Jürgen Domian zur Corona-Krise„Ich kann das Wort Feiern nicht mehr hören“

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Berät Menschen in der Corona-Krise: Jürgen Domian

Berät Menschen in der Corona-Krise: Jürgen Domian

  • Die Pandemie macht Menschen irre einsam oder einsam irre.
  • Wie kaum ein anderer weiß Talker Jürgen Domian, was in solchen Situationen zu sagen und zu tun ist.
  • Zeit für einen Spaziergang.

Köln – Ein Montag Anfang November, 16.30 Uhr. Jürgen Domian, der seit Jahren in Interviews immer mal wieder ein bisschen spirituelle Entwicklungshilfe für den Zen-Buddhismus betreibt, hat als Treffpunkt passenderweise das „Museum für Ostasiatische Kunst“ ausgewählt. Aber vielleicht war das auch Zufall. Wer weiß? Jürgen Domian selbst wahrscheinlich. Aber mit solchen Kleinigkeiten will man sich nicht aufhalten, denn – auch das wird man von Domian erfahren – der Zen lehrt die Wirklichkeit im Jetzt zu suchen. Und jetzt ist Pandemie.

Die also soll besprochen, diskutiert und ihr im besten Fall eine größere Deutung abgerungen werden. Man hat sich deshalb vorgenommen, so lange den Aachener Weiher zu umrunden, bis das erledigt ist, bis man nichts mehr zu reden hat. Dann mal keine Zeit verlieren.

Hallo, Herr Domian!

Hallo! Du, wollen wir uns nicht duzen? Alle duzen mich. Da ist das mit dem Sie irgendwie komisch.

Man ist natürlich sofort drin. Diese Stimme, schon hundert Mal gehört, wie sie ambulante Seelenpflege für die nächtlichen Sorgen Eigenheim-Deutschlands leistet. Du-Domian, so meint man, hat in seiner Talkshow schon alle Krisen kennengelernt, immer nachts, auch solche, die einsam oder irre machen. Er hat mit Frauen gesprochen, die neben ihrem gerade gestorbenen Mann lagen und mit Männern, die sich eine Frau aus Hackfleisch bauen. Eine vermeintliche gesellschaftliche Normalität, wie man sie aus Prä-Corona-Zeiten zu kennen glaubte, muss für diesen Mann eine Illusion sein.

Domian, du bist gut darin, Leuten das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind. Bist du auch gut darin, selbst allein zu sein?

Ich bin ein Einzelgänger, schon immer gewesen, ich glaube, das ist genetisch bedingt. Ich schätze mich sehr glücklich, mein ganzes Leben lang mindestens ein oder zwei richtig gute Freunde gehabt zu haben. Immer. Manchmal waren es sogar drei. Das war dann etwas ganz Besonderes. Dennoch habe ich in meinem Leben, freiwillig und unfreiwillig, sehr viel Einsamkeit erlebt. Ich kann sehr gut damit umgehen.

Gibt es da einen Unterschied, zwischen „einsam“ und „alleine“?

Einerseits ist einsam sein negativ besetzt. Wer einsam ist, leidet. Andererseits suchen Menschen oft gezielt die Einsamkeit. Zum Beispiel, um Exerzitien zu halten. Ähnlich ist es mit dem Alleinsein. Ich bin oft sehr gerne allein.

Viele würden sich diese Vorliebe für Selbstisolation gerade wünschen.

Was daran liegt, dass wir verlernt haben zu verzichten. Vor allem auf Luxus und Spaß. Ich kann das Wort „Feiern“ nicht mehr hören ... Dann ist es eben im Moment nicht möglich zu feiern. Ende der Debatte! Wir leben in einer derart hedonistischen und narzisstischen Zeit, dass Tugenden wie eben Verzicht, Bescheidenheit oder gar Demut wie Begriffe aus einer fernen Märchenwelt klingen. Mich provoziert diese Egozentrik der Menschen.

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Ich hätte nicht gedacht, dass du dich provozieren lässt, als Zen-Buddhist.

