LeserbriefeScheiterte Anne Spiegel an strukturellen Bedingungen?

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Bei einer am 10. April einberufenen Pressekonferenz erläuterte Anne Spiegel, warum sie trotz der Flutkatastrophe einen vierwöchigen Frankreich-Urlaub angetreten hatte. 

Mi­nis­te­rin Spie­gel tritt zu­rück – Grü­­nen-Po­­li­ti­ke­rin gibt nach Kri­tik an Ver­hal­ten nach der Flut ihr Amt auf (12.4.)

Gedankenloses und unverfrorenes Handeln

Frau Spiegel mag mit ihrem durchdringenden Blick viele grün eingestellte Personen beeindrucken, er passt nicht zu ihrem Verhalten, zumindest nicht zu dem, das ihr jetzt auf die Füße gefallen ist. Vier Kinder, eine Leistung; kranker Mann, ein Schicksal; Flutkatastrophe eine Naturgewalt. Wenn man dann noch Ministerin ist, hat man gewaltige Aufgaben. Nur haben diese Umstände nichts zu gelten, wenn eine Katastrophe erlebten Ausmaßes über die Bevölkerung hereinbricht. Urlaub wegen einer Krankheit des Mannes, unmittelbar nach der Katastrophe im eigenen Land bei eigener Zuständigkeit – ein „Fehler“? Ich nenne das eine gedankenlose Unverfrorenheit, für die die Opfer wohl kaum Verständnis haben werden, und nicht nur die. Herr Merz war da mit seiner Rücktrittsforderung natürlich schnell bei der Hand, aber recht hat er. Rolf Havermann Bergisch Gladbach      

Hetzjagd auf Anne Spiegel

Als Andreas Scheuer 560 Millionen Euro an Schadensersatzforderungen verursachte sowie sechs Millionen Euro für Rechtskosten, da hat er es nicht für nötig befunden zurückzutreten. Und jetzt ereifern sich alle, weil eine grüne Ministerin sich nach dem Schlaganfall ihres Mannes um ihn gekümmert hat. Immer wieder lese ich: sie war trotzdem erreichbar. Reicht das denn nicht an Pflichterfüllung? Was hätte sie denn machen sollen? Ihm sagen: Sorry, ich bin dann mal weg? Mich widert diese Hetzjagd an! Sie ist so durchschaubar. Und abgesehen von allem politischen Kalkül zeigt sich auch hier, dass bei Männern und Frauen mit zweierlei Maß gemessen wird. Immer noch! Es ist so ekelhaft! Dr. Katharina Kaspers-Siebert Bergisch Gladbach

Spiegels Umgang mit der Wahrheit unerträglich

Müssen Minister und Ministerinnen 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag Dienst am Vaterland oder am Bundesland tun? Nein, das müssen sie meiner Meinung nach nicht. Ich möchte, dass junge Mütter Leitungsfunktionen übernehmen können und den Spagat zwischen Familie und verantwortlicher Tätigkeit schaffen dürfen. Ein pflichtbewusstes Delegieren von Aufgaben und die Erreichbarkeit in Notfällen sowie Absprachen mit der Ministerpräsidentin und den Kollegen hätten mich als Wählerin nicht dahin gebracht, einen Rücktritt zu fordern. Im Fall Spiegel genau so wenig wie im Fall Heinen-Esser.

Dass aber hohe Landes- und Bundesbedienstete ungeniert die Unwahrheit sagen, dass sie scheinheilig erst einmal recherchieren müssen, ob sie in den Ferien an einer Kabinettsitzung teilgenommen haben, irritiert und verstört. „Wording“ sollte zum Unwort des Jahres gewählt werden, wenn es Wählertäuschung bedeutet. Und Ministerpräsident Wüst, der sich beim Anblick einer komplett zerstörten Infrastruktur noch vier ganze Tage an der Nordsee erholte, sollte mit moralisierenden Tönen in Richtung der grünen Kollegin vielleicht doch etwas behutsamer sein. Er sollte noch einmal gründlich darüber nachdenken, was er von den Unwahrheiten seiner Kabinettskollegen und -kolleginnen wusste. Birgit Henne Hilden 

Überforderung durch Ämterhäufung

Eine Ministerin Anne Spiegel, die selber einräumt, dass sie sich aufgrund Ihrer Familienbelastung – vier Kinder, Corona-Zeit, Mann mit Schlaganfall – zu viele Aufgaben aufgebürdet hat, sollte doch selbst vernünftig genug sein, aus persönlichen Gründen zurückzutreten. Dies hat sie endlich eingesehen – oder wurde es ihr aufgezwungen? Wieso sie bei diesen familiären Umständen Spitzenkandidatin der Grünen, Staatministerin zweier Ressorts – Familien- und  Frauenressort kommissarisch – und dazu noch stellvertretende Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz und jetzt sogar Bundesministerin geworden ist, bleibt schleierhaft.

Das allein ist schon verantwortungslos und zeigt den fehlenden Realitätsbezug in der „grünen Blase“. Genauso schleierhaft bleibt die Reaktion der Medien. Statt wie bei Frau Heinen-Esser den Rücktritt zu fordern, blieb es im Falle Spiegel in vielen Kommentaren bei verständnisvollen Phrasen wie „Sie hat sich ja entschuldigt“ oder „Sie hat fast geweint“.  Gunar Ernis Leverkusen

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Negative Einstellung gegenüber Frauen im Spitzenamt?

