Christian Măcelaru hat mit dem WDR-Sinfonieorchester die Sinfonien Rachmaninows eingespielt: Eine Übung in großartiger Sentimentalität.
Măcelarus Rachmaninow-CDsAbschiedsgeschenk an das Kölner Publikum

Cristian Măcelaru, ehemaliger Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters
Copyright: Arton Krasniqi
Rachmaninow-Verachtung gehört in bestimmten Musikliebhaberkreisen gleichsam zum guten Ton. Der Mann, so heißt es da etwa, habe, anstatt sich den Herausforderungen eines 20. Jahrhunderts zu stellen, lediglich Tschaikowsky fortgeschrieben, diesen aber mit einer großen Portion Saccharin versetzt und dadurch unerträglich gemacht. Der Beliebtheit im Konzertsaal haben diese Verdikte freilich keinen Abbruch getan – wobei die Popularität aufseiten der Malevolenten den Verdacht mangelnder musikalischer Substanz eher noch fördern mochte.
Bemerkenswerterweise haben sich beide Kölner Traditionsorchester von solchen Ausgrenzungstendenzen stets unbeeindruckt gezeigt. Unter seinem Ehrendirigenten Dmitri Kitajenko spielte das Gürzenich-Orchester vor einigen Jahren den kompletten sinfonischen Rachmaninow ein, und jetzt hinterlässt Christian Măcelaru, der soeben als Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters ausgeschieden ist, sozusagen als Abschiedsgeschenk an sein Publikum, beim Label Linn auf drei CDs gleichfalls eine (in der Philharmonie aufgenommene) sinfonische Totale. Angereichert wird sie durch die wenig bekannten, dabei sehr hörenswerten Tondichtungen „Caprice bohémien“ und „Die Toteninsel“ (inspiriert durch Arnold Böcklins bekanntes Gemälde).
Rachmaninow gehörte in seinen Kölner Jahren zu Măcelarus Favoriten
Rachmaninow gehörte, neben Bartók, Brahms und Mahler, in seinen Kölner Jahren zu Măcelarus Favoriten. Insofern darf das diskografische Dokument auch als ein resümierendes Statement dieser Ära aufgefasst werden. Ist der Dirigent möglicherweise auch um eine implizite Widerlegung besagten Rachmaninow-Bashings bemüht? Nein, das ist er offensichtlich nicht. Măcelaru betreibt keine Ehrenrettung, weil es da, aus seiner Sicht, nichts zu retten gibt. Der aus Russland stammende Weltbürger kommt da ganz selbstverständlich als ganz Großer herüber, der die sinfonischen Traditionen zusammen- und zugleich in eine durchaus fortschrittliche, immer wieder auch harsche und gewalttätige Klangmoderne führt. Ein Meister der motivischen Ökonomie und Verarbeitung ist er ohnehin – nicht nur beim ubiquitären Dies irae. Nichts da mit wohligem Zerfließen und Dampfwalzen-Appeal.
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Klar, der Klang des in allen Belangen herausragend aufspielenden und auch in seinen solistischen Leistungen formidablen Orchesters ist in diesem Sinne entfettet und entschlackt, vital und dramatisch in der Artikulation gegenläufiger Stimmen, nervig-vibrierend in der Herausstellung von Rachmaninows ausgezeichnetem Kontrapunkt. Da mag man sich erinnert fühlen an Măcelarus letztes Interview mit dieser Zeitung, in dem er zufrieden konstatierte, das Orchester spiele „heute sehr elegant, geistreich, und wir haben die Klangmöglichkeiten zu den Extremen hin ausgeweitet: zum Weichen und Eleganten, zu Durchhörbarkeit und Tonschönheit“.
Die ausschließende Alternative „Struktur und Drama versus klangsinnliches Schwelgen“ ist, das zeigt Măcelaru immer wieder nachdrücklich, falsch und beruht auf einem unterkomplexen, ihrem Gegenstand nicht gerecht werdenden Rachmaninow-Verständnis. Man höre zum Beispiel die Seitengruppe im ersten Satz der zweiten Sinfonie (selbstredend ganz zu schweigen vom legendären dritten Satz): Hier animiert Măcelaru die Streicher über lange Minuten hinweg zu einem engelsgleichen Cantabile – da wähnt sich der Hörer tatsächlich im siebten Rachmaninow-Himmel. Măcelaru lässt auch das gefühlige Portamento zu, verweigert sich der „Sentimentalität“ nicht, wo sie unleugbar angezeigt ist. Merke: Es gibt eben auch eine Sentimentalität mit Niveau.
Der Dirigent beweist das, indem er eben auch der Süße eine Struktur gibt – durch genaue Phrasierung und explosive Rhythmik, durch Ein- und Ausatmen, durch Zurücknahme und Nach-vorn-Gehen. Und durch so emphatische wie genau inszenierte Aufgipfelungen. Besagter Strecke im ersten Satz der Zweiten folgt dann freilich wieder eine in ihrem chromatischen Drängen wie ein Tsunami anrollende und also beklemmend-unerbittlich wirkende Durchführung. Măcelaru erweist sich somit als Maestro der herausgestellten und zugleich integrierten, der dramaturgisch zu Versöhnung und Ausgleich gebrachten Gegensätze.
Schade, dass Rachmaninows „Sinfonischen Tänze“ – nicht nur das letzte sinfonische Werk des Komponisten, sondern sein letztes überhaupt – in dieser Aufnahme keine Berücksichtigung fanden. Hier hätten sich alle Tugenden von Dirigent und Orchester noch einmal gewinnbringend versammeln können.
Cristian Măcelaru und das WDR-Sinfonieorchester: „Rachmaninov: Orchestral Works“, 3 CDs, Linn Records