Die Aktivistin und Künstlerin, die als Pussy-Riot-Mitglied bekannt wurde, spricht bei der lit.Cologne Spezial über ihr Buch „Political Girl“.
Maria Aljochina über Russland„Hört auf, besorgt zu sein und handelt!“

Maria Aljochina bei der lit.Cologne Spezial
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Niemand ist unpolitisch, davon ist Maria Aljochina überzeugt. „Wer sagt, er sei nicht politisch, trifft eine politische Entscheidung“, sagte die russische Künstlerin und Aktivistin am Montagabend im Kölner Comedia Theater bei der lit.Cologne Spezial. Die 37-Jährige weiß, wovon sie spricht. In ihrer Heimat Russland wollte sie nicht schweigen, als Wladimir Putin das Land zunehmend autokratisch regierte.
Im Februar 2012 schrien sie und ihre Mitstreiterinnen mit ihrem Punk-Gebet „Jungfrau Maria, verjage Putin“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale ihre Warnung vor dem russischen Präsidenten und Teilen der orthodoxen Kirche, die ihn unterstützen, in die Welt hinaus.
Mehr als 13 Jahre liegt die Aktion, die sie weltberühmt machte und für zwei Jahre ins Gefängnis brachte, nun zurück. Über ihr Leben, ihr Engagement und die Situation in Russland hat sie das Buch „Political Girl“ geschrieben, das sie im Gespräch mit der Journalistin und früheren WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich, die auch ARD-Korrespondentin in Moskau war, exklusiv vorstellte. Musikalisch wurde der Abend begleitet von dem kanadischen Multimedia-Künstler Eric Breitenbach.
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Aljochina war nie blauäugig, was Putins Pläne angeht, dennoch sagt sie heute: „Ich hätte nicht gedacht, dass diese Entwicklung möglich gewesen wäre.“ Sie hätte gelacht, hätte man ihr gesagt, dass Putin sein Land in einen Krieg führt, den man in Russland nicht als solchen benennen darf. Wer es doch tut, riskiert, für viele Jahre ins Gefängnis zu müssen. „Das ist unglaublich traurig, aber wahr.“
Schon als Kind stellte sie zu viele Fragen, wie sie sagte. Sechsmal wechselte sie die Schule. Der Prozess nach dem Punk-Gebet sei der Startschuss einer Hexenjagd auf sie gewesen. Feminismus sei für Putins Unterstützer eine Todsünde. „Es gibt keine Diktatur, die Frauen nicht unterdrückt.“ Weil sie nach der Haftentlassung nicht als Erstes ihren kleinen Sohn traf, wurde sie als schlechte Mutter beschimpft.
Freiheit ist die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen und dafür Verantwortung zu übernehmen
Nach Putins Amnestie, die sie nicht wollte, musste sie eine Fußfessel tragen, wurde dauerhaft überwacht. Frei fühlte sie sich dennoch. „Freiheit kann mir auch das Gefängnis nicht nehmen. Freiheit ist die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen und dafür Verantwortung zu übernehmen.“ Das wurde ihr gerade im Gefängnis deutlich, in dem sie sich intensiv mit russischer Geschichte und den Dissidenten früherer Jahrzehnte auseinandersetze. Viele von ihnen seien etwa in Hungerstreik getreten, um Haftbedingungen zu verbessern. Das waren manchmal vordergründig nur kleine Schritte, wenn sie etwa erreichten, dass die Verstrebungen, auf denen die Matratzen lagen, verstärkt wurden, damit die Gefangenen ohne Schmerzen schlafen konnten. „Alles, was wir haben, basiert auf dem, was andere erkämpft haben.“
Mikich betonte, dass es sie sehr bewegt habe, dass Aljochina offensichtlich nie ihren Humor und nie ihre Menschlichkeit verloren habe. Auch die Wächter im Gefängnis und andere Staatsbedienstete beschreibe sie mit viel Empathie. „In den Uniformen stecken Menschen, deshalb beschreibe ich sie ohne Hass.“
Jahrelang organisierte die Künstlerin und Aktivistin mit Pussy Riot weitere Proteste in Russland, hängte etwa an offiziellen Gebäuden die Regenbogen-Flagge gegen die homophobe Politik des Präsidenten auf. In Köln zeigt sie Videos der Aktionen. „Wir sind hier, wir existieren, wir haben keine Angst vor euch“, ist ihre Botschaft.
Die zierliche Frau strahlt auf der Bühne eine große Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit aus. „Wir können uns unseren Geburtsort nicht aussuchen, wir können uns die Farbe unseres Passes nicht aussuchen, aber wir können uns aussuchen, wie wir unser Leben leben, ob wir uns gegen das System, das Menschen zu Rädchen im Getriebe macht, zur Wehr setzen oder nicht.“
Irgendwann musste sie fliehen
Doch irgendwann wurde klar, dass sie in ihrem Land nicht bleiben konnte. Nach dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine nahmen die Repressalien weiter zu. Als ihre Lebensgefährtin ein Visum erhielt und ausreisen wollte und ihr selbst eine erneute Gefängnisstrafe drohte, war klar, dass auch sie fliehen musste. Über diese abenteuerliche Flucht, bei der sie viel Unterstützung erhielt, auch von völlig Fremden, sprach sie ebenfalls auf der Bühne. Gehen zu müssen, sei keine bewusste Entscheidung, sondern ein Schock gewesen.
Sie habe nach Putins „Blitzkrieg“ auf die Hilfe des Westens gehofft. „Aber was hat der Westen geschickt? Helme.“ Viel zu lange habe es gedauert, bis auch Kampfjets geliefert wurden. Sie wisse, dass in Deutschland auch linke Politiker von Frieden sprechen. Aber was für eine Art von Frieden sei das, wenn man ukrainische Gebiete dem Diktator und seinem Terror überlasse? „Putin will die Sowjetunion wieder errichten. Teile von Berlin waren auch mal sowjetisch. Wollt ihr das?“ Putins Krieg sei deshalb auch nicht nur gegen die Ukraine gerichtet, sondern gegen den Westen - „gegen euch“.
Demokratische Menschen hätten oft Angst davor, radikal zu sein. Manchmal seien es aber die vermeintlich kleinen Dinge, die helfen: „Schreiben Sie Briefe an inhaftierte politische Gefangene.“ Dafür brauche es nicht viel, dafür müsse man nicht Teil der Regierung sein. Aber in der Eintönigkeit des Alltags im Straflager könne zum Beispiel schon eine Postkarte mit dem Bild eines Wasserfalls helfen. Man könne auch Geld schicken und Nichtregierungsorganisationen wie Memorial unterstützen. Ihre Botschaft aber ist eindeutig: „Hört auf, besorgt zu sein und handelt! Ihr habt eine Stimme.“
Maria Aljochina: „Political Girl: Pussy Riot – Leben und Schicksal in Putins Russland“, Berlin Verlag, 528 Seiten, 26 Euro. Das Buch erscheint am 10. November.

