Videonale in BonnEin Kunstfestival als darwinistische Übung

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Eine aktualisierte Alice stürzt in Stéphanie Lagardes Video „Minimal Sway While Starting My Way Up“ das Kaninchenloch hinab

Eine aktualisierte Alice in Stéphanie Lagardes Video „Minimal Sway While Starting My Way Up“

Das Bonner Videokunstfestival kämpft um Aufmerksamkeit und Relevanz. Mitunter mit Werken, bei denen einem mulmig werden kann.

In der Theorie bieten Videokunstfestivals wie die Bonner Videonale ideale Bedingungen für ihr in altehrwürdigen Museen immer noch etwas verloren herumstehendes Medium. In der Praxis fragt man sich dann allerdings auch auf der 19. Videonale, ob die 27 präsentierten Werke nicht mehrheitlich in einem Kinosaal besser aufgehoben wären. Statt Videoskulpturen sieht man im Bonner Kunstmuseum vorwiegend Filme, die wie im Heimkino über Riesenbildschirme flimmern – der Ausstellungsmehrwert ist gering. Gut gelöst ist immerhin das Lärmproblem: An jeder Station stöpselt man seinen Kopfhörer in freischwingende Audiobuchsen ein.

Auf der Videonale herrscht das Zapping-Prinzip

Für das Ausstellungsformat spricht, dass man nicht 27 Videos in voller Länge absitzen muss, sondern bei laufendem Betrieb zwischen ihnen springen kann. Allerdings führt dieses Zapping-Prinzip nicht selten zu einem darwinistischen Kampf um Aufmerksamkeit – was nicht sofort fesselt, geht leicht unter, denn der nächste Bildschirm wartet schon.

Am besten schlagen sich unter diesen Bedingungen Videos, die, wie Andrew Norman Wilsons „In the Air tonight“, durchgängig Schauwerte zu bieten haben. Wilson hat den gleichnamigen Hit von Phil Collins mit Nachtbildern aus Los Angeles und einer Erzählerstimme, wie man sie aus Film Noirs kennt, unterlegt, und bedient sich auch sonst freimütig aus der Traumsphäre von Musikvideos. An Maija Blafields „The Fantastic“ fasziniert hingegen die Sprödheit, mit der die Künstlerin grobkörnige Impressionen aus Nordkorea aneinanderreiht. Auf der Tonspur berichten Einheimische, wie sie sich mithilfe ins Land geschmuggelter Spielfilme ein realistisches Bild der Außenwelt ausmalen.

„Colony“ von Dor Guez handelt von einer kolonialen Invasion Palästinas

Alices literarischen Sturz ins Wunderland hat sich Stéphanie Lagarde zum Vorbild genommen – wobei das Kaninchenloch in „Minimal Sway While Starting My Way Up“ der Schacht eines hochmodernen Fahrstuhls ist und zunächst in die fantastische Höhe der globalen Finanzwelt führt. Auf die glitzernden Fassaden der Hochfinanz folgen die Tiefen unterirdischer Bergwerksstollen, also der Ort, an dem der zerstörerische Reichtum erwirtschaftet wird.

Man merkt dem Themenfeld der 19. Videonale an, dass das Festival um Aufmerksamkeit und Relevanz kämpft: Von Queerness bis Klimakrise fehlt auf ihm kein Debattenstichwort der Gegenwart, ästhetisch ist vieles hingegen dürftig. Ausgerechnet die formal herausragende Arbeit der Ausstellung, Dor Guez‘ dreiteilige Videoinstallation „Colony“, sieht man mit mulmigen Gefühlen an. Der israelische Künstler rekonstruiert mit vorwiegend historischen Fotografien eine Heuschreckenplage im Palästina des Jahres 1915 und lässt einen Sprecher auf Arabisch über die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels und die Dynamik kolonialer Invasionen sinnieren.

Guez enthält sich konkreter Bezüge zur Gegenwart, doch kommt man kaum umhin, die Heuschrecken-Metapher auf die aktuellen Debatten um den israelischen „Siedlerkolonialismus“ zu beziehen. Offensichtlich trägt die absurde Analogie nur so weit, wie man im Staat Israel eine biblische Plage der palästinensischen Bevölkerung sehen will. Für letztere hält Guez‘ Erzähler einen besonderen Trost bereit: Jede Kolonie, raunt er, sei in ihrem unstillbaren Hunger dazu verdammt, sich selbst zu zerstören.

Videonale 19, Kunstmuseum Bonn, bis 14. Mai

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