Streit der Woche„Zootiere sind in gewisser Weise Märtyrer ihrer Spezies“

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Elefanten im Kölner Zoo

Elefanten im Kölner Zoo

  • Zoos dienen der Forschung und dem Erhalt von bedrohten Arten. Und doch verdienen sie ihr Geld damit, wilde Tiere einzusperren und zur Schau zu stellen. Sind sie noch zeitgemäß?
  • Ja, sagt Redakteur Oliver Görtz, weil moderne Zoos keine Freakshow sind, sondern wichtigen Auftrag haben.
  • Nein, meint Redakteur Alexander Holecek, weil Zoos mehr Attraktion für Menschen als ein Zuhause für Tiere sind.

Brauchen wir noch Zoos? Die Argumente unserer Redakteure:

Pro

Lebewesen einzusperren ist keine gute Idee. Es sei denn, sie haben ein schweres Verbrechen begangen. Tiere können keine Verbrechen begehen, folglich ist es keine gute Idee, sie einzusperren. Das aber sind sie in Zoos. Diese Gefangenschaft ist jedoch paradoxerweise vertretbar, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllt – und einen wichtigen Auftrag.

Moderne zoologische Gärten dienen längst nicht mehr nur der bloßen Zurschaustellung exotischer Kreaturen. Sie sind keine Freakshows, in der sich die Betreiber dafür bewundern lassen, vermeintliche Bestien und Kuriositäten aus der Wildnis heroisch bezwungen und in eine wie auch immer geartete Zivilisation geholt zu haben. Kurz: Es geht nicht mehr darum, dass der Mensch über das Tier obsiegt. Heute sind Zoos oft wissenschaftlich geführte Einrichtungen. Sie beschäftigen honorige Fachleute, die in der ganzen Welt forschen und Projekte betreuen. Sie beteiligen sich – international vernetzt – an Zucht- und Auswilderungsprogrammen bedrohter Arten. Sie unternehmen einige Anstrengungen, ausreichend dimensionierte Gehege zu bieten, in denen die Tiere Rückzugsmöglichkeiten finden und die natürliche Habitate so gut es geht simulieren. Das gilt zumindest für große Zoos.

Einige Tierarten gehören nicht in den Zoo

Natürlich gibt es immer noch Tierschauen alter Prägung, Käfighaltung inklusive. Sie haben weder das Geld noch den Platz für eine Haltung, die die Bezeichnung „artgerecht“ verdient. Das ist schlimm, und dass solche Einrichtungen immer noch bestehen, ist falsch. Auch an modernen, großen Zoos gibt es einiges zu kritisieren. Manche Tierarten sind für Zoos besonders ungeeignet. Eisbären etwa, die in freier Wildbahn gigantische Reviere haben, oder Wale, die in Gefangenschaft fast zwangsläufig verhaltensgestört werden. Es gibt keine Argumente für deren Haltung. Auch Vermenschlichungen der Tiere, indem sie medienwirksam putzige Namen bekommen oder ihnen animalische Instinkte als humanoide Verhaltensattribute an den flauschigen Pelz geheftet werden, sind schwer erträglich.

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Moderne Zoos haben einen wichtigen Auftrag, der weit darüber hinausgeht, Zebras und Flamingos zu zeigen. Sie lenken mit Informationen oder Sonderausstellungen die Aufmerksamkeit der Besucher auch auf den natürlichen Lebensraum der Tiere, der oft massiven Zerstörungen ausgesetzt ist. Sie thematisieren die Fragilität der Natur, ihre enthemmte Ausbeutung durch den Menschen und bringen zum Ausdruck, dass das aufhören muss. Allein die Zooschule des Kölner Zoos durchlaufen jährlich mehr als 20 000 Kinder und Jugendliche, denen dort Respekt vor Tieren und Ökosystemen nahe gebracht wird und die das Erlernte weitergeben können. Keine Website, keine TV-Dokumentation, kein Lehrbuch kann das eindrücklicher zum Ausdruck bringen als der unmittelbare Kontakt zu den Tieren. Ihr Geruch, ihre Erhabenheit, die tatsächliche Lautstärke ihrer Rufe – die Intensität ihrer Aura ist virtuell nicht ansatzweise begreifbar.

Eingesperrt bleibt eingesperrt, auch im modernen Zoo. Und es ist paradox, dass der Mensch das macht, obgleich er selbst es ist, der weltumspannend die Natur zerstört. So sind Zootiere nicht nur Botschafter, sondern in gewisser Weise Märtyrer ihrer jeweiligen Spezies. Sie werden es solange bleiben, bis der Mensch verstanden hat, die Natur zu achten. Aber davon ist er weit entfernt. Sehr weit.

