wettbewerbs; er hat damit vor allem die Berufsrealität im Blick, die von jungen Dirigenten heutzutage eine breite Aufstellung im Repertoire verlangt. Den drei hochbegabten Nachwuchs-Musikern ist für ihre Zukunft in dem schwierigen Metier viel Glück und Durchhaltewillen zu wünschen – und Henri Christofer Aavik dazu noch gute und schnelle Besserung.