„Herausfordernde Saison“Zahl der Badetoten in NRW fast verdoppelt

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Menschen unterschätzen häufig die Strömung im Rhein. (Symbolbild)

Düsseldorf/Köln – Ute Vogt seufzt: „Es war bisher eine herausfordernde Badesaison.“ Bis zum 20. Juli sind in Deutschland in diesem Jahr mindestens 199 Menschen ertrunken, 15 Personen mehr als zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr. Das ist das Ergebnis der Zwischenbilanz, die die Präsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) am Donnerstagmittag in Damp am Ostsee-Strand vorgestellt hat.

Nordrhein-Westfalen gehört zu den traurigen Spitzenreitern: Hier ertranken 30 Personen, im Vorjahr waren es zum Stichtag 16. Nur Bayern hat mit 42 mehr Ertrinkungsopfer zu beklagen. Vogt begründet den Anstieg einerseits mit dem frühen Start der Badesaison und andererseits mit der hohen Zahl an ungeübten Schwimmerinnen und Schwimmern. Im Mai war es schon sehr warm, „da dachten sich viele: ‚Komm, wir gehen an den See‘“. Das Problem: Das Wasser war noch kalt. „Da verkrampfen die Muskeln schnell, außerdem haben wir gerade bei älteren Menschen dann das Problem mit dem Herz-Kreislauf“, erklärt Vogt. Im schlimmsten Fall kann es durch den Temperatursturz im Wasser zu einem Herzstillstand kommen.

Neuer Inhalt

Ute Vogt, Präsidentin der DLRG (Archivbild)

Wie in jedem Jahr zeigt die Bilanz der DLRG: Schwimmen in Seen und Flüssen ist am gefährlichsten. „Beim Meer scheint noch mehr Respekt da zu sein“, meint Vogt. Dazu kommt, dass es an Nord- und Ostsee genügend bewachte Strandabschnitte gibt. Wer an unbewachten Seen oder gar Flüssen schwimmen geht, ertrinkt meist unbemerkt. In NRW sind in diesem Jahr bisher 14 Menschen in Flüssen und zehn in Seen ertrunken, das entspricht insgesamt 80 Prozent der Ertrinkungsopfer.

Alles zum Thema Feuerwehr Köln

Die Stadt Köln warnt regelmäßig vor den Gefahren im Rhein. Trotzdem tummeln sich bei gutem Wetter die Menschen am Ufer, treiben teils mit Luftmatratzen im flachen Wasser – und unterschätzen die starken Strömungen. Wellen von großen Schiffen können auch Erwachsene schnell umreißen und vom Ufer wegziehen. Und auch in Seen kann es schnell gehen - selbst wenn sie bewacht sind.

16-jähriger Junge in Rurberg ertrunken

So wie am vergangenen Samstag im Eiserbachsee in Rurberg. Zwei Jungen, zehn und 16 Jahre alt, waren von einem Steg ins Wasser gesprungen. Für den Älteren aus Belgien endete der Sprung tödlich, das berichtete die Aachener Zeitung. Beide Jungen konnten laut dem Bericht nicht richtig schwimmen.

Kräfte des THW, der DLRG, der Polizei und der Feuerwehr waren an dem Einsatz beteiligt, der See wurde von DLRG-Rettungsschwimmern bewacht. In den sozialen Netzwerken gab es laut Aachener Zeitung Kritik an den Einsatzkräften: Die Rettungsschwimmer hätten auf die Hilferufe nicht schnell genug oder gar nicht reagiert, Feuerwehr und THW seien zu spät eingetroffen. DLRG und Feuerwehr weisen die Kritik zurück. „Unsere Leute sind direkt ins Wasser gesprungen“, sagt Martin Pieren, der an dem Tag die Leitung der DLRG hatte, gegenüber der Aachener Zeitung. Zurzeit ermittle die Staatsanwaltschaft zum Unfallhergang.

„Lasst eure Kinder nie aus den Augen“

Schon vor der Pandemie konnten in NRW nur etwa 40 Prozent der Grundschülerinnen und Grundschüler im Alter von zehn Jahren sicher schwimmen. Während der Corona-Lockdowns waren die Schwimmbäder dann lange geschlossen – zwei Generationen hatten keinen bis kaum Schwimmunterricht. „Unsere Rettungsschwimmer holen aktuell ganz häufig Menschen aus dem Wasser, die keine sicheren Schwimmer oder gar Nichtschwimmer sind“, erzählt Vogt. Sie appelliert deshalb an Eltern und Aufsichtspersonen: „Lasst eure Kinder nie aus den Augen“. Ertrinkende machen nicht unbedingt auf sich aufmerksam, meist werden sie eher still.

Hinzu kommt: Nicht nur Kinder konnten nicht schwimmen lernen, auch die Rettungsschwimmer nicht trainieren. „Wir haben nur halb so viele neue Rettungsschwimmer ausgebildet wie in den Vorjahren“, so die DLRG-Präsidentin. Die Folge: Die DLRG hatte Probleme, ihre Wachen zu besetzen, Freibäder haben händeringend nach Personal gesucht. Zum Saison-Start konnten auch in Köln deshalb nicht alle Bäder öffnen. Ein Teufelskreis.

Und im Herbst und Winter droht die Lage schon wieder kritisch zu werden: Aufgrund von möglichen Energieengpässen könnte es zu Bäderschließungen kommen. In Dresden und Nürnberg wurde in den Sommerferien schon zu diesem Mittel gegriffen – eine Entwicklung, der die DLRG mit Sorge entgegenblickt. Deshalb hat sich die Organisation in einem offenen Brief an Bund und Länder gewandt. Auch wenn die Bäder Sache der Kommunen sind, seien sie in der Sache auf die „Unterstützung von Bund und Ländern angewiesen“. Geschlossene Bäder seien „ein weiterer erheblicher Rückschlag, der das Unfallrisiko an den Gewässern erhöht“, heißt es in dem Schreiben. 

In dem offenen Brief unterstützt die DLRG den 3-Stufenplan von der Bäderallianz Deutschland und dem Deutschen Olympischen Sportbund. Der sieht vor, dass erst Außenbecken nicht mehr geheizt werden, dann Freizeit-Becken und Saunen außer Betrieb genommen werden und in letzter Konsequenz die Temperatur in Sport- und Lehrbecken auf 26 Grad abgesenkt wird. In Kölner Hallenbädern werden die Becken bereits bis zu 2 Grad weniger geheizt, ausgenommen Sport- und Lehrschwimmbecken. Freibäder werden aktuell normal auf 21 Grad beheizt und die 4-Jahreszeitenbecken werden durchgängig um 3 Grad abgesenkt. Darüber hinaus gebe es aktuell keine konkreten Pläne, sagt ein Sprecher der Köln-Bäder gegenüber dieser Zeitung. Man werde „dynamisch reagieren“. „Aber solange wir unter diesen Umständen weiter betreiben können, machen wir das auch“, heißt es.

KStA abonnieren