Diversität in MedienKölner Team gründet Verlag für Menschen mit Rassismuserfahrung

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Das Kernteam des Verlags „stolzeaugen.books“(v.l.): Wandi Wrede, Balizi Kashindi Wayloki, Jamilah Bagdach und Viviane Camara

Köln – Bücher sind etwas, das bleibt. Bücher überdauern die Zeit. Und genau deswegen bieten Bücher die Möglichkeit, Menschen mit Rassismuserfahrung sichtbar zu machen. Das hat sich zumindest der Kölner Verlag „stolzeaugen.books“ vorgenommen.

„Der Sinn der Literatur ist es doch, so viele Perspektiven wie möglich zu zeigen. Das ist derzeit aber nicht der Fall“, sagt Jamilah Bagdach. „Die Stimmen von Menschen mit Rassismuserfahrung sind unterrepräsentiert und werden oft verfälscht dargestellt. Das wollen wir ändern.“ Gemeinsam mit Viviane Camara, Nour Bagdach und Souzan AlSabah hatte sie die Idee, den Verlag „stolzeaugen.books“ zu gründen. Dass es dazu im vergangenen Jahr am 8. Mai – am Tag des Widerstandes – gekommen ist, hatte letztendlich drei Gründe, sagt Jamilah Bagdach.

Menschen haben das Bedürfnis Lebensrealitäten zu erzählen

Bei einer Schreibwerkstatt des Kölner Zentrums für intersektionale Gesundheit „Holla e.V.“ hätten sie gemerkt, wie notwendig ein solcher Verlag ist. Der Workshop richtete sich vor allem an Menschen, die durch Rassismus und Sexismus diskriminiert werden. „Dabei ist klar geworden, dass die Menschen ein sehr starkes Bedürfnis haben, sich auszudrücken und ihre eigene Lebensrealität zu erzählen“, sagt Bagdach. „Gleichzeitig war es wichtig, dass andere Menschen mit gleichen Lebensrealitäten dies auch lesen können und sich darin repräsentiert fühlen.“

Und dann war da noch die Erfahrung einiger Autoren und Autorinnen, „dass weiße Verlage eben auch aus weißer Position gucken, also Perspektiven von Menschen mit Rassismuserfahrung nicht ernst nehmen oder übergehen“, so Bagdach. Das führe schnell dazu, dass sich der Sinn der Bücher stark verändere.

„Holla e.V.“ als Gesellschafterin des Verlags

Als „Holla e.V.“ dann 2019 den internationalen Preis „With and For Girls Award“ gewonnen hat, war das ihre Chance. „Das Preisgeld ermöglichte es uns mit «Holla» als Gesellschafterin den Verlag zu gründen“, sagt Viviane Camara. Gemeinsam mit Jamilah Bagdach und Nour Bagdach führt sie nun den Verlag.

Dabei verfolgt der Verlag einen intersektionalen Ansatz – das heißt, dass die Lebensrealitäten von Menschen, die über mehr als eine Diskriminierungserfahrung verfügen, Raum bekommen sollen. „Darauf wollen wir beim Lektorat achten. Es sollen zum Beispiel Kinderbücher entstehen, in denen sichtbar wird, dass es mehr als nur die weiße hetero Familie mit zwei Kindern gibt, das ist nämlich nicht die Realität“, sagt Bagdach.

Auf ein Genre will sich der Verlag dabei nicht spezialisieren. „Wir nehmen alle möglichen Exposés an, etwa von Romanen, Lyrik, Sach-, Koch- und Kinderbüchern.“

Erste Veröffentlichung: „Texte nach Hanau“

Im vergangenen Februar veröffentlichte „stolzeaugen.books“ das erste Buch: „Texte nach Hanau“. 50 Autoren und Autorinnen haben in 63 Texten ihre Gefühle und Gedanken, Enttäuschungen und Erwartungen nach dem Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 aufgeschrieben. Serpil Temiz Unvar, die Mutter des Ermordeten Ferhat Unvar, hat das Vorwort geschrieben.

Auch das nächste Buch soll schon bald erscheinen: Ein Kinderbuch mit sexualpädagogischem Ansatz und Hauptfiguren of Color. „Darauf freuen wir uns riesig. Wir haben als Kind nie etwas gelesen, worin wir uns mit den Figuren identifizieren konnten – die waren immer blond und blauäugig“, sagt Camara. „Als Kind hätte ich mir so ein Buch gewünscht. Jetzt wird es das ab Juni tatsächlich geben.“

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Alles bis zu diesem Punkt hat das junge Team unentgeltlich geleistet. „Unsere Herzen hängen an dem Verlag. Die Rückmeldungen, die wir bekommen, sind es wert“, sagt Camara. Insgesamt arbeiten in ihrem Team sieben Personen. „Wir müssen jetzt erst einmal viel Zeit investierten. Wir glauben aber daran, dass es groß wird.“

Menschen, die durch Rassismus diskriminiert werden und Intersektionalitätserfahren sind – also von mehreren Diskriminierungsformen gleichzeitig betroffen sind – kann man keinen sicheren Raum geben, sagt Bagdach. „Das ist eine Illusion.“ Aber man könne ihnen einen sicheren Moment geben. „Und das ist unsere Mission, dass wir den Leuten einen sicheren Moment durch unsere Bücher geben.“ 

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