Kölner feiert Weihnachten in der Antarktis„Wie auf einem anderen Planeten"

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Die deutsche Polarforschungsstation Neumayer III in der Antarktis.

Antarktis/Ekström Schelf – Wenn Florian Koch vom Winter erzählt, dann klingt das so: „Oder die Meeresmessungen – diese Unwirklichkeit, wenn man mit dem Motorschlitten unterwegs ist und ringsum ist keine Menschenseele; es ist eigentlich völlig finster, aber man kann kilometerweit gucken und sieht in der Bucht die bizarren Formen von ein paar festgefrorenen Eisbergen. Die Sonne geht in dieser Zeit nicht auf, aber man kann sie am Horizont erahnen durch eine leichte Röte am Himmel. Das“, sagt er, „sind bewegende Momente.“

Normalerweise ist Florian Koch nicht leicht zu beeindrucken und hat auch sonst eher ein Herz für Technik und Maschinen – die nachhaltige Schwärmerei verdankt sich seinem einzigartigen Arbeitsplatz: Er ist Ingenieur auf der deutschen Polarforschungsstation Neumayer III in der Antarktis und manchmal kann er immer noch nicht glauben, dass er wirklich dort ist. „Manchmal“, sagt er, „fühlt sich das hier an wie auf einem fremden Planeten.“ Da stellt sich natürlich die Frage – wie kommt man dahin? Und was muss man dafür können?

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Florian Koch, Bordingenieur Neumayer III

Koch ist mit 31 Jahren ein relativ junger Mann für die Arbeiten in der Antarktis. Er kommt aus Wesel am Niederrhein, ist landwirtschaftlich verwurzelt und seit frühester Kindheit ein großer Freund von Traktoren und sonstigem Großgerät. „Ich hab im Nachbarort Landmaschinen-Mechaniker gelernt – da konnte ich mit dem Fahrrad hin. Dann hatte ich mir überlegt, dass neben dem Reparieren doch auch das Entwickeln von Maschinen ganz interessant sein könnte.“

Inspiration Spitzbergen

Und so kam Koch nach Köln: „Ich habe mich für ein Studium der Landmaschinentechnik an der heutigen TH Köln entschieden. Ich habe ein paar Jahre in Deutz gewohnt, in der »Rakete«“ – so heißt dort das Studentenwohnheim. Eine schöne Zeit war das in Köln, aber nach dem Studium ging es zurück nach Hause. Es gab einen guten Job bei einer Landmaschinenfirma in Wesel – Koch arbeitete als Konstrukteur und Hydraulik-Ingenieur. Das mit der Hydraulik ist wichtig.

Kochs Familie verbrachte einen Urlaub in Nordnorwegen – bei einem Besuch im Museum der Stadt Tromso fiel ihnen ein Aufruf des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ins Auge – die Forschungsgesellschaft suchte Techniker für ihre Station auf Spitzbergen. Sie erzählten davon und es machte Klick bei ihm: „Mensch, Florian! So ein Abenteuer – das wäre doch mal was für Dich!“, habe er sich gedacht. Koch suchte auf der Homepage des AWI nach Stellenangeboten – und wurde fündig. Die Neumayer III suchte einen Stations-Ingenieur.

200 Meter dicke Eisschicht

„Im ersten Moment konnte ich mir das gar nicht vorstellen“, erzählt er, „so außergewöhnlich und einzigartig wie das ist! Aber manchmal muss man auch nach den Sternen greifen“, dachte er sich. „Also habe ich mich beworben.“ Auf dem Ekström Schelfeis steht die Station Neumayer III auf einer 200 Meter dicken Eisschicht. Durch den jährlichen Schneezutrag von einem Meter und mehr muss die Station stetig angehoben werden. „Die Station ist auf Hydraulik gebettet“, sagt Koch – und als Hydrauliker hatte er vorher gearbeitet.

