Acht-Brücken-Finale in KölnDas Orchester ist zum Schweigen verurteilt

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Bochumer Sinfoniker  

Köln – Wer Musik in der Art von Gustav Holsts „Die Planeten“ oder John Williamsʼ „Star Wars“ erwartet hatte, lag falsch. Eher weist diese fremdartige Musik voraus auf die elektronischen „Cosmic Pulses“, die Karlheinz Stockhausens 2006 zwei Jahre vor seinem Tod aus 24 einander überlagerten Zeit- und Melodieschichten komponierte.

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Charles Ives skizzierte seine „Universe Symphony“ zwischen 1915 und 1928. Doch bis zu seinem Tod 1954 ließ der New Yorker Komponist und erfolgreiche Versicherungskaufmann das Werk unvollendet. Im Abschlusskonzert von Acht Brücken gelangte nun eine 1996 von Komponist und Fagottist Johnny Reinhard eingerichtete Fassung zur europäischen Erstaufführung.

Dumpfe, brütende Akkorde unter Leitung von Tung-Chieh Chuang

Die Bochumer Sinfoniker unter Leitung ihres neuen Chefdirigenten Tung- Chieh Chuang beginnen mit dumpf brütenden Akkorden, die keinerlei harmonische Richtung und melodische Gestalt erkennen lassen. Im nächsten Moment jedoch versiegt diese „Ursuppe“. Stattdessen klingen ruhige Schläge von Großer Trommel, Becken und Gong. Hinzu kommen nach und nach insgesamt zwölf Schlagzeuger mit jeweils eigenen Dauern-, Farb- und Rhythmusschichten.

Alle Pulsationen verbinden sich zu einem durchgehenden Ticken, als höre man die große Himmelsmechanik der Planeten, Sonnen und Galaxien, die ihre jeweiligen Kreisbahnen durchlaufen. Gegenüber den Schlagzeugern ist das Orchester erst einmal fast zwanzig Minuten lang zum Schweigen verurteilt. Doch was bedeutet diese Zeitspanne angesichts des rund 14 Milliarden Jahre alten Universums?

Die Himmelsmechanik wird hörbar

Mit irdischen Maßen ist Ivesʼ rekonstruiertes Werk nicht zu erfassen. Ebenso wenig haben die orchestralen Mitteln etwas mit gängiger Sinfonik zu tun. Was die zwölf Schlagzeuger in der Zeit auffächern, realisiert das Orchester schließlich auch im Tonraum, indem alle Instrumente jeweils andere Tonhöhen spielen und zu dichten Clustern überlagern, als bildeten Myriaden von Sternen die Milchstraße. So erscheint alles Einzelne als Teil eines größeren Ganzen.

Während das kosmische Fließen und Kreisen mal näher, mal unterschwelliger weitertreibt, treten einzelne Instrumentengruppen auch mit markanteren Charakteren hervor, zu deren Gesamtkoordination passagenweise der Einsatz von Magdalena Klein als zweite Dirigentin erforderlich ist.

Orgel, E-Gitarre und acht Flöten

Neben Orgel und Klavier beteiligt sich auch eine E-Gitarre, die allerdings fast unhörbar bleibt und an die Ives 1928 sicherlich noch nicht gedacht haben konnte. Ungewöhnlich sind auch die acht Flöten, die ganz vorne links auf der Bühne platziert sind, wo sonst die ersten Geigen sitzen.

Bei Ives bzw. Reinhard folgen die antiken Sphärenharmonien nicht der pythagoreischen Obertonreihe mit reinen Oktaven, Quinten, Quarten, Terzen, sondern ganz anderen Proportionen. Genau in dieser musikalischen Differenz liegt wohl das Gleichnishafte des ebenso enigmatischen wie unmittelbar verständlichen Werks: Irdischen Raum- und Zeitvorstellungen erscheint als Chaos, was in Wirklichkeit ein hoch komplexes Räder- und Regelwerk ist, das die Welt im Innersten zusammenhält.

Uns Menschen fehlt nur das rechte Maß, um die Entstehung und Funktionsweisen des Universums ermessen zu können. Das Konzert hätte bereits bei Acht Brücken 2020 zum Motto „Kosmos“ stattfinden sollen. Gut, dass die jetzt lebhaft applaudierte Aufführung bei „Musik Amnesie Gedächtnis“ nicht vergessen wurde.

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