Ich bin erst ein Anfänger in Sachen Zen. Grundsätzlich finde ich Leben sehr schwierig. Adäquat mit meinen eigenen Unzulänglichkeiten umzugehen und mit denen der anderen Menschen. Ich finde es zum Beispiel sehr wichtig, niemandem zu schaden. Und dann sehe ich, wie Leute völlig gedankenverloren andere gefährden. Bei Partys im Belgischen Viertel oder in der Schanzenstraße. Von Rücksicht also keine Spur.

Trotz Lockdown und verschärften Maßnahmen ist es an diesem Tag sehr voll im Kölner Grüngürtel. Mütter testen, wie viele Kinderwagen nebeneinander auf den Gehweg passen, Studenten trinken Bier, Jogger, na ja, joggen . Ein Mädchen, vielleicht 16 Jahre alt, entdeckt spontan ihre Begeisterungsfähigkeit und schreit: „DOOOMIAN!“ Der, ganz der Profi, wenn es darum geht, Menschen zu beruhigen, sagt „Hallo!“, winkt und lächelt.

Also Narzissmus. Ist der es auch, der Menschen dazu bringt, die krudesten Dinge zu glauben? Nehmen wir die Querdenker. Die bieten ja ein 1a-Selbstbild an: Ich bin erleuchtet, ich habe die Zusammenhänge verstanden, ich bin schlauer als ihr alle.

Ich verzweifle jeden Tag daran, Verschwörungstheoretiker zu verstehen. Und ich habe, ehrlich gesagt, auch keine Lust mehr, mich mit dem Unsinn auseinanderzusetzen.

Das kommt überraschend. Nichts für ungut, aber wenn jemand für jeden Abgedrehten noch Verständnis findet, dann ja wohl Domian.

Ja, reden und sich auseinandersetzen ist enorm wichtig. Ich rede in meinen Sendungen mit Nazis, Pädophilen, Mauerschützen und Hooligans. Ich sehe es sogar als mein Pflicht, so lange zu reden, solange man reden kann. Aber es gibt eben auch Grenzen. Eine Bekannte zum Beispiel streitet grundsätzlich ab, dass es Corona gibt. Ich fragte sie: „Was glaubst du denn, was gerade auf der ganzen Welt passiert?“ Und sie berichtete mir von Menschen, die angeblich im Krankenhaus Geld dafür bekämen, draußen zu erzählen, sie seien an Corona erkrankt gewesen. Was soll ich da noch sagen?

Pause auf einer Bank. Eigentlich sollte das Gespräch ja ein positives werden. Man wollte lernen von Domian, dessen Leben jahrelang ohne viel Kontakt auskommen musste. Als er wach war, schlief der Rest. Und wer nicht schlafen konnte, der war ein Fall für Domian und so auch mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Geselligkeitsgewinner.

Als Domian dann aber auch noch wenig mutmachend erzählt, er glaube, nach der Pandemie würde alles nur schlimmer, der Wahnsinn würde sich verdoppeln, das Fliegen, das Kaufen, das Konsumieren. Tja. Da verfestigt sich beim Reporter doch der Eindruck, dass eine Wendung des Dialogs in Richtung wohliges Bauchgefühl nur noch schwerlich möglich sein wird. Über den Baumkronen zerläuft allmählich die Dunkelheit. Domian kramt in seiner Tasche, zieht etwas heraus, öffnet die Handfläche – und bietet ein Bonbon an.

Wie geht’s dir privat mit Corona?

Meine Mutter meinte neulich: „Wir haben ein Dach über dem Kopf und zu essen, wir werden das schon schaffen.“

Also alles gar nicht so schlimm?

Die Pandemie ist sehr schlimm. Aber ich komme damit klar. Zudem haben wir gute Bedingungen. Wir können raus in die Natur gehen, und wir haben Smartphones, Computer und das Internet. Wir können uns virtuell treffen und nach Lust und Laune kommunizieren. In meinem ersten Studentenjahr in Köln hatte ich nicht einmal ein Telefon. Da wäre eine Corona-Krise schrecklich gewesen.

