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Erstes von zwei Konzerten in KölnSo nah kommt Billie Eilish ihren Fans in der Lanxess-Arena

Lesezeit 6 Minuten
Billie Eilish singt inmitten von Konfettiregen. Die Lanxess-Arena hat sie an zwei Abenden ausverkauft.

Billie Eilish beim Finale ihres ersten Konzerts in der Lanxess-Arena.

Am 29. und 30. Mai singt Oscar-Preisträgerin Billie Eilish in der Kölner Lanxess-Arena. Unsere Kritik des ersten von zwei ausverkauften Konzerten.

Ein weiß leuchtender Käfig pulsiert in der Mitte des Innenraums, in ansteigender Frequenz. Dann wird der flackernde Gitterwürfel hochgezogen, fette Keyboardschübe antworten dem gemeinschaftlichen Ruf des Publikums. Enttäuschtes Stocken: die unten freigelegte Bühne ist leer, der Würfel senkt sich wieder. Billie Eilish aber thront auf einer Plattform darüber. Im Mittelpunkt der an zwei aufeinanderfolgenden Abenden mit jeweils 18.000 Menschen ausverkauften Arena, ganz nah bei ihren Fans und zugleich ganz allein auf ihrer schwebenden Bühne.

„Korn“ steht auf ihrem weit geschnittenen, dunkelblauen Trikot, woher sie diese uralte Nu-Metal-Band wohl kennt? Dazu trägt sie eine halblange, rote XXL-Trainingshose, ihren Kopf bedeckt eine blaue Mütze (die sogleich gegen eine Baseballkappe eingetauscht wird).

Billie Eilish: Zwei ausverkaufte Konzerte in der Lanxess Arena

Der kleine Zauberwürfeltrick schlägt in lautstarke Fan-Entgeisterung um, und für einen Moment badet die 23-Jährige im Tosen der Arena, dann setzt der Midtempo-House-Beat von „Chihiro“ ein, und Billie singt aus der Perspektive der gleichnamigen Studio-Ghibli-Heldin vom Weggehen und Wiederkommen. Davon, wie man stets als eine andere zurückkehrt – „you can’t go home again“, schrieb der US-Autor Thomas Wolfe –, wie aber auch die Menschen, die man vermisst hat, sich verändert haben und wie sich die Liebe im Transit des Alltags verflüchtigt.

Es ist die Klage eines um die Welt tourenden Megastars, aber sie ist für jeden jungen Menschen in der Kölner Großraumhalle nachvollziehbar: So fühlt es sich an, wenn die Schule dich ausspuckt und in die Welt stolpern lässt, wenn sich alles unheimlich laut und unglaublich nah anfühlt, nur nicht man selbst. Man ist sich fern, ist gehemmt, fürchtet, statt zu leben, nur das Leben für die Blicke anderer zu performen. Man kann dieses Ringen mit der Welt auf Eilishs ersten drei Alben nachhören: vom elektrisch aufgeladenen Hormonhorror des Debüts über den jazzigen Klassizismus des Nachfolgers – tief im Herzen ist die Hochbegabte aus Los Angeles nämlich Traditionalistin – bis zum luftigen, gleichwie kunstvollen Pop der aktuellen Veröffentlichung „Hit Me Hard And Soft“.

Billie Eilish kniet mit einer E-Gitarre auf der Bühne in der Lanxess-Arena. Den linken Arm hat sie hochgestreckt, in den Fingern hält sie ein Plektrum.

Während „Happier Than Ever“ greift Billie Eilish zur E-Gitarre.

Noch während dieses ersten Songs schwebt Billie Eilish zurück auf die Bühne in der Mitte der Lanxess-Arena, läuft eine Ehrenrunde um das lange Rechteck, noch näher an den Fans, die schon seit Tagen ausgeharrt haben, um einen Stehplatz in Reichweite zu ihrem Star zu ergattern. Sie alle könnten Billie sein, sie alle hatten große Träume in kleinen Kinderzimmern, einmalig ist allein das früh ausgereifte Talent ihres Idols. Ihre erste Single, „Ocean Eyes“, hatte Eilish mit 13 Jahren auf Soundcloud hochgeladen. „Grow old with me“, hatte der britische Singer-Songwriter Tom Odell in Vorprogramm des Abends mit einer Extraportion Inbrunst gefleht. Eilish-Fans der ersten Stunde durften in den vergangenen zehn Jahren genau das erleben.

Auch „Ocean Eyes“ steht heute Abend auf der Setliste, Billie spielt das Stück allein am Keyboard, bevor die Band einsetzt und Bilder wild wogender Wellen auf den Würfel projiziert werden: Wie mächtig solche frühpubertären Gefühle doch in einem hochschwappen können! Und immer wieder geht der Blick zu den LED-Schirmen, die vom Dach hängen, zu Eilishs Ozeanblick, der irgendetwas hinter dem Horizont zu fixieren scheint. Vielleicht ist es die letzte hohe Note des Songs, fast außerhalb ihres Stimmumfangs, die sie an diesem Donnerstag perfekt trifft.

