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Angriffe auf Öl-PipelineOrbán droht Selenskyj – Streit zwischen Ukraine und Ungarn eskaliert

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Der ungarische Regierungschef Viktor Orban droht der Ukraine. /Beata Zawrzel

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban droht der Ukraine.

Der Konflikt zwischen der Ukraine und Ungarn spitzt sich nach Angriffen auf die Druschba-Pipeline zu. Ungarns Ministerpräsident Orbán erhebt schwere Vorwürfe.

Drohnen- und Raketenangriffe auf die russische Druschba-Pipeline haben den Dauerkonflikt zwischen Kiew und Budapest eskalieren lassen. Das ukrainische Militär hatte in der vergangenen Woche eine wichtige Pumpstation des Pipeline-Systems Druschba (Freundschaft) im Westen Russlands unter Beschuss genommen und damit die Öllieferungen nach Ungarn und die Slowakei gestoppt. Die Pipeline liefert russisches Öl durch die Ukraine und Belarus nach Mitteleuropa. Das ukrainische Militär greift immer wieder Pipeline an, um Moskaus Einnahmequellen auszutrocknen und die Fähigkeit der Russen zu schwächen, in der Ukraine Krieg zu führen.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán reagierte mit wütenden Attacken. Selenskyj habe die Pipeline nur deshalb zerstören lassen, weil Budapest den EU-Beitritt der Ukraine blockiere, behauptete er. „Das beweist einmal mehr, dass Ungarn die richtige Entscheidung getroffen hat“, polterte Orban. Mit „Erpressung, Explosionen und Drohungen“ werde Kiew seinen Weg in die EU nicht erzwingen.

Neue Eskalationsstufe zwischen Ungarn und der Ukraine

Es ist eine neue Eskalationsstufe in den ohnehin zerrütteten Beziehungen zwischen Kiew und Budapest. Orbán blockiert mit seinem Veto die nächsten Schritte im EU-Beitrittsverfahren und hat mehrfach erklärt, einen Beitritt der Ukraine verhindern zu wollen. Selenskyj wiederum setzte am Sonntag einen Seitenhieb: „Die Existenz der Freundschaft hängt nun von der Position Ungarns ab“, sagte er – ein kaum verhüllter Hinweis auf Orbans Blockade.

30.09.2022, Belgien, Brussels: Robert Habeck (r, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht mit dem ungarischen Außenminister Peter Szijjarto (l) während eines Treffens der EU-Energieminister in Brüssel am Freitag. Foto: Virginia Mayo/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Robert Habeck, damaliger Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, sprach mit dem ungarischen Außenminister Peter Szijjarto (l.) 2022 während eines Treffens der EU-Energieminister in Brüssel.

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto reagierte prompt. Er warf der Ukraine „schwere Angriffe“ auf die Sicherheit der ungarischen Energieversorgung vor. „Die Angriffe auf die Energiesicherheit sollten als Angriffe auf die Souveränität interpretiert werden.“ Ungarn habe nichts mit dem Krieg zu tun und dürfe daher nicht unter den Folgen leiden. „Wir fordern Wolodymyr Selenskyj auf, seine Drohungen gegenüber Ungarn einzustellen und unsere Energiesicherheit nicht länger zu gefährden“, so der Außenminister aus Ungarn.

EU-Kommission sagt, die Notvorräte sind ausreichend

Sein ukrainischer Amtskollege Andrii Sybiha konterte: „Sie müssen dem ukrainischen Präsidenten nicht sagen, was er tun oder sagen soll“, erklärte er. „Er ist der Präsident der Ukraine, nicht Ungarns. Die Energiesicherheit Ungarns liegt in Ihren eigenen Händen.“ Ungarn solle seine Energieversorgung diversifizieren und unabhängig von Russland werden, wie der Rest Europas.

Während Ungarn und die Slowakei in Brüssel Alarm schlugen, sie müssten nach dem Angriff mindestens fünf Tage ohne russisches Öl auskommen, wies die EU-Kommission die Panikmache zurück. Alle Mitgliedstaaten seien verpflichtet, Notvorräte an Öl für 90 Tage anzulegen. „Wir bestätigen, dass sowohl die Slowakei als auch Ungarn die vorgeschriebenen Notvorräte an Erdöl vorhalten und diese im Notfall auf den Markt bringen können“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Es gibt keine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit in der EU.“ Man werde auf den Brief zu gegebener Zeit antworten. Der ungarische Außenminister Szijjarto legte am Dienstag dennoch nach: „Die EU-Kommission spuckt sich selbst ins Gesicht, wenn sie schweigt.“

Grünen-Energiepolitiker Michael Bloss sagte: „Es ist absolut legitim, wenn die Ukraine diese Infrastruktur ins Visier nimmt. Russlands Öleinnahmen sind das Rückgrat der Kriegsmaschinerie, mit der dieser Angriffskrieg täglich neues Leid bringt.“ Orban gefährde die Energiesicherheit Ungarns selbst, indem er am russischen Öl festhalte, sagt Bloss dem RND.

Nur Ungarn und die Slowakei beziehen noch Druschba-Öl

Tatsächlich sind Ungarn und die Slowakei die letzten beiden Länder, die trotz des Krieges weiter Öl aus der Druschba-Pipeline beziehen. Im Juli importierten sie Rohöl im Wert von mehr als 350 Millionen Euro. Während Brüssel den vollständigen Ausstieg aus russischer Energie fordert, droht Orban der EU offen mit einem Veto beim Beitritt der Ukraine.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU), mahnte zur Mäßigung. „Entscheidend ist nun, die Lage nicht durch nationale Schuldzuweisungen weiter zu belasten, sondern europäische Geschlossenheit zu bewahren“, sagt er dem RND. „Zugleich gilt es, unsere Unterstützung für die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression unmissverständlich zu bekräftigen.“

Orban schreibt Beschwerde-Brief an Trump

Orban sucht derweil Rückendeckung in Washington und hofft, dass das Weiße Haus Druck auf Selenskyj ausübt. Ein Brief an Donald Trump, in dem sich Orban über den Angriff beschwert, hat der US-Präsident offenbar handschriftlich mit dem Kommentar versehen: „Viktor – das höre ich nicht gern – ich bin sehr wütend darüber“.

Auch ökonomische Drohungen stehen im Raum: Die Slowakei erwägt, ihre Diesel-Lieferungen an die Ukraine zu stoppen – immerhin stammen zehn Prozent der ukrainischen Importe von dort. Ungarn drohte bereits, den Strom abzudrehen, obwohl die Ukraine 40 Prozent ihrer Elektrizität von dort bezieht.

Die EU hat längst beschlossen, Pipeline-Ölimporte aus Russland zu drosseln. Nur Ungarn und die Slowakei erhielten Ausnahmen und beziehen weiter russisches Öl. Doch die Kommission drängt: Alle Mitgliedstaaten sollen vollständig aus der Nutzung russischer Energieträger aussteigen – unter scharfem Protest von Orban.