Der Nachttalker

Jürgen Domian kümmert sich seit 25 Jahren als öffentlicher Telefonseelsorger in Hörfunk und Fernsehen um die Nöte seines Publikums.

Von 1995 bis 2016 war er im WDR und auf 1 Live nachts für die Probleme seiner Zuhörer und Zuschauer da.

Nach einer Pause verkündete der WDR 2019 Domians Rückkehr ins Fernsehen. Zunächst lud der Talker live Anrufer ins Studio ein. Der Ausbruch der Corona-Pandemie führte dazu, dass Domian wieder zum alten Telefon-Format zurückkehrte. Zu Beginn des ersten Lockdowns erhöhte der WDR die Sendefrequenz.

Seine große, treue Fangemeinde tauscht sich vor allem über Twitter, aber auch bei Facebook während der Sendung rege über die Anrufer aus.

Nächster Sendetermin: Freitag, 27.11., 23.30 Uhr, WDR

Wer dabei sein will, schreibt oder ruft an

domian@wdr.de

0800/220 88 99

Noch Ende 2019, so war es zumindest in der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen, besaß Domian ein Tastenhandy, das nicht mehr konnte, als: Anrufe tätigen und entgegennehmen. Jetzt klingeltont es aus seiner Hosentasche. Die Agentin. Er drückt ein iPhone ans Ohr.

Warum glaubst du eigentlich, die Leute rufen dich an? Also in der Sendung, meine ich.

Durch die langjährige Radio- und Fernsehpräsenz bin ich vielen Leuten zu einem guten Bekannten geworden, dem man vertraut. Das freut mich sehr. Hinzu kommt, dass so viele Menschen, unabhängig von Corona, wirklich allein und einsam sind und darunter leiden. Übrigens aus allen Altersgruppen und Bildungsschichten. Für diese Leute ist es wichtig, dass ihnen jemand zuhört und sie ernst nimmt. Wir versuchen, soweit das im Rahmen einer Sendung möglich ist, etwas Lebenshilfe anzubieten. Dabei werde ich ja von meinen Psychologen im Hintergrund unterstützt.

Du hingegen brauchst manchmal die völlige Stille.

Ja, dafür fahre ich dann meistens im Sommer nach Lappland. Ich miete mir ein Blockhaus in der Wildnis und mache nichts weiter als wandern und schlafen. Kein Radio, kein Fernsehen, kein Internet, nur ein Not-Handy habe ich dabei. Die ersten drei, vier Tage sind in der Regel äußerst schwierig, da halte ich mich selbst kaum aus. Die Gedanken springen wie eine Herde wilder Affen durch meinen Kopf.

Wie schafft man, dass es aufhört?

In dem man aktiv nichts tut. Man muss es über sich ergehen lassen.

Es wird langsam spät, aber da ist noch ein Thema, über das man mit Domian sprechen muss, man kann nicht nicht mit ihm darüber reden. Auch weil er selbst sagt, dass er sich jeden Tag damit beschäftigt. Der Tod.

Du sagst, du hast dich mit dem Tod versöhnt. Wie geht das?

Das war ein langer Prozess. Das Wichtigste dabei ist, den Tod nicht mehr als Gegner zu sehen. Vielmehr sind Tod und Leben die beiden Seiten derselben Münze. Je tiefer ich das begriffen habe, desto lebensfroher wurde ich.

Trotzdem wollen die meisten lieber nicht an Corona sterben.

Ich auch nicht.

Kurze Stille. Domian zeigt auf eine Laterne, da steht sein Fahrrad. Ist noch was? Ein Zögern. Gerade nicht. Aber was, wenn doch noch was sein sollte? Sorgen auftreten? Sich Spleens einstellen? Man sich schlicht einsam fühlt? Jemanden zum Reden braucht?

Gibt es einen tröstlichen Ausweg. Man kann Domian ja jederzeit anrufen.

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