Billie Eilish tanzt selbstvergessen in Lasergewittern

Jetzt tanzt sie selbstvergessen in Lasergewittern, gelöst. Hüpft zur ersten „Hit Me“-Single „Lunch“, das Lied handelt unverblümt von lesbischer Lust und der muskulöse Groove, in dem es endet, deutet die prompte Erfüllung ihres Begehrens an. Passenderweise folgen gleich darauf „NDA“ – die Abkürzung steht für „Vertraulichkeitsvereinbarung“, für die nahezu unmögliche Mission, die eigene Sexualität im Licht der Öffentlichkeit zu finden und auch auszuprobieren – und „Therefore I Am“, Billies stachelige Ergänzung des Descartes'schen Cogito: „Du denkst, Du bist der Beste/ Ich denke, also bin ich“.

Zu beiden Seiten in der Bühne versenkt spielt ihre vierköpfige Band plus zwei Backgroundsängerinnen, beim letzten Kölner Auftritt hatte sich Eilish nur von ihrem Bruder und Mitproduzenten Finneas und einem Schlagzeuger begleiten lassen – der Sound fällt jetzt dementsprechend organischer aus. Man hat fast ein wenig Angst um die Musiker: fette Feuerbälle schießen hinter ihnen in die Luft, Billies Absage an narzisstische Möchtegern-Lover unterstreichend.

Aber auch diese hitzige Absage wird aus vieltausend Kehlen mitgesungen. Man ist sich einig darin, dass man sich seine Freunde sorgfältig aussuchen muss, zumal als junge Frau. Immerhin, das lernt man hier als erstes, kann auch geteiltes Misstrauen eine Art von Euphorie erzeugen. „Hi, wollt ihr Spaß haben?“, wendet sich die Künstlerin kurz angebunden und maximal generisch an ihr Publikum.

Fans umringen im Innenraum der Lanxess-Arena die Bühne von Billie Eilish.

Billie Eilish in der Lanxess-Arena

Aber alle Worte sind ja längst gesagt. Man versteht sich. Wenn zu „Wildflower“ die Handylichter auf den Rängen in allen Farben des Regenbogens leuchten – Fans hatten entsprechende Krepppapierschnitzel verteilt – und das Publikum ihr zeitversetzt als Echo antwortet, so wie sie sich das einmal gewünscht hat. Wenn es plötzlich still wird in der Arena, weil Billie ihren eigenen Backgroundgesang zu „When the Party's Over“ live mit der Loopstation aufnimmt und in engen Harmonien übereinander schichtet. Auf dem Rücken liegend singt sie, als wäre sie wieder allein im Kinderzimmer, unterbrochen nur von wilden Liebesschwüren aus dem Publikum.

Freizügige Kostüme und Tänzerscharen fehlen hier, sie stünden nur im Weg, die Kommunikation verläuft viel direkter. Rumpeln zu frühen Hits wie „Bad Guy“ oder „Bury a Friend“ die Bässe, lassen die Fans synchron dazu die Tribünen erzittern. Schaukelt Billie zur Ballade „The Greatest“ am Rand der Schwebebühne und schaukelt dabei zugleich Stimme und Reuegefühl hoch, oder harmonisiert sie mit ihren Backgroundsängerinnen auf Barhockern zu fragilen Bekenntnisliedern wie „Your Power“ und „Skinny“, entfährt der Arena ein kollektives Aufseufzen.

Während sie in Berlin noch Coldplays musikalisches Trostpflaster „Fix You“ gecovert hat, stürzt sich Eilish in Köln kopfüber in die Depression: „Vielleicht bin ich ja das Problem“ lautet der Refrain von „TV“ – aber wenn das alle mitsingen, hebt sich das Problem dann nicht wie von selbst auf? Bevor ihr Set nach gut anderthalb Stunden mit der schmerzgeborenen E-Gitarren-Katharsis von „Happier Than Ever“ – die spielt sie selbst – und dem versöhnlichen „Birds of a Feather“ im Konfettiregen endet, stimmt Eilish den „Barbie“-Song an, der ihr bereits den zweiten Oscar beschert hat.

Im Greta-Gerwig-Film ist „What Was I Made For?“ die Klage einer sinnsuchenden Plastikpuppe, in Köln scheint die Sängerin bauchrednerpuppengleich die innersten Zweifel ihrer Fans auszusprechen. Ihre Beine baumeln über dem Bühnenrand, hunderte Arme strecken sich ihr entgegen. Sie ergreift nur einige wenige Hände, aber alle Herzen. Es ist genau das, wofür Billie Eilish gemacht wurde. Und wir? Haben eine verlässliche Freundin. „Ich werde euch immer den Rücken frei halten“, verspricht sie noch, dann verschwindet sie durch einen Seiteneingang, unter Jubel und Freudentränen.