Kommentar zu CoronaWo ist die Euphorie über das Ende der Pandemie?

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Eine Person hält eine Maske.

Die Corona-Pandemie ist vorüber, die Maske ist weg, künftig wird sie auch als Endemie betrachtet. (Symbolbild)

Nach drei Jahren des Leidens ist Corona keine Bedrohung mehr, aber die erwartete Euphorie darüber bleibt aus. 

Man hat sich das offizielle Ende der Pandemie in den Jahren der Corona-Depression anders ausgemalt. Möglicherweise so wie die Bilder vom Ende des Zweiten Weltkriegs in Paris und New York. Euphorisierte Menschen feiern inmitten von Konfetti-Paraden den Sieg über einen Schrecken, der viele Millionen Menschen das Leben gekostet hat, und zelebrieren die Rückkehr in ein Leben voller Freude, Unbeschwertheit, Euphorie.

Corona hat sich in der Gefahr von Influenza, Malaria und Krebs eingereiht

Obwohl der Karneval sehr bald solche Bilder liefern wird, sollte man sie nicht als Dokumente einer solchen Ausgelassenheit verstehen. Ebenso wenig, wie das Ende des Zweiten Weltkrieges das Ende kriegerischer Auseinandersetzungen war, wird das Ende der Pandemie ein Ende des Sterbens durch ansteckende Krankheiten sein. Richtig ist, dass sich die Menschheit so weit an die aktuellen Versionen des Coronavirus gewöhnt hat, dass Kontaktverbote nicht mehr zu rechtfertigen und generell sinnvolle Vorsichtsmaßnahmen Privatsache sind. Gestorben wird natürlich trotzdem, aber da hat sich Corona in die Reihe bedrohlicher Erkrankungen wie Influenza, Malaria und Krebs eingereiht.

Damit scheint auch entschieden, dass die Menschheit nicht an diesem Virus zugrunde gehen wird, sondern sich in ihrer Kurzsichtigkeit und Egozentrik andere, größere Bedrohungen schaffen darf. Für einen Bürger wie mich, der in einem demokratischen Staat lebt und nicht täglich um sein materielles Überleben bangen muss, ist das zunächst mal eine gute Nachricht. Denn ich muss nicht, wie in den Jahren zuvor, jeden Morgen auf eine Zahl blicken, die mir dann mehr oder weniger exakt sagt, was ich heute und morgen tun darf und was nicht.

Es gibt wieder zweite, dritte und vierte Themen neben dem einen, das zumindest von Februar 2020 bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges das Leben auf eine für mich bis dahin ungekannte Weise beherrscht hat. Wir müssen nicht mehr täglich neue Begriffe wie Inzidenz, Mutation, Herdenimmunität oder Spike-Protein lernen und uns in Diskussionen damit aufspielen. Niemand muss mehr alle seine Worte und Gedanken zu diesem Thema auf eine riesige imaginäre Goldwaage legen lassen, um mit Haut und Haaren danach beurteilt zu werden. Die Maskenfrage hat sich auch erledigt. Neulich war ich der Einzige im Supermarkt, der eine trug. Gestern habe ich jemand anderen damit gesehen. Da war er der Einzige.

Corona hat nicht nur Millionen Leben gekostet, sondern auch Millionen Freundschaften

Aber die Folgen bleiben. Corona hat nicht nur Millionen Leben gekostet, sondern auch Millionen Freundschaften, Beziehungen und persönliche Verbindungen. Das Virus hat Liebschaften beendet, Familien entzweit, Gefährten entfremdet. Es hat die ohnehin erodierende Bereitschaft, andere Meinungen gelten zu lassen, dramatisch weiter beschädigt.

Es hat die meisten von uns verändert. Manche haben sich so im vermeintlichen Schutz der eigenen vier Wände eingerichtet, dass sie sich kaum noch unter Leute wagen. In der Summe sind die Einsamen noch einsamer geworden, die Kranken noch kränker. Das Leiden unserer Kinder, die keine laute öffentliche Stimme haben, war offenbar viel größer, als wir Erwachsenen es in der Zeit der Isolation vermutet hatten. Die psychologischen Praxen werden von Hilfesuchenden überschwemmt.

Das alles wird nicht einfach besser, nur weil jemand die Pandemie für beendet erklärt hat. Dafür müssten wir verstehen, verzeihen, das Gesundheitssystem grundsätzlich neu aufstellen. Jeder muss zudem wieder lernen, seinem Immunsystem zu vertrauen. Ein leichtes Kratzen im Hals, ein Jucken in der Nase löst bei Menschen, die wie ich nach mehrfacher Impfung dann doch eine undramatische, aber lästige Corona-Infektion bekamen, schon mittlere Panik aus. Kommt das jetzt wieder? Ist das die Grippe? Oder doch gleich Angina? Auch das wird nicht über Nacht Normalität. Wir müssen erst wieder lernen, dass Kranksein okay ist und kein Zeichen von asozialem Leichtsinn.

An die Stelle der Bedrohung Corona ist die Bedrohung Krieg getreten

Euphorie kann auch deshalb nicht einfach entstehen, weil an die Stelle der Bedrohung Corona übergangslos die Bedrohung Krieg getreten ist. Ähnlich unfassbar, diffus, entfernt – und zugleich nah. Und gegen Krieg gibt es keinen Impfstoff. Parallel dazu beschäftigen uns das Klima, Lebenshaltungskosten, Taiwan, Erdbeben und abgeschossene Spionage-Ballons. Dazu kommen immer auch die persönlichen Nöte. Wir sollten uns jedoch nicht einbilden, dass es jemals anders war. Der Blick in die Welt war zu keiner Zeit ein Grund für Unbeschwertheit.

Trotzdem freue ich mich sehr darüber, dass es nach drei Jahren Pandemie eine Bedrohung weniger gibt. Wir dürfen hingehen, wo wir wollen, treffen, wen wir wollen, und sind prinzipiell niemandem Rechenschaft darüber schuldig, was wir tun. Es darf auch etwas Sinnloses sein wie Karneval feiern. Sollen die Menschen trinken, tanzen und sich danebenbenehmen. Ich habe anderes vor. Und auch das geht niemanden etwas an. Wie konfrontativ dieser Satz inzwischen wirkt! Dabei beschreibt er in der Demokratie die normalste Sache der Welt: persönliche Freiheit.

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