Ina Scharrenbach zur Flut„Wir waren in den Verwaltungen nicht optimal vorbereitet“

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NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU).

  • Bauministerin Ina Scharrenbach glaubt ein Jahr nach der Flut, dass Hochwasser die Region jederzeit wieder treffen könnte.
  • Sie wolle sich dafür einsetzen, dass künftig zum Beispiel durch Rückstauklappen hochwassersicherer gebaut wird.
  • In der Landesverwaltung will sie Stand-By-Teams, die im Krisenfall ihre Arbeit übergeben und bei der Bewältigung besonderer Einsatzlagen helfen können.

Düsseldorf – Vor einem Jahr hat die Flut-Tragödie das Land erschüttert. Wären die Menschen heute besser geschützt? Ja. Ich glaube schon, dass die Menschen heute besser geschützt und zugleich vorbereitet sind. Die Sommerflut und ihre tragischen Folgen haben die Menschen für die tödliche Gefahr sensibilisiert, die von einem Starkregen ausgehen können. Heute sind viele Menschen besorgt, wenn der Wetterbericht Starkregen vorhersagt.

Nach der Flut sprachen viele Experten von einem „Jahrtausend-Hochwasser“. Wann rechnen Sie mit der nächsten Überflutungs-Katastrophe? Wir hatten in den vergangenen Jahren regelmäßig Überflutungen in NRW  – zuletzt besonders schwer 2014 in Münster. Wetterextreme führen dazu, dass Tiefdruckgebiete sich oft über Tage kaum verlagern. Dann kann Starkregen verheerende Folgen haben, denn es fällt extrem viel Wasser in wenig Zeit auf eng begrenztem Raum. Das kann jederzeit passieren.

Viele Gebäude, die von der Flut zerstört wurden, werden an gleicher Stelle wieder aufgebaut. Ist das schlau?   Wir wollten den Menschen nicht vorschreiben, an welcher Stelle sie zerstörte Gebäude wieder aufbauen konnten. Die meisten Betroffenen haben ihre Häuser am alten Ort neu errichtet. Wenn man den Wiederaufbau in Überflutungszonen verbieten würde, würde es ja viele Orte und Städte nicht mehr geben.  Wichtig ist, dass neue Gebäude hochwasser-sicherer errichtet werden. Hierzu prüfen wir eine landesgesetzliche Regelung.

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Was planen Sie? Ich habe im vergangenen Jahr in der Bauministerkonferenz dafür geworben, in der Musterbauordnung Regelungen für einen hochwasser-sichereren Bau zu prüfen. Bedauerlicherweise ist die Prüfung negativ ausgefallen. Da Bauordnungsrecht Landesrecht ist, schauen wir jetzt, ob wir als Nordrhein-Westfalen vorangehen werden. Wenn man beim Neubau bestimmte Aspekte berücksichtigt,  kann man mit geringem Aufwand viel für den Schutz des eigenen Hauses erreichen. Das wäre auch eine starke Botschaft für die Öffentlichkeit.

Was genau sollte geregelt werden? Wir brauchen eine Verständigung darüber wie wetter-sichereres Bauen aussehen kann. Ein Punkt ist, dass viele elektrische Anlagen in den Kellern verbaut sind und die schlichtweg im Zuge der Wassermassen ausgefallen sind.  Es stellt sich die Frage, wie künftig diese Anlagen verbaut werden sollen. Möglich wäre beispielsweise, sie in höhere Etagen zu bauen. Kellerlichtschächte können so gesichert werden, dass bei Starkregen durch sie kein Wasser ins Haus eindringt. Rückstauklappen können dafür sorgen, dass kein Wasser von unten in die Keller eindringt. Solche Vorgaben könnten wir in der Landesbauordnung für NRW regeln. Die Kosten von präventiven baulichen Maßnahmen stehen in keinem Verhältnis zu potenziellen Schäden.

Wie zufrieden sind sie mit dem Tempo der Schadenregulierung? Mittlerweile können wir Anträge, die vollständig eingereicht werden, innerhalb von neun Tagen bewilligen. Wir waren allerdings in den Verwaltungen nicht optimal auf die Krisenbewältigung vorbereitet. Hier sehe ich Handlungsbedarf.

Inwiefern? Die Prozesse waren nicht ideal für die Abwicklung der Anträge geeignet. Es war ein lernendes System, das wir in kürzester Zeit aufbauen mussten. Aus der Erfahrung kann man jetzt sagen, dass wir neue Softwarelösungen benötigen,  bei denen die Programmierung schnellstmöglich auf den jeweiligen Anwendungsfall angepasst werden kann. Und wir müssen unsere personellen Ressourcen besser nutzen. Mitarbeiter müssen flexibler eingesetzt werden können.

