Leserbriefe zu Blockadeaktionen:„Klimakleber einfach kleben lassen“

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Drei Jugendliche in orangefarbigen Warnwesten blockieren sitzend eine Fahrbahn. Drei Polizisten sowie Absperrband schützen die Klimaaktivisten vor Autos und Fotografen.

Aktivisten der Klimaschutz-Initiative „Letzte Generation“ bei einer Straßenblockade in München

Die Blockaden der Klimaaktivisten polarisieren: Während die einen fordern, die Aktionen strafrechtlich zu verfolgen, halten die anderen radikaler werdende Protestformen angesichts berechtigter Zukunftsängste für legitim.

Ak­ti­vis­ten dro­hen Zi­vil­kla­gen – Justizminister Marco Busch­mann warnt „Letzte Ge­ne­ra­tion“ vor hohen Scha­­den­er­­satz-For­­de­run­­gen (17.12.)

Kriminalisierung der „Letzten Generation“ ist unredlich

Ich sehe die Aktionen der „Letzten Generation“ kritisch, insbesondere im Hinblick auf die Beschädigung von Kulturgütern und die Gefährdung von Gesundheit und Leben unbeteiligter Dritter. Auch das Engagement für den Erhalt von Lützerath sehe ich wegen des teilweise ganz offenbar extremistischen Umfeldes kritisch. Nicht zu akzeptieren ist aber meiner Meinung nach das Narrativ, es handele sich bei den Mitgliedern der „Letzten Generation“ um Kriminelle oder linksradikale Terroristen.

Sicher muss man diese Gruppierung beobachten, denn der absehbare Misserfolg kann natürlich zur Radikalisierung führen. Aktuell gibt es dafür aber keine Hinweise. Dass von dem liberalen Regierungspartner, der an anderen Stellen seine doch sehr individualistisch und wirtschaftspolitisch geprägte Vorstellung von Freiheit sehr offensiv vertritt, – man denke an die unselige Debatte über das Tempolimit oder die Äußerungen zu den Coronamaßnahmen – keinerlei Verteidigung des zivilen Ungehorsams zu vermelden ist, ist so erwartbar wie bestürzend.

Alles zum Thema Letzte Generation

Meine Sorge, dass die Aktionen der „Letzten Generation“ kontraproduktiv sind und die Klimabewegung eher spalten werden, vor allem durch die unselige Beschwörung eines Generationenkonflikts, sehe ich bestätigt. Die Bewegung aber insgesamt zu kriminalisieren, halte ich für politisch falsch und unredlich, unter juristischer Fragestellung zumindest für äußerst fragwürdig. Joachim Berg Zülpich

Proteste von Klimaaktivisten richten nur wenig Schaden an

Was haben sie getan, die Mitglieder der „Letzten Generation“? Sie haben vor allem durch Sitzblockaden den Auto- und Flugverkehr behindert und das jeweils nur für kurze Zeit, denn sie wurden sehr schnell von der Polizei weggetragen. Auch bei anderen Aktivitäten haben sie keine großen Schäden angerichtet. Sie üben keinerlei Gewalt aus und stellen den Staat nicht infrage. Die Folgen ihres Tuns sind Alltagserfahrungen der Bürger: verspätete Bahnen, ausgefallenen Züge und Flüge, tägliche Staus auf den Straßen. Das alles dank einer klimaschädlichen Verkehrspolitik der CSU und FDP. Ich frage mich, wer hier mehr Schäden angerichtet hat und immer noch anrichtet. Klaus Pradel Köln

Aktionen der Klimaaktivisten wecken Furcht vor Anarchie

Es sind prinzipiell zwei Gründe, warum ich die Klebe-Aktionen der „Letzten Generation“ ablehne. Erstens: Deutschland als viertgrößte Wirtschaftsnation der Erde verursacht knapp zwei Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes. Sollten die Protestaktionen dazu führen, dass in unserem Land gar kein CO₂-Ausstoß mehr stattfindet, würde das weltweit, gerade in Anbetracht der steigenden Emissionen in anderen Ländern, kaum messbaren Einfluss haben. Zweitens: Was, wenn diese Aktionen Erfolg hätten? Welche Gruppen würden die nächsten Aktionen durchführen, um ihre jeweiligen Ziele durchzusetzen? Die Fortsetzung dieses Gedankens führt direkt in die Anarchie. Peter Schneider Leverkusen

