TV-Kritik„Glatt und bitter“ – So kommentierten Schulz und Böhmermann den ESC

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Großbritannien, Liverpool: Loreen (hinten M) aus Schweden reagiert während der Abstimmung beim Finale des 67. Eurovision Song Contest (ESC) in der M&S Bank Arena. Im Vordergrund sind Lord Of The Lost aus Deutschland zu sehen.

Wieder Letzter! Die deutschen Teilnehmer Lord of the Lost sind not amused.

Peter Urban kommentierte zum letzten Mal den Eurovision Song Contest, Jan Böhmermann und Olli Schulz zum ersten Mal. Ein Stilvergleich.

Wie ernst sollte man den Eurovision Song Contest nehmen? Ein Bekannter betreibt ihn als Hochamt mit strengen liturgischen Regeln, schaut die Halbfinale und das eigentliche Ereignis allein, weil er die Flapsigkeit, mit der andere auf die dargebotenen Exzentrizitäten reagieren, als lästerlich empfindet. Die Nachbarn dagegen feiern eine große Party – verkleidet in den einprägsamsten Kostümen der vergangenen ESC-Jahre.

Wer nicht so sehr emotional ins Liverpooler Geschehen involviert sein, aber dennoch irgendwie Spaß haben wollte, dem bot der Österreichische Rundfunk eine Alternative: Der Jugendradiosender FM4 hatte das deutsche Moderatorenteam Jan Böhmermann und Olli Schulz zum Kommentieren eingeladen. Der Hamburger Musiker und der Kölner Satiriker werfen sich seit elf Jahren am Mikrofon die Bälle zu, seit 2016 im enorm erfolgreichen Spotify-Podcast „Fest & Flauschig“.

Ein Interessenkonflikt von Böhmermann und Schulz

Das führt sogleich zu einem ersten kleinen Interessenskonflikt: Der diesjährige Wettbewerb beginnt mit dem österreichischen Beitrag, dem weiblichen Duo Teja & Salena und ihrem Song „Who the Hell Is Edgar?“. Der klingt zunächst wie eine der dümmlicheren Bollernummern – wir zitieren den Refrain: „Poe, Poe, Poe, Poe, Poe, Poe, Poe, Poe, Poe“ – beschreibt aber sehr präzise den Zusammenhang zwischen Kreativität und Armut und zitiert die mageren 0,003 Cents, die für Künstler auf Spotify pro Stream abfallen.

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Woraufhin Böhmermann scherzt, dass Spotify dem Moderatoren-Duo den Learjet von Beyoncé für die Reise nach Liverpool vermittelt habe. Na ja. Das ist so semi-lustig. Immerhin darf man sich Teja & Salena ungestört anhören, das gilt für die nächsten Lieder nicht mehr. Dass Krieg blöd ist, ereifert sich Böhmermann anlässlich des eidgenössischen Beitrags „Watergun“ von Remo Furrer, singe sich natürlich leichter als Schweizer. Woraufhin die Moderatoren eine Chips-Packung öffnen und die Tonspur ostentativ mit Kaugeräuschen belegen.

Wie schnell Ironie nerven kann

Das nervt selbstredend nach wenigen Sekunden und überhaupt fühlt es sich zunehmend an, als hätte man sich zwei vor Ironie triefende Gäste ins Haus geladen, die nun einfach nicht mehr aufhören können zu reden, auch und vor allem nicht während der Darbietungen, um die es doch eigentlich geht. Egal wie lächerlich, langweilig oder geschmacksfern diese sein mögen.

Also umschalten aufs Erste, wo Peter Urban seinen letzten ESC kommentiert. Seit 1997 begleitet der NDR-Moderator das Wettsingen, immer superkompetent – dass Spanien mit einer Billigkopie seines Superstars Rosalía antritt, erkennt der 75-Jährige sofort, ebenso das Problem der arg statischen französischen Sängerin: „Warum haben sie die nur auf diesen Turm festgebunden?“

Wo sich Schulz und Böhmermann mit hämischen Kommentaren überbieten, setzt Urban auf ultralakonische Ironie. Als Jedward, das eineiige Zwillingspaar mit dem Rasierpinselhaarschnitt 2011 für Irland antrat, entfuhr Urban der Ausruf „die arme Mutter“. Das war in Düsseldorf, ein Jahr nach dem ESC-Gewinn von Lena Meyer-Landrut. Seitdem hält Deutschland, mit wenigen Ausnahmen, ein Dauerabo auf den letzten Platz. Und Urban muss seine Ironie jeweils an dieser Stelle abschalten, weil ja sein eigener Sender den jeweiligen Verlierer ausgesucht hat.

Nächstes Jahr die Böhsen Onkelz schicken?

Die Geschichte wiederholt sich in Liverpool. Die hanseatischen Dark-Rocker Lord of the Lost holen gerade mal 18 Punkte, Platz 26 von 26. Das ist immerhin besser als die „Allemagne Zero Points“, die Böhmermann in seiner treffenden Satire zum Wettbewerb vorausgesagt hatte. Das Wort zum Sonntag spricht allerdings Olli Schulz: „Glatt und bitter“ wäre das Ergebnis von „Blood & Glitter“, „ich glaube im nächsten schicken die Deutschen einfach die Onkelz“. „Dann nehmen wir das mit Gewalt ein“, ergänzt Böhmermann.

Zur endlosen Auszählung der Punkte, den stets enervierenden Selbstdarstellungsversuchen der Ansagenden aus den jeweiligen Teilnehmerländern, ist das albernde Duo wieder Gold wert. Gerade, weil sie sich so müde und leicht benebelt fühlen wie wohl auch die meisten Fernsehzuschauer. „Lauter Retraumatisierungen“, fasst Böhmermann den Schnelldurchlauf der Interpreten zusammen. Das sei wie einer Kuhgeburt zuzuschauen, kommentiert Schulz die schlimm-schnulzige Coverversion von John Lennons „Imagine“, mit der das Zwischenprogramm beginnt.

Es ist ebenso erfrischend, wie unverhohlen parteiisch das Duo ist: Den Auftritt der schwedischen Favoritin Loreen hatte Urban als „Kampf gegen die Sonnenbank“ bezeichnet. Schulz und Böhmermann hatten hier eine „Frau zwischen zwei Toastscheiben“ ausgemacht. Als schnell klar wird, dass Loreens Sieg kaum mehr einzuholen ist, platzt es aus Olli Schulz heraus: „Mir reicht’s, Sauerei!“

Wir waren ja auch eher für Italien. Die wahren Gewinner waren übrigens Liverpool und die BBC – der Spagat zwischen mitreißender Party und warmherziger Hommage an die Ukraine, an deren Stelle man den ESC austrug, hätte kaum perfekter ausfallen können. Das lag nicht zuletzt an den ultracharmanten Moderatoren Hannah Waddingham und Graham Norton. Letzterer musste zwischen Bühne und Moderatorenbox sprinten. Nächstes Jahr in Schweden darf er sich wieder aufs Kommentieren konzentrieren. Präzise wie Urban, spontan und unerschrocken wie Schulz und Böhmermann.

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