KolumbienGeschäft mit Kokain durch Legalisierung austrocknen

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Purrer Adveniat

Ulrike Purrer, Leiterin des "Centro Afro" in Tumaco/Kolumbien

Vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Kolumbien am 29. Mai richten sich hohe Erwartungen an den linken Kandidaten Gustavo Petro. Der 62-Jährige könnte nach dem Sieg seines Bündnisses "Pacto Histórico" in der Parlamentswahl vom 13. März die Vormacht der Rechten brechen und den von Amtsinhaber Iván Duque vernachlässigten Friedensvertrag für das jahrzehntelang durch bewaffnete Konflikte erschütterte Land neu beleben.

Duque habe nach dem Friedensvertrag von 2016 mit freiwilliger Entwaffnung der größten Rebellen-Organisation Farc ein Machtvakuum entstehen lassen, erklärt die Theologin Ulrike Purrer. Sie leitet in der pazifischen Küstenstadt Tumaco ein vom katholischen Hilfswerk Adveniat unterstütztes Kulturzentrum. "Andere bewaffnete Gruppen sind in diese Lücke gestoßen, insbesondere Paramilitärs. Die Dynamik der Gewalt ist in Teilen des Landes ungebrochen. Trotzdem glauben wir fest an den Friedensvertrag, weil er das Morden insgesamt eingedämmt hat."

Zulauf zum linken Präsidentschaftskandidaten

Viele Menschen seien einer Regierung überdrüssig, "der es noch nicht einmal peinlich ist, zu sagen, dass sie nicht auf diesen Friedensvertrag setzt". Das, so Purrer, erkläre wesentlich den Zulauf zu Petro.

Dieser hat die 40-Jährige Afrokolumbianerin Francia Márquez, eine bekannte Umweltaktivistin, zu seiner Kandidatin für die Vizepräsidentschaft gemacht.

Stichwahl wahrscheinlich

Im traditionell konservativen Kolumbien kann Petro nach jüngsten Umfragen im ersten Anlauf mit mehr als 40 Prozent der Stimmen rechnen. Eine Stichwahl gegen den konservativen Kandidaten Federico Gutierrez ist dennoch wahrscheinlich. Hinter Gutierrez steht der frühere Präsident Alvaro Uribe, nach wie vor ein mächtiger Strippenzieher in der kolumbianischen Politik.

Als größtes Problem Kolumbiens schildert Purrer, die seit zwölf Jahren in Tumaco tätig ist, die Drogenkriminalität. "Alles hier hängt mehr oder weniger vom Geschäft mit Koka ab", sagt die 45 Jahre alte Rostockerin. Bei 72 Prozent Arbeitslosigkeit in Tumaco bleibe vielen Menschen aber oft gar keine andere Wahl. "Theoretisch kann man hier Kakao von hoher Qualität anbauen. Doch die Preise und der mühsame Vertrieb lassen den Produzenten vom Erlös kaum etwas übrig. Dagegen kommen die Koka-Händler zu den Bauern, holen die Pflanzen persönlich ab und legen gutes Geld auf den Tisch. Wäre ich alleinstehend mit fünf Kindern, würde ich vermutlich auch Koka anbauen."

Attraktivität des illegalen Drogenhandels

Damit heiße sie das Drogengeschäft mit seinem "Teufelskreis des Verbrechens und der Gewalt" jedoch keineswegs gut, betont Purrer. Als Ausweg sieht sie die Legalisierung des Kokainverkaufs, um so die Attraktivität des illegalen Handels für Drogenkartelle und bewaffnete Banden zu beenden.

Drogen_in_Bananenkisten

Unter Bananen haben kriminelle Drogenhändler Kokain versteckt. 

Zudem müsste die künftige Regierung massiv in Arbeitsplätze und Infrastruktur investieren. Heute würden die bildungswilligen Jugendlichen, die sie betreut, von Altersgenossen oft belächelt: "Du willst Lehrerin werden? Bis du dein erstes Semester abgeschlossen hast, habe ich schon eine Fuhre Koka nach Mexiko gekarrt, ein dickes Auto gekauft und ein dreistöckiges Haus gebaut."

Bedeutende Rolle der Kirche

Purrer setzt dennoch auf Graswurzel-Projekte wie ihr "Centro Africo", das speziell afrokolumbianische Jugendliche zu sozialem und politischem Engagement befähigt. Die Bedeutung der katholischen Kirche für einen gesellschaftlichen Wandel sieht Purrer in der flächendeckenden Präsenz. "Die Kirche mit ihren Katechetinnen und Katecheten ist überall." Keine andere Hilfsorganisation könne das leisten. "Bei aller Verzweiflung über viele Missstände in der katholischen Kirche bin ich dankbar, dass ich meine Arbeit in dieser Kirche tun kann."

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Zudem seien die Mitglieder der bewaffneten Banden "am Ende des Tages selbst katholisch", so dass sie Mitarbeitende der Kirche und deren Arbeit respektierten. "Wir sind trotz offener Kritik in zehn Jahren noch nie attackiert worden - weil wir ein katholisches Haus sind. Da kommt der Padre, da wird die Messe gefeiert, und die Guerilleros lassen bei uns ihre Kinder taufen."

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