Klimawandel endlich ernst nehmen

Das Lippenbekenntnis, man habe Verständnis für Klimaproteste, aber doch bitte nicht mit solchen Mitteln, ist an bequemer Verlogenheit kaum zu übertreffen: Seit Jahren protestieren die jungen Leute vergeblich, waren zu Hunderttausenden auf der Straße, ohne irgendetwas zu bewirken. Diese Menschen kleben sich nicht aus „krimineller Energie“ auf eiskalten Straßen fest, sondern aus berechtigter Sorge um ihre bedrohte Zukunft und streuen damit Sand genau in jenes Getriebe, das die Klimakatastrophe in Gang hält. Sie müssen den Finger so lange in die Wunde legen, bis Politik und Gesellschaft irgendwann reagieren, denn für viele scheint Klimawandel immer noch eine kleinere Bedrohung zu sein als das verspätete Erscheinen im Büro oder im Fitnessstudio. Prof. Dr. Jürgen Terhag Leichlingen

„Klimakleber einfach kleben lassen“

Durch die Proteste von Klimaaktivisten werden Notfallrettungen blockiert und Menschenleben aufs Spiel gesetzt. Wie würden Befürworter der Proteste sich verhalten, wenn ihre eigenen Verwandten oder Freunde sterben, weil eine Rettung nicht möglich war? Ferner gibt es Paragraf eins der Straßenverkehrsordnung, nach dem es strafbar ist, den Straßenverkehr zu behindern oder zu gefährden. 

Es wird schon viel für den Klimaschutz in Deutschland unternommen, aber wie ist es in anderen Ländern, wie Russland, China, Nordkorea und anderen, die bei den Klimaschutzzielen nicht mitziehen? Ferner sollte man sich fragen, ob die Protestierenden arbeiten und Steuern zahlen. Klimaschutz kostet Geld, und es muss auch welches ins Staatssäckel hineinkommen. Handys, Smartphones, Tablets benötigen Strom. Wo nehmen wir den her? Am besten wäre es, diese Geräte abzuschaffen.

Ich würde die Fahrbahnen absperren und die Blockierer sitzen lassen. Wenn sie meinen, sie müssen sich festkleben, dann sollen sie auch sehen, wie sie wieder loskommen. Alles andere kostet doch nur wieder Steuergelder. Bernhard Dennert Frechen

Klimaproteste schaffen keine ernsthafte Bedrohungslage

Es ist erschreckend, wie ruhig und gelassen diese Razzia bei Mitgliedern der „Letzten Generation“ hingenommen wird. Kein Aufschrei in den Medien, dass demokratische Gegenwehr kriminalisiert wird. Was ist denn bitte terroristisch an einer Straßenblockade für zwei bis drei Stunden? Verkehrsstaus sind in Deutschland täglicher normaler Wahnsinn, wenn viele mit dem Auto auch noch die kürzesten Wege zurücklegen und Bürgersteige sowie Einmündungen dabei zuparken.

Dadurch werden der Verkehr tausende Stunden lang und zigfache Rettungseinsätze behindert. Hier gibt es nicht mal den Willen von Politik und Verwaltung, diese Situation zu beenden, es wird einfach als unabänderlich abgesehen. Aber kurze Behinderungen durch verzweifelte Demonstranten werden zu Terrorismus hochstilisiert und kriminalisiert. Eine bedrohliche Entwicklung, die eine echte Gefahr für unsere Demokratie bedeutet. Günter Hintzen Köln

Eine Polizistin und ein Mitarbeiter des Berliner Flughafens versuchen, einen am Boden sitzenden Klimaaktivisten anzuheben. Ein zweiter Polizist steht vor der Gruppe. Im Hintergrund sind zwei Flugzeuge und das Flughafengebäude zu sehen, im Bildvordergrund ein Maschendrahtzaun.

