50. TodestagWas geschah, als Jimi Hendrix die verhängnisvolle Tarot-Karte sah

Lesezeit 5 Minuten
Jimi Hendrix 1942–1970

Jimi Hendrix 1942–1970

  • Vor 50 Jahren starb Jimi Hendrix im Londoner Samarkand Hotel. Der begehrteste Rockstar seiner Zeit wurde nur 27 Jahre alt.
  • Seinen Tod hatte er schon ein Jahr zuvor erwartet, erschöpft vom Dauertouren und Drogen.
  • Seine Musik aber ist unsterblich. Eine Würdigung.

London – Es gibt Vorzeichen. Eine Wahrsagerin hat ihm in Marokko die dreizehnte Tarot-Karte aufgedeckt: Der Tod. Ein Trumpf, der ebenso gut einen Neubeginn anzeigen kann. Jimi Hendrix aber nimmt die Vorhersage beim Wort: Ich werde sterben, noch bevor ich das 30. Lebensjahr erreicht habe, raunte er einem Freund zu. Es sollen nur 27 Jahre werden. An diesem Freitag jährt sich der Tod des linkshändigen Meistergitarristen zum 50. Mal.

Das mit der Prophezeiung ist im Juli 1969. Ab da hat Jimi Hendrix seine Zeit nur noch geliehen, das glaubt zumindest er selbst. Wenige Wochen nach der Marokkoreise wird er in den Morgenstunden des 18. Augusts den Himmel über der Wiese des Milchbauern Max Yasgur im Bundesstaat New York mit seiner verzerrten Version des „Star-Spangled Banner“ zerreißen.

Zerrissene Nationalhymne

Zum ersten Mal vermeint man das grellrote Licht der Raketen und die in der Luft berstenden Bomben, wie sie im Text der US-Nationalhymne beschrieben sind, wirklich zu hören. Und Maschinengewehre. Tatsächlich hat Hendrix schon etliche Male zuvor die Hymne auf der Bühne dekonstruiert. Aber von Woodstock aus erschauert nun die ganze Welt vor den apokalyptischen Visionen des Gitarristen.

Alles zum Thema Musik

Er selbst begreift seinen Auftritt, den letzten des legendären Festivals, dagegen als patriotischen Akt. „Ich bin Amerikaner, also habe ich die amerikanische Nationalhymne gespielt“, erklärt er sich in einer TV-Talkshow. „Ich fand es wunderschön.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Es ist, als fassten seine Feedback-Gewitter das amerikanische Jahrhundert in all seiner Glorie und all seiner Gewalt zusammen. Ein markerschütternder Sound, vergleichbar höchstens dem Röhren des Raketentriebwerks der Saturn V, das nur einen Monat zuvor 3000 Tonnen Masse in Richtung Mond hievte.

Im Prinzip küssen sie beide zur selben Zeit den Himmel: Die weißen, angelsächsischen Spießer von der Nasa und ihr militärisch-industrieller Komplex (so beschreibt sie Norman Mailer in „Auf dem Mond ein Feuer“, seinem Buch zur Mondlandung) genauso wie Hendrix als Avatar der Gegenkultur, der bestbezahlte und meistbewunderte Musiker seiner Zeit. Und beide, Rakete wie Rockstar, beschreiben eine Parabel, die unweigerlich im Rücksturz zur Erde enden muss.

Sturm auf Fehmarn

Ein Jahr später wäscht strömender Regen auf der Ostsee-Insel Fehmarn alle Hippieträume hinfort. Sturmwind erstickt die Musik, die Musiker werden von Stromschlägen getroffen, Jimi Hendrix lässt auf sich warten, und als er endlich mit einem Tag Verspätung erscheint, mischen sich Buhrufe unter den Applaus der unterkühlten Menge.

Schon vier Tage zuvor hat er einen Auftritt im dänischen Aarhus mit den Worten „Ich bin schon seit langer Zeit tot“ nach nur drei Stücken abgebrochen. Auf Fehmarn hält er durch, aber anschließend erklärt er die „Cry of Love“-Tour vorzeitig für beendet. Heute kündet auf der Insel ein Gedenkstein, zu finden am Ende des Campingplatzes Flügger Strand, etwa 60 Meter vom Wasser entfernt, vom letzten großen Auftritt Jimi Hendrix’.

