Ukraine-Präsident SelenskyjDen Krieg der Bilder hat er schon gewonnen

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

Bilderkrieg im T-Shirt: Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine  

Kiew – Jeder moderne Krieg ist auch ein Krieg der Bilder, ob es sich nun um Fotografien und Filmdokumente des unmittelbaren Geschehens handelt, oder um das Bild, das sich jede und jeder vom Krieg, beziehungsweise vom Verlauf desselben macht. Und zumindest diesen medialen Krieg scheint Russland gerade zu verlieren, angefangen beim Eindruck, den die beiden Hauptdarsteller des Imagekrieges hinterlassen.

Das klingt beinahe frivol und selbstverständlich handelt es sich nur um einen Nebenaspekt der realen Kampfhandlungen und des Leids der ukrainischen Bevölkerung. Aber vielleicht ist der gar nicht so unwichtig.

Putins Wut-Maske

Unzählige Artikel (und private Unterhaltungen) haben in den vergangenen Tagen das Auftreten des russischen Präsidenten kommentiert oder zu deuten versucht: Fast immer war dabei von dessen maskenhaft versteinertem Gesicht und der schnaufenden, kaum verhohlenen Wut hinter dieser Maske die Rede.

Alles zum Thema Wolodymyr Selenskyj

Das sind Bilddeutungen, freie Interpretationen, die man einerseits nicht mit Fakten verwechseln sollte, die jedoch andererseits eben solche schaffen: Als Image überlagern diese Bilder nun sogar jede Propagandaposen des hemdlosen Actionmanns Putin, über die man sich im Westen einst köstlich amüsierte – was nicht zuletzt dazu beitrug, die Gefahr zu unterschätzen, die von ihm ausgeht.

Vom Paddington-Bär zum Kriegsheld

Auch über Wolodymyr Selenskyi pflegte man zu lachen, schließlich ist er als Komiker bekannt geworden. In den „Paddington“-Filmen war er die ukrainische Synchronstimme des tapsigen Bären. Vor allem aber hatte er, bevor er zum Präsidenten der Ukraine gewählt wurde, diese Rolle in einer satirischen Fernsehserie gespielt.

Im Krieg überlagern sich nun Selenskyis Kameraerfahrung und politischer Instinkt auf denkbar günstige Weise: Im T-Shirt oder im Armee-Pullover berichtet der Präsident aus dem belagerten und beschossenen Kiew, auch per verwackelten Selfie-Video, ruft die Weltgemeinschaft um Hilfe an, bewirbt sich aus dem Nichts um die EU-Mitgliedschaft und appelliert im Stundentakt per Twitter, Telegramm, Facebook oder Instagram an seine Mitbürger.

Der Wut-Maske seines Gegners setzt er Offenheit und Nahbarkeit entgegen. Schon wird der mediengewandte Präsident von westlichen Medien als „Held“ gefeiert.

Facebook, Twitter streiten mit Russland

Auch sonst hat die Ukraine in den Sozialen Medien bereits einige Schlachten gewonnen: Russland hat den Zugang seiner Bürger zu Facebook und Twitter eingeschränkt, nachdem sich beide Unternehmen geweigert hatten, Inhalte staatseigener Medien ohne eigene Faktenchecks zu veröffentlichen. Youtube gibt an, bereits tausende russischer Propagandavideos gelöscht zu haben.

Die Ukraine hat derweil über ihren offiziellen Twitter-Account zu Spenden in Kryptowährung aufgerufen, worauf in weniger als drei Tagen ein zweistelliger Millionenbetrag zusammenkam.  

Das könnte Sie auch interessieren:

Den Kampf der Meme hat die Ukraine schon für sich entschieden: Millionen Menschen haben den kurzen Film gesehen, der einen einzelnen Mann zeigt, der sich auf einer Straße einem Konvoi russischer Panzer entgegenstellt oder die trotzig-obszöne Botschaft ukrainischer Grenzposten auf der Schlangeninsel an ein russisches Kriegsschiff geteilt.

Das sind zuerst einmal nur Geschichten, die nichts daran ändern, dass das russische Militär dem ukrainischen haushoch überlegen ist. Und doch haben diese Geschichten und Bilder dazu beigetragen, den Widerstandsgeist des ukrainischen Volkes zu wecken und auch das Ausland wachzurütteln.

In einem Gastbeitrag für den „Guardian“ behauptet der Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari sogar, Putin hätte seinen Krieg bereits verloren. Nationen seien letztlich auf Geschichten aufgebaut, sagt Harari: „Mit jedem Tag, der vergeht, kommen weitere Geschichten hinzu, die die Ukrainer nicht nur in den kommenden dunklen Tagen, sondern auch in den kommenden Jahrzehnten und Generationen erzählen werden.“ 

KStA abonnieren