Beamte der Bundespolizei entfernen ein Mitglied der Umweltschutzgruppe „Letzte Generation“, das versucht hatte, auf das Rollfeld des Berliner Flughafens zu gelangen.

Juristisch fragwürdiger Protest kontraproduktiv für Klimaziele 

Proteste – egal, ob angemeldet oder spontan, ob als Demo, Versammlung oder ziviler Ungehorsam – lösen keine Probleme. Solche Aktivitäten tragen aber ganz wesentlich dazu bei, öffentliches und veröffentlichtes Problembewusstsein zu schaffen und zu stärken.

Unabhängig von der rechtlichen Bewertung von Aktionen der „Letzten Generation“ muss sich diese Gruppe von engagierten Umweltschützern fragen, ob ihre Klebeorgien der letzten Monate nicht als „Schuss ins eigene Knie“ in die Annalen der Klimabewegung eingehen werden. In der Zivilgesellschaft und den Publikationen der sogenannten vierten Gewalt im Staate wird nämlich sehr viel intensiver und publikumswirksamer über die Wahl der Mittel als über die Bekämpfung der Ursachen des Protests diskutiert. Das ist schade und kann auch nicht im Sinne der Forderungen der „Letzten Generation“ sein.

Intensiv-Seminare über die Organisation und Durchführung juristisch fragwürdiger Aktionen müssen als Fehlinvestition mit kontraproduktivem Charakter für die publizistischen Ziele der „Letzten Generation“ eingestuft werden. In einer freiheitlichen Demokratie heiligt der – noch so gute – Zweck nicht die einsetzbaren Mittel zur Erreichung der angestrebten öffentlichen Aufmerksamkeit.  Dr. Bernd Süllow Pulheim

Klimaproteste als legitimer Hilfeschrei der jungen Generation

Die Arbeit von NRW-Innenminister Herbert Reul erschien mir bislang logisch und pragmatisch. Aber offenbar hat auch Herr Reul noch nicht begriffen, dass die Klimakatastrophe schon über uns hereingebrochen ist. Anders lässt sich nicht erklären, dass er in Bezug auf die „Letzte Generation“ in den allgemeinen Chor mit einstimmt, der nach Kriminalisierung dieser Gruppe schreit und an keiner Stelle hinterfragt, warum diese meist sehr jungen Menschen unter höchstem persönlichen Risiko diese gewagten Aktionen durchführen. Die tun das doch nicht, weil sie Spaß daran haben, öffentlich kriminell zu sein!

Es ist bekanntlich nicht 5 vor, sondern 5 nach 12. Die Aktionen der „Letzten Generation“ verstehe ich als Hilfeschrei an die Verantwortlichen im Staat, endlich und sofort vom Reden ins Handeln zu kommen. Da aber die Macher der Politik den Eindruck vermitteln, „weiter wie bisher“ sei der richtige Weg, werden die Mittel des Protests immer riskanter und provokativer. Ich hoffe, dass die Politik diese Menschen, die sich für den Bestand des Planeten so nachdrücklich einsetzen, nicht in den Untergrund treibt.

Wenn es um kriminelle Handlungen geht, wäre es vielmehr sinnvoll zu prüfen, ob das umweltschädliche Verhalten der Politiker in der Vergangenheit und die entsprechenden Versäumnisse gegebenenfalls justiziabel sind. Das Wissen für bewusstes Handeln lag jedenfalls schon vor 50 Jahren auf dem Tisch. Den ersten Stein hat sinnbildlich nicht die „Letzte Generation“ geworfen. Uwe Grede Bergisch Gladbach

„Kriminell ist die Verantwortungslosigkeit gegenüber nachfolgenden Generationen“

Wieso glauben Politiker und Politikerinnen und andere Teile der Gesellschaft, sie dürften die Zukunft der nachfolgenden Generationen zerstören, indem sie den Planeten Erde unbewohnbar machen, definieren es aber als kriminell, wenn junge Menschen sich dagegen wehren? Die Gewalt wird doch von denen ausgeübt, die sich weigern, alles zu unternehmen, um die Bedingungen auf der Erde so zu erhalten, dass eine lebenswerte Zukunft möglich bleibt.