Der letzte Auftritt

„Ich bin fast weg“, flüstert Hendrix wenige Tage später einer Journalistin im Ronnie Scott’s zu. Eigentlich soll er hier, im Londoner Jazz Club, zusammen mit Eric Burdon und dessen neuer Band War jammen. Aber dazu ist er viel zu betrunken und zugedrogt.

Am nächsten Abend klappt es, Hendrix hat sich wieder ein wenig gefangen, auch wenn dem Publikum zunächst gar nicht auffällt, wer hier auf der kleinen Bühne steht. Er spielt zurückhaltend, ohne Soli, Zahn-Einsatz oder brennende Gitarre, ohne all die Showeffekte, mit denen er fast mutwillig von seinem schier unglaublichen Talent als Instrumentalist, Songschreiber und Neutöner abzulenken scheint. Einfach als ein Musiker unter anderen, so wie er das in den Bands der Isley Brothers oder Little Richards gelernt hat. Zwei Tage später ist Hendrix tot, erstickt an seinem eigenen Erbrochenen. Der chronisch Schlaflose hatte neun Tabletten des starken Schlafmittels Vesparax eingeworfen, viel zu viel. Ein kleiner, schäbiger Tod, unwürdig eines Gitarrengotts. Weshalb er bis heute zahlreiche Verschwörungserzählungen nach sich zieht. Mal ist die CIA, mal die Mafia schuld (der Manager, von dem er sich dringend trennen wollte, hatte da einige Verbindungen).

Eifersucht und Schlaftabletten

Mal die junge und äußerst eifersüchtige Frau, die ehemalige deutsche Eiskunstläuferin Monika Dannemann, in deren Apartment im Samarkand Hotel im Londoner Stadtteil Notting Hill seine Leiche gefunden wird. Aber Schuld trifft selbstredend allein die Umstände. Der schnelle Ruhm eines schüchternen Kindes aus zerrütteten Verhältnissen, die großen Erwartungen, der unvermeidliche Kontrollverlust zwischen Überarbeitung, Übermüdung und den chemischen Mitteln, die damit einhergehen. Ein letztes Gedicht hat Hendrix im Samarkand Hotel hinterlassen. „The story of life is quicker than the wink of an eye“, lautet eine der letzten Zeilen. Doch wenn sein Leben nur einen flüchtigen Augenblick währte, dann war dieser Augenblick ein Erdbeben, eine seismische Erschütterung, nach der kein Stein mehr auf dem anderen steht.

Die elektrische Gitarre wird bei Hendrix zur universellen Lärmerzeugungsmaschine. Er hat das Instrument für alle Zeiten verändert, so wie Miles Davis mit der Trompete und John Coltrane mit dem Tenorsaxofon in unbekannte Galaxien vorstießen.

Alben für die Ewigkeit

Fast noch staunenswerter ist die Tatsache, dass Hendrix sich mit nur drei Studioalben – zu denen er von seinem englischen Entdecker Chas Chandler gedrängt werden muss – auch als großer Songschreiber etabliert. „The Wind Cries Mary“, „Purple Haze“, „Little Wing“, Lieder, die Hendrix nachts in Hotelzimmern schreibt, während er von Auftritt zu Auftritt gehetzt wird.

Vor allem „Electric Ladyland“, das Doppelalbum aus dem Jahr 1968, zeigt, wie weit Jimi Hendrix seiner Zeit voraus war. Wie er einfachste Blues- und Rock’n’Roll-Wurzeln bis an die Grenzen des Himmels wuchern lässt, mit der Fender Stratocaster in die Stratosphäre vorstößt.

Diese Aufnahmen sind der Beginn von etwas Neuem, sie sind das, was die Wahrsagerin in Marokko gesehen hat, als sie den Todestrumpf ausspielte. Sie sind größer als der Tod.

KStA abonnieren