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KriminalitätMysteriöse Vergiftungswelle hält den Iran in Atem

Lesezeit 3 Minuten
Ein Mädchen geht in Teheran an einer Häuserfassade entlang. Hunderte Schulmädchen sind in den vergangenen drei Monaten im Iran vergiftet worden.

Ein Mädchen geht in Teheran an einer Häuserfassade entlang. Hunderte Schulmädchen sind in den vergangenen drei Monaten im Iran vergiftet worden.

Hunderte Schulmädchen sind in den vergangenen drei Monaten vergiftet worden. Immer noch gibt es keine offizielle Erklärung. Die Wut bei Eltern steigt.

„Als sich der Geruch ausbreitete, haben alle sofort verstanden, worum es geht und sind aus dem Klassenzimmer gerannt.“ Die dramatische Szene, die eine Achtklässlerin der iranischen Zeitung „Shargh“ schilderte, beschreibt einen der jüngsten Fälle mysteriöser Giftanschläge in Irans Schulen. Eltern sind fassungslos, besorgt und wütend. Immer noch gibt es keine offizielle Erklärung. Hunderte Schülerinnen in Dutzenden Schulen sind inzwischen betroffen, wie die Behörden jüngst bekannt gaben.

Die ersten Fälle wurden bereits Ende November gemeldet, als die Proteste im Iran in vollem Gange waren. Waren zunächst nur einige Mädchenschulen in der schiitischen Hochburg Ghom betroffen, wurden in den vergangenen Tagen immer mehr Fälle in anderen Landesteilen bekannt. Viele Mädchen wurden in Krankenhäuser eingeliefert. Nun erreichte die Vergiftungswelle auch die Hauptstadt Teheran. Videos der Zeitung „Shargh“ zeigten Rettungswagen und Feuerwehrautos vor einer Schule im Osten der Millionenmetropole.

Das beherrschende Thema in iranischen Medien

Seit einigen Tagen ist die Vergiftungswelle das beherrschende Thema in den iranischen Medien. Alleine am Mittwoch wurden Fälle Dutzenden Schulen gemeldet. Wenig ist bisher über die Hintergründe bekannt, gleichzeitig wird viel spekuliert. Doch die Symptome sind immer gleich: Schwindel, Übelkeit und Atemnot. Betroffene erzählten unter anderem von zischenden Geräuschen in den Klassenräumen und Schwefelgeruch. Iranische Ärzte tippen daher auf Giftgase.

Alles zum Thema Annalena Baerbock

Erst waren Politiker zögerlich, dann verkündeten Abgeordnete eine erschreckende Erkenntnis: Es handele sich um gezielte Anschläge in den Schulen. Aus Behördenkreisen wurde bekannt, dass die Regierung extremistische religiöse Gruppen hinter der Vergiftungswelle vermutet.

Iranische Regierung steht unter massiven Druck

Nachdem sich zunächst das Gesundheitsministerium mit den Fällen befasste, schaltete sich nun auch der erzkonservative Präsident Ebrahim Raisi ein. Dieser machte wie bereits während der jüngsten Protestwelle die „Feinde Irans“ für die Situation verantwortlich. Sie wollten Angst und Schrecken verbreiten. Dieser Erklärung wurde in der Vergangenheit wenig Glauben geschenkt.

Seit Monaten steht Raisis Regierung neben der klerikalen Führung unter Druck. Die Frauenproteste im vergangenen Herbst hatten die politische Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten gestürzt, auch die schwierige Wirtschaftslage bereitet vielen große Sorgen.

Außenminsterin Baerbock bezieht Stellung

Auch in Deutschland gab es Reaktionen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte eine lückenlose Aufklärung. Die Berichte seien schockierend, schrieb die Ministerin auf Twitter. „Mädchen müssen ohne Angst zur Schule gehen können.“ Das sei nichts weniger als ihr Menschenrecht. Eine Reaktion aus Teheran folgte prompt. Außenamtssprecher Nasser Kanaani bezeichnete Baerbocks Sorgen als heuchlerisch. Die Vergiftungswelle werde noch aufgeklärt.

In den sozialen Medien spekulierten einige Kritiker, dass die Vergiftungen Rache an den Schülerinnen für ihren Protest im Herbst seien. Bei den Demonstrationen gegen die repressive Politik hatten mehrheitlich junge Mädchen und Frauen teilgenommen. Irans stellvertretender Gesundheitsminister Junes Panahi äußerte den Verdacht, dass einige Gruppen Mädchenschulen geschlossen sehen wollen.

Eine Mutter in Ghom sagte nun: „Sie wollen, dass die Mädchen wie bei den Taliban nicht mehr zur Schule gehen.“ Erst hätten sie in der schiitischen Hochburg angefangen, dann im Rest des Landes. „Warum gibt es keine polizeilichen Untersuchungen?“, klagt die Mutter. (dpa)

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