Wie soll das in der Praxis funktionieren? Ich setze mich dafür ein, dass wir in der Landesverwaltung Stand-By-Teams bekommen, die im Krisenfall ihre Arbeit übergeben und bei der Bewältigung besonderer Einsatzlagen mitarbeiten. An vielen Stellen hat das richtig gut funktioniert, an einigen weniger. Die Mitarbeiter sollten ihre Bereitschaft erklären können, in solchen Situationen sofort für die Organisation bestimmter Arbeitsabläufe verfügbar zu sein. Sinnvoll wäre es, diesen Mitarbeitern einen finanziellen Ausgleich zu ermöglichen. Wie das gehen kann, müssen wir im öffentlichen Dienstrecht klären.

Wie sind Sie mit dem Tempo des Wiederaufbaus zufrieden? Die Menschen in NRW haben einen riesigen Kraftakt vollbracht.  220 Straßensperrungen konnten innerhalb von 200 Tagen beseitigt werden.  In der völlig zerstörten Innenstadt von Bad Münstereifel haben bereits 17 Geschäfte wieder eröffnet. Vieles ist aus  meiner Sicht schöner und barrierefreier als vor der Flut. Gemeinsam wurde unheimlich viel erreicht. Die Solidarität war überwältigend. Durch die Nachbarschaftshilfe beim gemeinsamen Wiederaufbau sind viele neue Freundschaften entstanden.

Noch nicht alle Kommunen haben ihre Ansprüche an den Wiederaufbaufonds geltend gemacht. Aber es ist abzusehen, dass von den 12,3 Milliarden, die bereitstehen, nur ein Bruchteil abgerufen wird. Wie erklären Sie sich das? Wir haben die Summe 14 Tage nach dem Schadenereignis über die betroffenen Kommunen erhoben. Es hat sich aber herausgestellt, dass fünf bis sechs Milliarden Euro von den Versicherungen reguliert wurden, weit mehr als im August 2021 angenommen. Wir hatten mit Versicherungserstattungen von 1,5 Milliarden Euro gerechnet. Hinzu kommt, dass viele privat Geschädigte, aber auch Kommunen ihre Schäden an der Infrastruktur noch nicht abgerechnet haben. Die Tür für eine Regulierung bleibt bis zum Sommer 2023 offen. Ich gehe davon aus, dass der größte Teil des Wiederaufbaus der geschädigten Infrastrukturen in Kommunen bis zur Mitte des Jahrzehnts abgeschlossen ist. Wenn man ein Rathaus oder eine Schule neu bauen muss, geht das nicht von jetzt auf gleich. 

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Bei den Entschädigungs-Anträgen für zerstörten Hausrat gab es in 196  Fällen Betrugsverdacht. Wie sind die mutmaßlichen Betrüger aufgefallen? Wir haben bislang 22 Fälle an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Ich hatte von Anfang an die Befürchtung, dass die Schadenregulierung auch Betrüger auf den Plan rufen würden. Teilweise sind die Kriminellen sehr dreist vorgegangen. Da wurden Zerstörungen, die an ganz anderen Orten entstanden waren, fotografiert und als eigene Schäden ausgegeben. Das ist aufgefallen, weil unterschiedliche Anträge für identische Schadensereignisse eingereicht wurden. Uns haben auch Meldungen über überteuerte Kostenvoranschläge von Handwerkern erreicht.  In einem Fall sollte allein der neue Putz eines Hauses 170.000 Euro kosten. Da hatte die Baufirma den Eigentümern vorgeschlagen, die Differenz zwischen Erstattung und tatsächlichen Kosten aufzuteilen. Die Hauseigentümer sind dankenswerterweise nicht darauf eingegangen.

Viele Bürgermeister hatten keine Erfahrung damit, die Krise zu bewältigen. Sie die Verwaltungen gut genug auf künftige Notlagen vorbereitet? Die Bürgermeister haben einen hervorragenden Job gemacht. Ich würde als Kommunalministerin aber vorschlagen, dass die politisch Verantwortlichen in den Kommunen künftig Schulungen absolvieren müssen, die sie in die Lage versetzten, im Krisenfall angemessen agieren zu können.  Ein fundiertes Wissen um das Katastrophenmanagement kann Leben retten.

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