Oliver Görtz, 47, Lokalredakteur, hält Tiere für die besseren Menschen, weil sie nur sehr selten ihre eigene Spezies auslöschen wollen.

Contra

Geparden sind wundervolle Tiere. Sie sind imstande – wenn sie wollten und dürften – an die 100 Stundenkilometer schnell zu laufen. In der afrikanischen Steppe jagen sie so ihre Beute: Gazellen, Antilopen, gelegentlich auch ein Zebra, das sie entweder nach ein paar Hundert Metern Vollsprint eingeholt haben und mit einem Biss in den Nacken erlegen – oder das gleiche später noch einmal versuchen, wenn die Jagd erfolglos blieb. Zwischendrin noch ein bisschen dösen und Nachkommen zeugen, mehr braucht ein Geparden-Leben nicht. Wenn man aber nun Gepard ist und als solcher bedauerlicherweise nicht im Etosha-Nationalpark lebt, sondern im Kölner Zoo, sollte der Sprint nach ein paar Dutzend Metern aufhören. Andernfalls liefe man gegen eine Plexiglasscheibe oder in einen Maschendrahtzaun hinein, weil das Gehege dort endet. Beides tut weh. Deshalb macht man das als Gepard im Kölner Zoo auch nicht, obwohl Antilopen und Zebras – fast wie zu Hause – nur zwei Ecken weiter leben. Stattdessen spazieren die Geparden im Kölner Zoo seit jeher im Geh-Tempo um einen kleinen Hügel herum und hinterlassen einen Trampelpfad. Für Jagd-Feeling soll ein von Porsche gesponsertes Sprint-Spielzeug sorgen. Die Beute ist imaginär, die Show für die Besucher perfekt. Die Tiere sollten einem leidtun. Mit dem Leben ihrer Artgenossen am anderen Ende des Planeten hat das genau nichts zu tun.

Gewiss, der Kölner Zoo macht vielen seiner Bewohner das Leben so angenehm wie es auf engem Raum gerade geht. Und er hat sich – anders als andere Tierparks – von seinen Eisbären getrennt, die nun wirklich nicht nach Mitteleuropa gehören, wo es im Sommer schon mal 40 Grad hat. Aber er bleibt eben ein Zoo – und damit ein zynischer Ort. Wir sperren dort wilde Tiere ein, Elefanten, Giraffen, Orang-Utans, weil wir es können. Und weil wir uns an ihnen erfreuen wollen, gerne auch mit Softeis und Selfie-Stick in den Händen zwischen Spielplätzen, Hüpfburgen und Pommesbuden. Zoos sind Attraktionen für Menschen, die eigentlich einen Freizeitpark suchen. Ein Zuhause für Tiere sind sie nicht.

Artenschutz geht auch ohne Zoos

Wenn Giraffen aus Spaß Menschen einschließen und mit Möhren füttern könnten, täten sie das womöglich. Können sie aber nicht. Wir Menschen würden unsere Artgenossen allerdings nicht in einen Zoo sperren, weil wir inzwischen derart zivilisiert sind, dass wir so etwas für unmenschlich hielten. Mit Recht.

Bei wilden Tieren haben viele damit aber kein Problem und rechtfertigen Zoos noch mit dem Artenschutz, dass es viele Spezies kaum noch gäbe ohne Zuchtprogramme. Auch diese Logik ist zynisch. Wir Menschen entscheiden darüber, welchen einzelnen Exemplaren wir ein artgerechtes Leben verwehren, um anderen in ferner Zukunft eines zu ermöglichen. Täten wir das mit unseresgleichen, machten wir uns strafbar.

Dabei ginge Artenschutz eigentlich so: Verzicht auf Palmöl- und Sojaanbau im Regenwald, Ächtung von Mangroven- und Tropenholzmöbeln, Verfolgung von Wilderei und Buschfleisch, Bekämpfung von Klimawandel und Umweltverschmutzung. Zoos braucht es dafür nicht. Wer mit den Kindern einen Sonntagsausflug braucht, soll in den Königsforst gehen. Da gibt es Vögel, Regenwürmer und, wenn man genau hinschaut, auch Eichhörnchen. Unspektakulär ist das, aber ehrlich und natürlich. 

Alexander Holecek, 29, Lokalredakteur, hatte als Kind eine Patenschaft für ein Gelbbrustkapuziner-Äffchen. Er hielt es meistens für klüger als sich selbst. 

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