Kult-Autor Knausgard in KölnWas, wenn Gott der Teufel ist?

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Karl Ove Knausgard in der Kölner Flora 

Köln – Der Abgang hat etwas von einer Flucht: Noch im lebhaften Schlussapplaus stürmt Karl Ove Knausgard von der Bühne zum Ausgang, als müsse er sich vor der Begeisterung seiner Fans in Sicherheit bringen. Dabei war der Abend für ihn ein absolutes Heimspiel und das Gespräch mit einem eloquenten, gut vorbereiteten Moderator Thomas Böhm verlief friktionsfrei.

Aber der norwegische Kult-Autor, dessen furioser sechsbändiger autobiographischer Romanzyklus wohl unbestritten zur Weltliteratur zählt, liebt ganz offensichtlich das Veröffentlichen mehr als den öffentlichen Auftritt. Im Rahmen einer Lesereise für sein neues Buch „Der Morgenstern“ hat er Station in Köln gemacht.

Freimütig gesteht er allerdings gleich zu Beginn des Gesprächs ein, dass er weder zu Köln eine Beziehung noch jemals vom Dreikönigsschrein im Dom gehört habe. Dabei passt „Der Morgenstern“ nicht schlecht zur religiös gesättigten Stadt am Rhein, geht es doch darin um Gott und die Welt, Tod und Teufel, um unerklärliche Phänomene, um Rätselhaftes in der Sinneswahrnehmung.

Düstere Bibelworte

Dem mit knapp 900 Seiten wieder einmal ausgesprochen umfangreich geratenen Roman ist gleich ein düsteres Bibelwort vorangestellt, wonach die Menschen dereinst den Tod suchen werden, ihn aber nicht finden, weil er vor ihnen flieht.

Es ist eine existenzielle Verunsicherung und Düsternis, die das Werk des norwegischen Bestseller-Autors durchzieht und die ganz offensichtlich den Zentralnerv unserer Zeit trifft. Karl Ove Knausgard bedient die vorherrschende Moll-Stimmung. Anders als in seinen früheren, autobiographischen Romanen sind die Figuren diesmal allerdings fiktional: Gleich neun Ich-Erzähler treten auf, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

Vorbote eines großen Unglücks

Das reicht vom Literaturprofessor, der an seiner psychisch kranken Frau verzweifelt, über das übergewichtige Mädchen mit Migrationshintergrund bis zur Pfarrerin, die sich den Neustart ihres Lebens wünscht. An zwei Tagen im skandinavischen Hochsommer beobachten die neun Personen unabhängig voneinander einen neuen Stern. Wofür steht er, ist er ein Omen, ein Vorbote großen Unglücks? Oder ist er, wie in der  Weihnachtsgeschichte, das göttliche Zeichen künftigen Heils?

Knausgard lässt es offen, mehr noch, er verweist darauf, dass sich alle Figuren, die den Stern gesehen haben, in Ausnahmezuständen befinden: Mal sind sie betrunken, mal haben sie Tabletten genommen, mal erleiden sie einen psychotischen Schub. Ist es real, was sie sehen, oder sind sie Opfer von Wahnvorstellungen?

Warum wir mit Ungewissheiten schlecht umgehen können

Auch in Köln legt sich der Autor nicht fest. Nicht zuletzt aus dieser Doppeldeutigkeit bezieht der Roman seine Spannung. Denn, so ist Knausgard überzeugt, eigentlich verstehen wir wenig von dem, was wir Menschen sehen. Vielleicht sind Dinge auch gar nicht eindeutig. Da wir aber mit Ungewissheiten schlecht umgehen könnten, bildeten wir Theorien. Für den Bestsellerautor aus Oslo eine unzulässige Begrenzung des Denkens.

So entsteht ein Weltbild, in dem nicht nur existiert, was wir wissenschaftlich verifiziert sehen. Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde als das, was wir mit dem Verstand fassen können, will uns Knausgard sagen. Auch Glaubensüberzeugungen stellt er auf den Kopf. Er zitiert dazu eine agnostische Theorie, wonach der biblische Gott in Wahrheit der Teufel sei. Beim Blick auf die Welt hält er das für durchaus möglich. Folglich bleibt auch der Morgenstern am Firmament ambivalent.

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Auf die Frage des Moderators, warum im Roman keine wissenschaftliche Erklärung für den plötzlich aufgetauchten Himmelskörper gebe, begründet Knausgard das zum einen mit der Dramaturgie – der Roman zeichnet eben nur die ersten zwei Tage nach dem Auftauchen des Sterns nach -, zum anderen wolle er über etwas schreiben, was sich wirklich jeder Beschreibung entziehe.

Für das Publikum – rund 700 Gäste waren zur Abschlussveranstaltung   der lit.Cologne in die Flora gekommen – traf Karl Ove Knausgard den richtigen Ton. Zum Erfolg des Abends beigetragen hat sicher auch der Schauspieler Thomas Loibl, der eindrucksvoll Passagen aus dem „Morgenstern“ las. Abgerundet wurde das mit der Projektion von Bildern im Bühnenhintergrund. Sie stammten aus dem „Augsburger Wunderzeichenbuch“ und zeigen Abbildungen rätselhaft angsterregender Phänomene. Furcht und Unsicherheit, lernt man, ist eben kein Privileg der Neuzeit.

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