Polke-Ausstellung in DüsseldorfEine fruchtbare Irritation

Lesezeit 4 Minuten

Düsseldorf – Anfang der 1960er Jahre wurde auch in Düsseldorf der Ausstieg aus dem eingespielten Kunst- und Ausstellungsbetrieb geprobt: Gerhard Richter, Sigmar Polke, Konrad Lueg und Manfred Kuttner, allesamt Studenten der Kunstakademie, hatten sich entschlossen, selbst initiativ zu werden.

Sie veranstalteten in einem alten Ladenlokal eine Aktion, der bald weitere folgen sollten. „Demonstrative Ausstellung“ hieß die erste Schau, „Leben mit Pop – Demonstration für den Kapitalistischen Realismus“ die folgende.

Ironie oder eine pfiffige Vermarktungsstrategie?

Was allerdings genau damit gemeint war, blieb bereits damals der Kreativität der Besucher überlassen. Zu Recht wurde nach den Motiven hinter dem bald etablierten Label Kapitalistischer Realismus gefragt.

Alles zum Thema Gerhard Richter

War es Ironie oder eine pfiffige Vermarktungsstrategie? Eine Kunstrichtung oder eher ein Format für Gesellschaftskritik? War es Fluxus als Angriff auf ein erstarrtes marktorientiertes System mit dem Kunstwerk als bürgerlichem Fetisch? Es war wohl von allem etwas und anscheinend auch ein großer Spaß.

Zahlreiche famose Originale

Der weitere Gang der Geschichte ist bekannt: Polke und Richter sind als Künstler höchst erfolgreich geworden, Lueg unter seinem richtigen Namen Konrad Fischer als Top-Galerist ebenso. Einzig Manfred Kuttner – dessen Werk sich irgendwo zwischen Bridget Rileys Op Art-Anfängen und Ferdinand Kriwets Text- und Farbbildern bewegte – verabschiedete sich 1964 von der Kunst. Er musste Geld verdienen. Die kapitalistische Realität hatte ihn eingeholt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Anlässlich des 80. Geburtstags von Sigmar Polke (1941 Oels – 2010 Köln) richtet die Kunsthalle Düsseldorf dem Künstler nun eine Jubiläumsausstellung aus, die neben zahlreichen seiner famosen Originale auch Arbeiten jüngerer Künstler über den Einfluss Polkes erzählen lässt. Das von der Anna Polke-Stiftung und der Kunsthalle initiierte Jubiläumsprojekt „Produktive Bildstörung“ hat das Ziel, „Polkes Werk an gegenwärtige Bild- und Mediendiskurse anzubinden und so neue Perspektiven darauf zu eröffnen“.

Sein Werk wirkt weiter

Sein Werk hat sich bis in heutige Kunstproduktion fortgeschrieben. In den meisten Fällen ist der Polke-Bezug in den Werken von Kerstin Brätsch, Camille Henrot, Raphael Hefti, Trevor Paglen, Phoebe Collings-James, Avery Singer, Seth Price und Max Schulze dann auch unübersehbar. Zum Beispiel wenn, wie in den Polycrystal-Bildern von Raphael Hefti, mit flüchtigen Materialien dem Zufall Raum gegeben wird.

Dann wieder sind es Inhalte und Themen wie bei den Glasbildern von Kerstin Brätsch, die den Anschluss an Polke sichtbar machen. Diese gewisse Leichtigkeit aber, die Polkes Arbeiten auszeichnet, wird von den Jüngeren deutlich ernster beantwortet.

Humor und Ironie

Polke ist ein Künstler, der immer schon vor allem von Kollegen hoch geschätzt war und dessen von Humor und Ironie getragene Werke sich kritisch auch mit der Konsumgesellschaft und deren Symbolen auseinandersetzten. Für seine Gemälde, Druckgrafiken, Skulpturen verwendete er gerne Motive der Alltagskultur, Dekostoffe oder Comicfiguren, die grob aufgelösten Punktraster wurden sein Markenzeichen.

Genauso die untypischen Malmaterialien, natürliche oder synthetische Substanzen, deren Entwicklungsprozesse mit Fertigstellung der Arbeit nicht zwangsläufig abgeschlossen waren: Wer lenkt den künstlerischen Prozess wenn die Oberfläche oxidiert?

Ein stiller Film

Der schwarz-weiß verwaschene Film „Drone Vision“ (2010) des Amerikaners Trevor Paglen zeigt die Videoaufnahmen einer Überwachungsdrohne. Der stille Film ist Teil seiner künstlerischen Untersuchungen zur Überwachung im militärisch-industriellen Komplex.

Paglen kapert die Spionagetechniken und löst mit seinen Fotografien, Videos, Skulpturen oder Essays die Grenzen von Kunst, Wissenschaft und investigativem Journalismus auf. Die Übergänge werden fließend und löchrig. Niemand kann sich mehr sicher sein.

Massenmedial verbreitete Bilder haben schon in den 1960er Jahren die Künstler faszinierte; auch Sigmar Polke und seine Kollegen begannen damals, mit diesen zu experimentieren.

Zeitungsseiten wurden zu Gemälden, Fernseh- und Filmbilder wurden stillgestellt, benutzt, umcodiert und ebenfalls in andere Medien transformiert. Nicht umsonst heißt die Kunsthallen-Schau „Produktive Bildstörung“, genau das nämlich war es, was der Künstler mit seinen Interventionen erreichte, eine fruchtbare Irritation und Lädierung vorgefasster Bilder/Ansichten.

Befremden und Unruhe

Da wird manipuliert und experimentiert, unkalkulierbare chemische Reaktionen werden Teil des sich nun wie von selbst verändernden Werkes. Auch die demokratische Verbreitung und schamlose Nutzbarmachung vertrauter Images waren, so wie das Hinterfragen der Autorschaft, Teil der Befreiung des Kunstwerkes. Es ist wohl dies der anschlussfähige Diskurs, dem die Ausstellung mit Sigmar Polkes Hilfe auf der Spur ist.

Künstlerinnen und Künstler heute knüpfen gerne an jene Gesten an, die Ungereimtheiten und Empörung, Befremden und Unruhe provozieren. Die Techniken, auf die dabei zurückgegriffen wird, sind, heute wie damals, zeitgemäß und aktuell. Und, sie müssen nicht unbedingt dem Kunstkontext entstammen. Auch das ist ein Vermächtnis Polkes und seiner Mitstreiter.

Informationen

Kunsthalle Düsseldorf, „Produktive Bildstörung. Sigmar Polke und aktuelle künstlerische Positionen“, bis 6. Februar. Im Rahmen eines internationalen, hybriden Festivals (25.–27.11.21) an der Kunstakademie Düsseldorf knüpfen Akteure unterschiedlicher Disziplinen an die Themen der Ausstellung an. Die Entstehungszusammenhänge, Wahrnehmungsbedingungen und Erscheinungsformen des Phänomens sowie das produktive Potenzial der Bildstörung  werden diskutiert. 

KStA abonnieren