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Neumayer III Hydraulik

Kein Wunder also, dass man sich am Ende für ihn entschieden hatte, aber ein bisschen hat es schon noch gedauert. „Ich hatte eine Bewerbung geschrieben und dann noch eine und dann im März 2020 wurde ich zum Vorstellungsgespräch geladen.“ Damals hatte Corona die Welt gerade erstmals fest im Griff. Es dauerte wieder alles ziemlich lange, aber schließlich kam die Zusage und Koch wusste:„Diese Chance gibt es nur einmal im Leben.“

Die Station ist von Aufbau und Anlage her vergleichbar mit einem Schiff. „Ich als Landratte bin also bei einer Reederei angestellt und bekomme eine Heuer“, sagt Koch. 14 Monate verbringen er und das Winterteam an Bord. Bevor es wirklich losging, wurde die Gruppe einem praktischen Eignungstest unterzogen; nachdem alle auf ihre Aufgaben eingestimmt waren, ging es für eine Woche nach Österreich zu einem Bergkurs.

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Neumayer III bei Nacht

„Da wird die Belastbarkeit getestet“, sagt Koch, „man schläft mit den anderen neun Leuten in einem Zimmer, gibt keine Rückzugsmöglichkeit. Dann geht es rauf auf den Berg, oben auf dem Gletscher wird gecampt; man seilt sich an Steilhängen ab und wirft sich in Gletscherspalten. Da sieht man dann, wie die Leute mit all dem umgehen – wie sie interagieren mit den anderen. Für Einzelkämpfer ist da wenig Platz – das würde schwierig in der Antarktis. Dort zählen das Miteinander und das Helfen.“

Strapaziöse Anreise

Wegen Corona war schon die Anreise strapaziös: „Wir sind kurz vor Weihnachten 2020 von Bremerhaven aus nach acht Tagen Quarantäne mit einem Shuttle-Bus zum Forschungsschiff »Polarstern« gefahren worden. Und dann ging es vier Wochen den Atlantik runter bis vor die Schelfeis-Kante. In der Biscaya vor Frankreich gab’s Sturm und Acht-Meter-Wellen, da haben wir den Weihnachtsbaum im Liegen geschmückt und Zwieback gegessen.“ In diesem Jahr wurde wieder geflogen – das Sommerteam kam per Flugzeug bis nach Kapstadt. „Die haben an Bord den Impfstoff mitgebracht“, sagt Koch. Das hat die Lage etwas entspannt.

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Der Helicopter der FS Polarstern bringt Gäste vom Schiff zur Station.

„Es gibt auf der Station zwei hohe Feste: Weihnachten und die Stationsübergabe“, sagt Koch. Stationsübergabe ist im Januar geplant, wenn die Besatzungen ausgetauscht werden. „An Weihnachten wird es wahrscheinlich was Festliches zu essen geben, der Koch ist jedenfalls instruiert“, erzählt der Stations-Ingenieur, „Kerzen und offenes Feuer sind nicht erlaubt, also wird der Plastikbaum mit LED-Leuchten geschmückt. Und auf dem Dach wird gesungen.“

Kein Heimweh

Das geht zurzeit – es ist Hochsommer in der Antarktis. „Leider wird es nicht dunkel“, sagt Koch, „das trübt das vorweihnachtliche Gefühl ein bisschen.“ Dafür ist es relativ warm: Waren es im Winter auch mal minus 48 Grad, so steigen die Temperaturen inzwischen auf minus zehn bis minus fünf Grad. „Das ist ein bisschen wie Mallorca“, sagt Koch, „da kann man zum Arbeiten mit dem T-Shirt raus.“

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Die wissenschaftlichen Schwerpunkte sind aktuell die Bereiche Luftchemie, Meteorologie, Geophysik . Eine Kollegin von der Nasa kümmert sich um das Gewächshaus „Garten Eden“ – eine Art Modell-Schrebergarten des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt. Sie sucht nach Erkenntnissen für die Raumfahrt. Auch die Tiere vor Ort werden beobachtet und gechipt – Verhaltensforscher studieren die Pinguine und Robben in ihren Kolonien. „Ich freu mich drauf, wenn das Eis aufbricht und man die Wale sehen kann“, sagt Koch und schwärmt wieder: „Es ist ganz toll.“

In die Festtage geht er mit gemischten Gefühle, wie er sagt: „Man ist gerne hier, aber man ist eben nicht zuhause.“ Aber schlimm ist es auch nicht, darauf legt er Wert: „Ich bin jemand, der eigentlich ganz gern den Kirchturm sieht – und dennoch hab ich nicht einen Tag Heimweh gehabt. Das Angebot ist ja auch da: Ich kann jederzeit kostenlos zuhause anrufen – das ist ein wirklicher Luxus im Vergleich zu den Anfängen auf der Neumayer I, wo das so noch nicht möglich war.“

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