Start der Opernsaison mit Richard StraussFunkelndes Licht und düstere Schwere

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AJ Glueckert und Giulia Montanari in „Die Frau ohne Schatten“.

AJ Glueckert und Giulia Montanari in "Die Frau ohne Schatten".

Das Publikum sitzt mitten im fulminanten Klanggeschehen - die Premiere von Richard Straussʼ „Die Frau ohne Schatten“ an der Oper Köln.

Zwei Frauen, zwei Männer, zwei Verhaltensweisen. So weit, so klar. Doch es herrscht heilloses Chaos. Richard Straussʼ Oper „Die Frau ohne Schatten“ auf ein Libretto von Hugo von Hofmannsthal ist ein Zauber- und Märchenspiel, symbolistisch rätselhaft und vieldeutig wie Mozarts/Schikanenders „Die Zauberflöte“.

Es geht um Liebe und Hass, Leben und Tod, Unkenntnis und Wissen, Treue und Verrat. Es gibt ein hohes und ein niederes Paar, eine Wasser- und Feuerprobe. Im Verborgenen wirkt ein mächtiger Zauberer als Geisterfürst, der geheimnisvolle weiß gewandete Damen und Herren auf die Bühne entsendet, um den unglücklich verstrickten Personen weise Ratschläge zu erteilen. Nach drei Akten und gut drei Stunden luxurierend vielfältiger Musik bringt der Kaiser alle Irrungen und Wirrungen auf den Punkt: „Nur aus der Ferne war es verworren.“ Und näher besehen wird deutlich, eben dieser Kaiser trägt an vielem Schuld.

Der Kaiser (strahlend AJ Glueckert) schießt auf der Jagd eine Gazelle, die sich prompt in eine Frau verwandelt, die jedoch keinen Schatten wirft. Und ein Flucht besagt, dass der Kaiser zu Stein werden muss, wenn seine neue Frau nicht binnen eines Jahres von ihm schwanger wird. Wie andere Fabelwesen, Undinen, Melusinen oder Meerjungfrauen ist die Kaiserin (Daniela Köhler mit zu viel Vibrato) defizitär veranlagt.

Ohne Schatten kein Licht, ohne Leiden keine Freude

Während jene Zwischenwesen schöne Frauenbeine oder Seelen vermissen, fehlt ihr eben der Schatten. Dieser steht nicht nur für Fruchtbarkeit und Empfängnis, sondern allgemein für Leiblichkeit, Empfindung, Menschsein und damit auch für die Verfallenheit an das Reich der Schatten, sprich Sterblichkeit. Ohne Schatten kein Licht, ohne Leiden keine Freude. Das drohende „Versteinern“ des Kaisers ist Kehrseite seines egozentrischen Umgangs mit der ihm zugeflogenen Frau, die für ihn kaum mehr ist als eine leblose Sexpuppe, derer er sich täglich in einem von allen Menschen verborgenen Pavillon bedient.

Die Geschlechterbilder und Rollenmuster wirken vordergründig reaktionär und schienen auch schon bei der Wiener Uraufführung der Oper 1919 aus der Zeit gefallen: der Mann geht jagen und lebt seine Sexualität aus; die Frau ist unselbständiges Objekt maskuliner Begierden und nur als Gebärende und Mutter auch wirklich Frau oder überhaupt Mensch.

Die Stereotypen bröckeln jedoch durch die von einer hexenhaften Amme (Irmgard Vilsmaier durchaus passend etwas hart und spröde) eingefädelten Kollision mit einem zweiten Paar. Gegenüber dem biologischen Geschlecht zeigt sich nun auch das soziale Geschlecht.

Die Geschlechter-Stereotypen bröckeln

Während sich die Feenfrau dem Kaiser bedingungslos hingibt, verweigert sich die aller spießigen Kleinbürgerlichkeit überdrüssige Färbersgattin (überragend kapriziös Lise Lindstrom) rigoros ihrem fleißigen, ehrbaren und lebenslustigen Handwerker (fest und ausdrucksstark Jordan Shanahan). Dieser gesellige Familienmensch träg als einziger einen persönlichen Namen - Barak - und wünscht sich nichts sehnlicher, als mit seiner Frau viele Kinder zu haben.

Katharina Thomas Neuinszenierung im Bühnenbild von Johannes Leiacker zeigt ein treppenartig aufsteigendes Plateau. Darauf thront ein massiger Felsklotz als Sinnbild der verhärteten Seelen, die nur durch wahre Liebe zu echter Menschlichkeit geführt werden können. Das Märchenmotiv des „steinernen Herzens“ steht auch hier für emotionale und soziale Kälte.

Chor der Oper Köln, AJ Glueckert, Giulia Montanari.

Chor der Oper Köln, AJ Glueckert, Giulia Montanari.

Grau verhüllte Lemuren unterstreichen das Negativbild. Stein und Stufen dienen auch als Projektionsflächen für Videos von Georg Lendorff. Die Szenerie wird wahlweise versteinert oder aufgebrochen sowie mit Schattenrissen, Spinnennetz, Laub und Wasserflut überzogen. Die Kostüme von Irina Bartels trennen klar zwischen der surrealistisch-körperlosen Strenge der aseptischen Geisterwelt und den farbenfrohen, schmutzigen, versehrten Menschen- und Schmuddelkindern.

Die Hauptpartie der Oper ist das groß besetzte Orchester als treibende Kraft aller Verwandlung und Läuterung. Das Gürzenich-Orchester gestaltete die farbenreiche und plötzlich zwischen Extremen umschlagende Partitur unter Leitung von Marc Albrecht ausgezeichnet singend, sprechend, erzählend und klangmalend mit funkelndem Licht und düsterer Schwere.

Den Übergang von der Geister- zur Menschenwelt schildert ein furioses Zwischenspiel mit widerstreitenden Stimmen, Dissonanzen, Fanfaren und brutalen Schlägen, in denen die während der Komposition 1915 wütende Katastrophe des Ersten Weltkriegs anklingt. Hofmannsthals zwischen salbungsvoller Gravität und spielerischer Leichtigkeit changierende Dichtung verwandelte Strauss zu ironisch überspitzten Situationen von Donner, Felssturz, Fluch, Verdammnis, unwirklicher Glasharfe, überschwänglicher Sehnsucht, triumphalen Trompeten und acht Hörnern. Von Geister- und Kinderchören, Schlagzeugern und Bläsern vor und hinter der Tribüne umgeben sitzt das Publikum mitten im Klanggeschehen. Ein Erlebnis!


Nächste Vorstellungen im September: 20./23./29., im Oktober: 03/08. oper.koeln.de

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