Kraftwerk in DüsseldorfTour de France startet mit Konzert der Elektro-Veteranen

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Kraftwerk am Samstagabend im Ehrenhof

Kraftwerk am Samstagabend im Ehrenhof

Düsseldorf – Kraftwerk spielen zum Start der Tour de France ein Open-Air-Konzert in Düsseldorf

Hinter den Sichtschutzwänden des Ehrenhofes sieht man Räder vorbeischweben. Es sind die auf den Dächern der Begleitfahrzeuge montierten Ersatzräder. Sie folgen den Fahrern, die hier, entlang des Rheins, gegen die Zeit und den Regen antreten. Die Tour de France feiert Grand Départ in Düsseldorf. Und Düsseldorfs berühmteste Band feiert mit.

Kraftwerk, und zuvörderst ihr einzig verbliebenes Originalmitglied Ralf Hütter (70), sind große Radsportenthusiasten. Ihre Single "Tour de France" aus dem Jahr 1983 vereint eine gekonnt bei Hindemith entliehene, schwebende Melodie mit dem gesampleten Stöhnen der Hochleistungsradler und den Geräuschen von rasselnden Ritzeln und von aus prallen Reifen entweichender Luft. In der Verbindung zwischen Fahrer und Rad hatte Hütter die ideale Mensch-Maschine gefunden, eine Symbiose, die fortwährende Beglückung verheißt. Kein Kraftwerk-Lied klingt orgiastischer. Erst 20 Jahre später erschien mit "Tour de France Soundtracks" das Album zur Single.

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Kraftwerk Zuschauer

Kraftwerk-Zuschauer mit 3D-Brillen.

Angeblich hat sich Tour-Direktor Christian Prudhomme persönlich einen Kraftwerk-Auftritt zur Großen Abfahrt gewünscht. Wie hätte es auch anders sein können? Schon als die Band vor acht Jahren im Manchester Velodrom auftrat, umrundeten sie dabei Bahnradfahrer.

Air sind edel gealtert

Nun drängen sich also 15.000 Menschen zwischen Tonhalle und Museum Kunstpalast, hadern wie die Zeitfahrer mit dem vernieselten Nachmittag und werden prompt mit den ersten Sonnenstrahlen belohnt, als das blütenweiß gekleidete Versailler Duo Air anfängt, seine Analog-Syntheziser sanft zu massieren. "Thank you, Germany, I'm a french robot", frotzelte Nicolas Godin in seinen stimmverzerrenden Vocoder und sein musikalischer Partner Jean-Benoît Dunckel schüttelte dazu die schwarzen Strähnen, wie es nur wohlerzogene französische Bürgersöhne können, und hauchte "Sexy Boy" ins Mikrofon.

Das war vor fast 20 Jahren ein Hit, doch Airs Musik, eine Idealverbindung zwischen Serge Gainsbourgs "Melody Nelson" und Kraftwerks "Trans-Europa Express" ist edel gealtert, es lebe die deutsch-französische Freundschaft.

Bässe von Kraftwerk blasen die ersten Reihen um

Von welch zeitloser Kraft das Werk der Düsseldorfer Gastgeber ist, muss man kaum noch erwähnen. Hütter und seine drei Mitstreiter wippen bestens gelaunt hinter ihren Pulten mit den Füßen. Das Publikum bestaunt die herrlich naiven 3-D-Animationen durch die zuvor ausgeteilten Pappbrillen, jubelt, als bei "Spacelab" eine animiertes fliegende Untertasse neben der Tonhalle landete. Später erstrahlt die Kuppel der - echten - Tonhalle hinter der Bühne im bleu-blanc-rouge.

Sonst lautstärketechnisch eher zurückhalten, scheint das Quartett diesmal wild entschlossen, ganz Düsseldorf zu beschallen, beziehungsweise ihrer Musik körperliche Gestalt zu verleihen. Der erste Bassstoß bei "Radioaktivität" bläst fast die vorderen Reihen um, doch der Klang bleibt kristallklar.

Ralf Hütter entwirft Rennmaschine für Tony Martin bei der Tour de France

Diese Band ist ein lebendes Monument. Und doch, darf man den Humor nicht außer Acht lassen, mit dem Hütter etwa in "Vitamin" legale Doping-Mittel aufzählt: "Adrenalin Endorphin/ Elektrolyt Co-Enzym/ Carbo-Hydrat Protein/ A-B-C-D Vitamin". Oder wenn er zur Ausfahrt des Klassikers "Autobahn" kindlich Autogeräusche imitiert und durch den Vocoder jagt.

Wie ungelenk und albern wirken Pkws gegen Rennräder, diese wendigen Zukunftsmaschinen. Der deutsche Zeitfahrmeister Tony Martin startete die Tour übrigens auf einer formschönen Maschine, die Ralf Hütter für ihn entworfen hat, im Gitterdesign der Kraftwerk'schen Bühnenanzüge.

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