Kommentar zur Oscar-OhrfeigeEin völlig falsches Verständnis von Ritterlichkeit

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Will Smith Jada Pinkett afp 2803

Will Smith und Jada Pinkett Smith vor der Oscar-Verleihung.

Los Angeles – Als er neun Jahre alt gewesen sei, schreibt Will Smith in seiner im November 2021 erschienenen Autobiografie, habe er mitansehen müssen, wie sein Vater seine Mutter so heftig in die Seite ihres Kopfes schlug, dass sie zusammenbrach. Dieser Moment habe ihn mehr geprägt als jeder andere.

Womit er nicht nur die häusliche Gewalt meine, die er miterleben musste, sondern auch die eigene Untätigkeit angesichts dieser Gewalt. Der überlebensgroße Filmstar, schließt Smith, sei nur eine Konstruktion, um den inneren Feigling zu verstecken.

Chris Rocks geschmackloser Witz

Das ist ein mutiges Bekenntnis. Und eines, das uns fast unweigerlich zu einer küchenpsychologischen Interpretation des Gewaltausbruchs führt, der die diesjährige Oscar-Zeremonie überschattet: Der Comedian Chris Rock reißt einen Witz über die Kurzhaarfrisur von Smiths Frau Jada Pinkett-Smith. Der fällt eher mit seiner Anspielung auf einen fast vergessenen Demi-Moore-Film aus den 1990ern eher mau aus. Bemerkenswert ist allein seine Geschmacklosigkeit: Pinkett-Smith hat bereits vor einigen Jahren öffentlich gemacht, dass sie an krankhaftem Haarausfall leidet.

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Dass sie nicht lachte, sondern den Comedian böse anfunkelte, kann man verstehen. Will Smith hat allerdings schon gelacht, jedenfalls bevor er die Reaktion seiner Frau sah. Dass der Oscar-Anwärter sich daraufhin innerlich als Feigling schalt und seine Untätigkeit mit einer schallenden Ohrfeige für Rock kompensierte – das wäre nun also die Ferndiagnose mit Verweis auf die Autobiografie.

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Man muss aber gar nicht versuchen, nach der Motivation für Smiths öffentlichen Ausraster zu suchen, um das Offensichtliche festzustellen: Wenn Männer meinen, sie müssten „ihre“ Frauen mit den Fäusten verteidigen, ist das eine atavistische und mehr als fragwürdige Auffassung von „Ritterlichkeit“.

Und als Smith nur wenige Minuten später den Academy Award für den Besten Hauptdarsteller mit den tränenreichen Worten annahm: „Richard Williams war ein erbitterter Verteidiger seiner Familie“, fragte man sich endgültig, ob der Filmstar nicht völlig falsche Lehren aus seiner traumatischen Kindheitserfahrung gezogen hat. Der Vater der Tennisgrößen Venus und Serena Williams, für dessen Verkörperung Smith ausgezeichnet wurde, ist im wirklichen Leben eine eher umstrittene Figur. Unter anderem wird ihm nachgesagt, die Mutter seiner Töchter krankenhausreif geschlagen zu haben.

Dann klagte Smith: „Die Liebe bringt dich dazu, verrückte Dinge zu tun.“ Das klang wie die typische Rechtfertigung eines gewalttätigen Mannes: Feige.

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