Es ist Gewalt, Windräder abzureißen, um Kohle zu fördern und zu verbrennen, obwohl damit die rote Linie von 1,5 Grad Erderwärmung überschritten wird, die eine Klimakatastrophe noch verhindern könnte. Es ist Gewalt, Lützerath und Umgebung abzubaggern, wohl wissend, dass damit das Erreichen der Klimaziele unmöglich wird. Was ist dagegen eine Handlung, die nichts zerstört, sondern einfach nur stören will, um auf die enorme Gefahr hinzuweisen, die weiteres Nichtstun bewirkt? Was hindert die Regierung daran, ein Tempolimit einzuführen, um ein Zeichen zu setzen, dass ihr die nachfolgenden Generationen nicht völlig egal sind? Es gibt keinen ernst zu nehmenden Grund dagegen.

Und da soll es kriminell oder gar Terror sein, sich an Kunstwerken festzukleben, ohne sie zu beschädigen oder ohne auf der Straße jemanden zu gefährden? Kriminell ist die Verantwortungslosigkeit den nachfolgenden Generationen, den heute schon Betroffenen und dem globalen Ökosystem gegenüber.  Resi Maschke-Firmenich Köln

Proteste als Ausdruck eines Generationenkonflikts

Die Auseinandersetzungen zwischen den Klimaaktivisten und der bürgerlichen Gesellschaft haben das Potenzial, sich zu einem Konflikt zwischen der letzten und der vorletzten Generation, der 50plus-Generation, zu entwickeln. Fakt ist, dass die vorletzte Generation den höchsten und steilsten Anstieg des gefährlichsten Klimagases CO₂ in der Geschichte der Menschheit zu verantworten hat.

All das Leid und alle die Toten, die in immer schnellerer Folge durch Stürme, Überschwemmungen, Erdrutsche, Dürren, Hitzewellen und Wasserknappheit zu beklagen sind, gehen auf das Konto dieser vorletzten Generation, zu der auch ich gehöre. Wenn also von Kriminellen gesprochen wird, dann hat diese Bezeichnung nur die weltweite Gesamtheit der vorletzten Generation verdient und nicht ein verschwindend geringer Prozentsatz der letzten Generation, die zu Recht nicht nur um eine lebenswerte Gestaltung ihrer Zukunft bangt, sondern sogar um ihr Überleben.

Mit dem Auftauchen von Greta Thunberg und der von ihr inspirierten „Fridays for Future“-Bewegung war die Hoffnung aufgekeimt, durch die machtvollen Demonstrationen die Älteren zur Vernunft und zum Umdenken zu bewegen. Dies war eine Illusion, wie die immer dünner werdenden Beteiligungen an diesen Demonstrationen und die Politik der Ampelkoalition zeigen.

Da es für die letzte Generation um Leben und Tod geht, musste ein Gang höher geschaltet werden. Auch diese Stufe bewegt sich noch im Rahmen der Gewaltfreiheit. Sollte die Gesellschaft – vor allem die Mitglieder der vorletzten Generation, die die politischen Machtpositionen weitgehend in den Händen halten – auch darauf nicht ausreichend reagieren, ist die Stufe der gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht mehr fern. Pessimismus ist da durchaus angesagt.

So beobachte ich bei den Rentnern und Rentnerinnen in meinem Bekanntenkreis eine überdurchschnittliche Reiseaktivität, weitgehend mit Auto und Flugzeug. Denn in dieser Sektion der vorletzten Generation fehlt es ja weder an Zeit noch in der Regel am nötigen Geld. Und wir Älteren sollten uns nichts vormachen: sowohl die jetzigen – vergleichsweise harmlosen – Aktionen der Klimaaktivisten als auch die zu erwartende härtere Gangart in der Zukunft sind juristisch eindeutig durch den Notwehr-Paragrafen abgedeckt. Im Kampf gegen den Klimawandel geht es für alle um Leib und Leben. Karlheinz Alger Köln

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