Ja, man kann Frau Spiegel vorwerfen, nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Aber sind wir alle moralisch so unfehlbar, dass wir hier den Stab brechen können? Das wirklich Deprimierende an der ganzen „Causa Spiegel“ ist doch, dass es in unserem Lande immer noch nicht möglich ist, Familie und Amt zu vereinbaren. Warum gibt es keine entsprechenden Familienhilfen für Amtsträger, die es ihnen einfacher machen, ein Ministeramt zu erfüllen und trotzdem Zeit mit der Familie zu verbringen? In anderen Ländern wie Neuseeland und in Skandinavien geht es doch auch.

Ist es nicht vielmehr die weiterhin negative Einstellung gegenüber Frauen im Spitzenamt? Offenbar wollen wir weiterhin das von der CSU mit der Mütterrente so nach vorn getriebene „klassische Familienmodell“. Darf eine Politikerin kein Privatleben haben? Darf sie nicht wie fast alle Erwerbstätigen aus dem Homeoffice arbeiten? Müssen ihre Familien immer funktionieren? Dürfen Politikerinnen keinen Urlaub machen? Statt den moralischen Zeigefinger zu heben, sollten wir in uns gehen und prüfen, warum wir berufstätigen Frauen immer noch Steine in den Weg legen und ob wir hier nicht endlich einmal unseren Kompass neu ausrichten müssen. Kirsten Sänger Köln

Verständnis ja, aber kein Mitleid für die Ministerin

Bei allem Verständnis für die schwierige familiäre Situation von Frau Spiegel – sie ist damit nicht allein auf der Welt. Das in ihrem Fall aber speziell der angeblichen Brutalität des Politgeschäfts zuschreiben zu wollen, wäre völlig daneben. Mit einer solchen familiären Belastung, wie sie sie beschreibt, würde sie sich auch als Abteilungsleiterin in jedem x-beliebigen Unternehmen genau so schwer tun. Frau Spiegel erfreut sich allerdings eines Jahreseinkommens deutlich jenseits der 200.000-Euro-Grenze und ist auf Lebenszeit hervorragend versorgt.

Zudem hat sie einen Amtseid auf das Land und nicht auf ihre Familie geschworen. Das macht den wahren Unterschied aus, in Situationen wie der Flutkatastrophe umso mehr. Von daher ist Mitleid nicht die Lösung, bei allem Verständnis für ihre Lage. Stattdessen musste sie sich fragen, ob sie es vor sich selbst und ihrer Familie noch länger verantworten konnte, sich an ein Amt zu klammern, dem sie – umständehalber – dauerhaft nicht gewachsen sein konnte. Am Ende wird das Land weit besser ohne sie zurechtkommen als ihre Familie. Und so ganz hart fällt sie ohnehin nicht – im Gegensatz zu den Vielen, die Ähnliches durchleiden müssen.  Siegfried Baumeister Lohmar

Fehlbesetzung in der Flutkatastrophe

Während der verheerenden Sturmflutkatastrophe in Hamburg im Jahre 1961 war Helmut Schmidt der verantwortliche Politiker. Um Menschenleben zu retten, überschritt er als Innensenator seine Kompetenzen und forderte bei der Bundeswehr Hilfe an. Er setzte durch diese Zivilcourage seine politische Laufbahn aufs Spiel. Tag und Nacht überwachte er den Rettungseinsatz. Im direkten Vergleich wirken die unsensiblen Verantwortlichen der Flutkatastrophe an Ahr und Erft einfach nur wie eine Fehlbesetzung. Helmut Scheid Köln

Peinliche Selbstinszenierung Spiegels

Die Presseerklärung von Anne Spiegel war meines Erachtens an Peinlichkeit kaum noch zu übertreffen. Gut, sie hat einen Fehler gemacht, hat sich dafür entschuldigt. Ein Pluspunkt. Trotzdem kam die Wahrheit, wie bei ihrer Minister-Kollegin aus NRW Heinen-Esser, nur scheibchenweise und auf öffentlichem Druck ans Licht. Wenn sie nun etwas über ihr Privatleben der Öffentlichkeit verrät, dann muss man auch fragen, wie sie nach dem Schlaganfall ihres Mannes im Frühjahr 2019 ihren Job als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz denn wahrgenommen hat? War sie in der Zeit nach der Erkrankung ihres Mannes nicht auch überfordert, ihre Kinder noch kleiner und jünger, die Corona-Pandemie allerdings noch nicht erkennbar? Hier ist Mitleid einfach nur fehl am Platz. Die Minuspunkte für sie überragen. Sie musste zurücktreten. Manfred Höffken Köln

Fragwürdige Kriterien bei der Neubesetzung des Familienministeriums 

Ich bin fassungslos, wenn ich lese, welche Kriterien es für die Neubesetzung des Familienministeriums gibt. Was ist wichtig, um ein Ministerium zu leiten, in dem es um die Zukunft der Familien und der Kinder geht? Die Person sollte dem linken Flügel der Grünen angehören, darf kein Mann sein und sollte nicht aus dem Landesverband Bayern kommen. Wie wäre es mit Fachkompetenz, Führungsqualität und Teamfähigkeit? Geschacher zwischen den Parteien kennen wir zur Genüge. Sollen nun auch noch die innerparteilichen Regeln ausschlaggebend für eine sinnvolle Besetzung von Ministerien sein? Veronika Grünewald Köln 

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