Missbrauchsprozess in KölnAngeklagter Priester wirkt vor Gericht wie der nette Onkel

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Äußerlich ein biederer, beleibter, älterer Herr: Der angeklagte Priester im Gerichtssaal.

Köln – Äußerlich ungerührt hört Hans Ue. die Anklage. Die Kölner Staatsanwaltschaft legt dem 70 Jahre alten katholischen Priester vielfachen sexuellen Missbrauch seiner drei kleinen Nichten in den 1990er Jahren zur Last sowie zwei weitere Vergehen an einer Elfjährigen im Jahr 2011.

Der Prozess zu beiden Verfahren, der am Dienstag vor dem Kölner Landgericht begann, ist von besonderem Interesse, weil es derzeit der einzige Fall im ganzen großen Erzbistum Köln ist, in dem sich ein Kleriker als mutmaßlicher Missbrauchstäter vor einem staatlichen Gericht verantworten muss. Je nach Prozessverlauf sollen auch hochrangige Kirchenvertreter als Zeugen vernommen werden.

Äußerlich ist Ue. ein beleibter, biederer, älterer Herr

Ue. versucht zum Auftakt alles zu vermeiden, was ihn als Mann der Kirche ausweisen könnte: kein Priesterkragen, kein Jackett mit Priesterkreuzchen, stattdessen hellblaues Hemd und mausgrauer Pullover. Ein beleibter, biederer, älterer Herr mit Glatzkopf und grauem Kinn- und Oberlippenbart. Typ netter Onkel, so tritt Ue. vor dem Gericht auf, dem er sich noch vor zehn Jahren entziehen konnte, weil eine der Nichten, Ue.s Patenkind, die Strafanzeige damals zurückzog, offenkundig auf massiven Druck der Familie.

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Es soll seinerzeit auch Geld von Ue. an die Familie der mutmaßlichen Opfer geflossen sein. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen im März 2011 ein. Anfang Januar, also gerade zwei Monate vorher, kam es zu den erneuten sexuellen Übergriffen. Einen davon wertet die Anklage heute als schweren sexuellen Missbrauch an einem Kind.

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Ue. soll seine Nichten missbraucht haben.

Im Juni 2011 hob der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, die kirchlichen Auflagen gegen Ue. auf und setzte ihn ein halbes Jahre später auch wieder als Krankenhauspfarrer in Wuppertal ein. Das sei gar nicht anders zu machen, befanden die Kirchenverantwortlichen – ob bedauernd, achselzuckend oder gar erleichtert, ist den Kirchenakten nicht mit Gewissheit zu entnehmen. Sicher ist, dass das Erzbistum auf Ue.s Drängen die Hälfte seiner Anwaltskosten von 6000 Euro übernahm.

Der oberste Kirchenrichter des Erzbistums, Offizial Günter Assenmacher, führte sinngemäß aus: Ohne Aussage - keine Handhabe, ohne Anzeige – kein Fall. Und überhaupt verdiene es „einen anderen Respekt“, wenn man „die Sache in der Familie halten“ wolle, als wenn „jemand, der ein evidenter Missbrauchstäter sei, ein Risiko für seine Umwelt darstelle“.

„Wird der von der Kirche bezahlt?“

Im Prozess gibt Ue.s Anwalt Rüdiger Deckers in einem „Opening Statement“ zu Protokoll, dass sämtliche Taten laut Anklage in einem familiären, privaten Kontext stattgefunden hätten. Mithin sei es eine Ungenauigkeit des Vorsitzenden Richters Christoph Kaufmann, das öffentliche Interesse an dem Prozess in Verbindung mit dem „Gesamtkontext des kirchlichen Missbrauchsgeschehens“ gebracht zu haben. „Es handelt sich nicht um Vorfälle aus der kirchlichen Institution“, so der Verteidiger. Das sei eine wichtige Differenzierung. „Wird der von der Kirche bezahlt?“, raunt ein Prozessbeobachter sarkastisch. Und ein Mann aus dem Raum der Kirche sagt: „Hat man uns denn nicht ständig erzählt, ein Priester sei immer im Dienst?“

Zuvor hat die 2. große Strafkammer zumindest den Antrag der Verteidigung abgelehnt, die Öffentlichkeit bereits zur Verlesung der Anklage auszuschließen. Hier überwiege das öffentliche Interesse die berechtigten Schutzinteressen des Angeklagten, so begründet Richter Kaufmann die Entscheidung des Gerichts, Journalisten und weitere Zuhörer zuzulassen.

Dass Ue. zur Person und zur Sache aussagen will, bejaht der Angeklagte selbst knapp und mit gesenkter Stimme. Sein Anwalt erreicht aber, dass der Inhalt dann tatsächlich hinter verschlossenen Türen bleibt. Es seien „Aspekte aus dem Intimbereich“ seines Mandanten und „familiärer Mitglieder“ betroffen. Diese gehörten zum schutzwürdigen Kern der Persönlichkeit. Das sieht das Gericht genauso.

Gestünde Ue. die ihm vorgeworfenen Taten, würde sich das gewiss strafmildernd auswirken und den Prozess deutlich abkürzen. Noch hat das Gericht bis Ende Januar 20 Verhandlungstage angesetzt und die Vernehmung von fast 40 Zeugen geplant. Unter ihnen ist bislang auch der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße, vormals Personalchef im Erzbistum und mit dem Fall Ue. insoweit betraut, als es die Vorwürfe der Nichten gegen ihren Onkel betraf.

Gemeinsames Bad mit erigiertem Penis

Was Staatsanwalt Maurice Niehoff dazu in seiner Anklage vorträgt, ist der typische Horror hinter einer Fassade von Wohlanständigkeit, Fürsorge und Kinderliebe. Über Jahre kamen Ue.s Nichten ihren Onkel übers Wochenende besuchen. Man spielte Computer, man schaute Fernsehen („Eiskalte Engel“ war einer der Filme im Programm), man badete. Doch dabei blieb es nicht. Mal griff der Onkel den Mädchen auf seinem Schoß beim Computerspielen in den Genitalbereich, mal machte er sich unter der wärmenden Decke an den Kindern zu schaffen, mal bot er Hilfe beim Waschen an und stieg selbst in die Wanne - mit erigiertem Penis, von dem in der Anklageschrift ständig die Rede ist.

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Die Nichten mussten ihn berühren und wiederholt auch das Eindringen über sich ergehen lassen. Dazu die Schilderung, wie der Onkel der Nichte – einer Grundschülerin - nackt auf dem Bett und mit Hilfe eines Spiegels „die Anatomie des weiblichen Genitalbereichs erklären“ will. Einmal, heißt es in der Anklage, habe eines der Mädchen, Ue.s Patenkind, geweint und sich gegen einen Vergewaltigungsversuch ihres Onkels gewehrt.

 Opfer verlässt eilig den Gerichtssaal

Die nüchterne Juristensprache nimmt den Geschehnissen nur einen Teil des Schreckens. Vielleicht verstärkt sie ihn sogar. Eines der Opfer, die 2011 mit elf Jahren missbrauchte junge Frau, ist zum ersten Verhandlungstag persönlich erschienen. Nur wenige Minuten, nachdem Ue. mit seiner persönlichen Erklärung begonnen hat, verlässt sie eiligen Schrittes den Gerichtssaal. 

Der Prozess wird fortgesetzt. Im Fall einer Verurteilung erwartet Ue. eine Haftstrafe von zwei bis 15 Jahren.

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