Historisches Archiv KölnEine Ausstellung gegen das Trauma

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Archivalien aus dem Historischen Archiv der Stadt Köln

Archivalien aus dem Historischen Archiv der Stadt Köln

Köln – Jeder Mensch erinnert sich anders, und wie ein dramatisches Ereignis wie der Einsturz des Kölner Stadtarchivs im kollektiven Gedächtnis bleibt, ist immer auch eine Frage der Perspektive. „Wir haben uns von Anfang an darüber geärgert“, so Bettina Schmidt-Czaia, leitende Direktorin des Archivs, „dass es immer wieder hieß, die Stadt habe ihr Gedächtnis verloren.“ Dabei habe sie bereits am Tag nach dem Einsturz damit begonnen, die Archivalien  „aus den Trümmern zu ziehen“, so Schmidt-Czaia – das städtische Gedächtnis sei zwar nicht mehr unversehrt, aber weiterhin lebendig gewesen.

Mit der ersten Ausstellung im neuen Historischen Archiv am Eifelwall will Schmidt-Czaia nun den Beweis antreten, dass eine Stadt wie Köln ihr Gedächtnis gar nicht verlieren kann. Die Schau trägt den programmatischen Titel „Vergiss es! nicht – Vom Erinnern und Vergessenwerden“ und umfasst rund 100 Exponate, von denen ein Großteil unversehrt aus besagten Trümmern geborgen wurden. Ein Drittel der Erinnerungsstücke, so Kurator Max Plassmann, sei zudem erst nach 2009, dem Jahr des Einsturzes, zum Archivbestand hinzugekommen. Wie jedes Gedächtnis entwickle sich eben auch das kölnische beständig weiter.

Das Historische Archiv thematisiert Erinnern und Vergessen

Zum Auftakt im neuen Haus stellt das Historische Archiv also die Grundlage seiner eigenen Arbeit vor. Es geht um das Erinnern und ums mutwillige oder „natürliche“ Vergessen, um Geschichtsfälschungen und Geschichtsrevisionen, um die Arbeit mit den Quellen und um die Speichermedien unserer Erinnerung. Im Historischen Archiv sind diese vornehmlich aus Papier, und selbst wenn man als Besucher in den originalen Quellen wenig mehr als unleserliche Schriftstücke in Schneewittchensärgen sieht, versteht man doch, dass sie das kölsche Selbstverständnis mitunter bis heute prägen. „Jede Familie“, so Plassmann, „ist eine Erinnerungsgemeinschaft.“ Und warum, denkt man sich, soll eine geschichtsverliebte Stadt wie Köln dann nicht eine große Familie sein?

Mit den ersten Ausstellungsstücken rückt Plassmann die selbstverständlich erscheinende Schriftform als revolutionäre Entwicklung in den Blick. Um das Jahr 1258 garantierte eine Urkunde wie der „Große Schied“ wesentliche Regeln zum Münzrecht oder der Gerichtsbarkeit, die in mündlicher Überlieferung sehr viel leichter verloren gehen oder umgedeutet werden konnten. Schließlich war der „Große Schied“ auch eine Art Friedensvertrag zwischen den Bürgern der Stadt und dem damaligen Erzbischof von Köln.

Bettina Schmidt-Czaia, leitende Archivdirektorin, und Kurator Max Plassmann vor dem Kölner Verbundbrief von 1396

Bettina Schmidt-Czaia, leitende Archivdirektorin, und Kurator Max Plassmann vor dem Kölner Verbundbrief von 1396

Ähnliche Aufgaben hatten ein frühes Grundbuch und selbstredend religiöse Schriften, wobei die Bedeutung einer gezeigten niederländischen Klosterhandschrift vor allem im frühen Bewusstsein für die Verletzlichkeit von Archivalien liegt. „Hier fehlt nichts“, bekräftigt ein Mönch in seiner Randnotiz, „sondern der Kater hat während einer gewissen Nacht darauf gepinkelt.“

Dass Papier geduldig ist, erklärte Plassmann ausgerechnet am Verbundbrief von 1396, dem Schriftstück, mit dem sich die Stadt Köln eine eigenständige Verfassung gab. Nach der Besetzung durch napoleonische Truppen, so Plassmann, präsentierten die Kölner das Papier stolz, aber erfolglos als Beweis, dass sie schon immer demokratisch waren, und im „Dritten Reich“ machten sie den in Deutsch verfassten Brief Adolf Hitler als Ausdruck ihres ewigen Germanentums zum Geschenk.

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Neben solchen historischen Umdeutungen wirkt die „Eidbuchschmiererei“ von 1395 geradezu plump. Mit ihr wollten die Schmierer einen gewissen Heinrich von Stave vor der Verbannung aus Köln bewahren, was ihnen misslang – dafür sieht ihr Werk heute wie eine Anleitung für den Übermalungskünstler Arnulf Rainer aus.

So umkreist die Ausstellung verschiedene Aspekte des Erinnerns: Mediengeschichte und Totengedenken, private und öffentliche Rituale, die Institutionalisierung des Erinnerns in Museen und Archiven – und der Umgang mit Katastrophen. An diesem Punkt wendet sich Plassmann der Geschichte des eigenen Hauses zu, etwa mit einer ausgelöschten Fotografie, die nur noch als „Totalverlust“ aus dem Trümmern des eingestürzten Archivs geborgen werden konnte. Und mit der Figur eines antiken Heldens, der beim Einsturz einen Unterschenkel verlor und von dem das Archiv nicht einmal sagen kann, wie er in die Unglücksstelle kam. Plassmann vermutet, dass der undokumentierte Held aus einer Schenkung stammt. Aber ebenso gut könnte er mit einem der benachbarten Wohnhäuser in die Tiefe gerissen worden sein.

„Vergiss es! nicht – Vom Erinnern und Vergessenwerden“, Historisches Archiv der Stadt Köln, Eifelwall 5, Di.-Fr. 9-16.30 Uhr, Mi. 9-19.30 Uhr, bis 8. Mai 2022. Der Katalog kostet 25 Euro.

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