Kommentar zur AuszeichnungHöchster deutscher Orden für Angela Merkel: wer, wenn nicht sie?

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Angela Merkel, (CDU), ehemalige Bundeskanzlerin, spricht nachdem sie das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung im Schloss Bellevue verliehen bekam.

Angela Merkel, (CDU), ehemalige Bundeskanzlerin, spricht nachdem sie das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung im Schloss Bellevue verliehen bekam.

Angela Merkel hätte mehr für die deutsche Unabhängigkeit von Russlands Gas tun müssen. Das ist das Wissen von heute. Nur, das ist nicht das Leben. Als Bundeskanzlerin hat sie Deutschland 16 Jahre lang durch alle Krisen gesteuert. Es gibt nicht viele Menschen mit einer vergleichbaren Lebensleistung, kommentiert Kristina Dunz.

Angela Merkel hat der deutschen Bevölkerung einen gewaltigen Reformstau hinterlassen. Die Digitalisierung hinkt dem Stand vieler Länder hinterher. Der Klimaschutz wurde wider besseres Wissen zum Schaden von Mensch und Natur vernachlässigt. Aus der Abhängigkeit von russischem Gas löste sich die Bundesrepublik nicht, obwohl Wladimir Putin mit der Annexion der Krim schon 2014 völkerrechtswidrige Fakten schuf. Und der Aufnahme von fast einer Million syrischer Flüchtlinge 2015 folgte oft nicht deren Integration in die Gesellschaft. Wofür also sollte die 68-Jährige den höchsten Orden bekommen, den Deutschland zu vergeben hat, und den vor ihr als Altkanzler nur Helmut Kohl und Konrad Adenauer erhielten?

Es liegt in der Natur des Menschen, im Jetzt zu urteilen und frühere Zusammenhänge zu vergessen. Aus heutiger Sicht mit dem unermesslichen Leid in der Ukraine versteht man kaum noch, wie Deutschland unter Merkel für billiges Gas einen Pakt mit dem Teufel schließen und keine schmerzhaften Sanktionen gegen Putins Regime vorantreiben konnte.

Wären damals Preiserhöhungen und Sondervermögen vermittelbar gewesen?

Könnte man das Rad zurückdrehen, hätte die Politik die Wirtschaft zu teureren Alternativen nötigen und den Bürgerinnen und Bürgern schon damals saftige Preiserhöhungen für Strom und Wärme zumuten müssen. Und statt Schuldenbremse hätte ein 100-Milliarden-Euro-Klima-Sondervermögen beschlossen und ein Programm für Hunderttausende Wohnungen verwirklicht werden müssen. Man kann aber eben das Rad nie zurückdrehen. Damals sollte die junge Generation vor weiteren Schulden ihrer Eltern bewahrt werden und der Draht zu Putin nicht abreißen. Unabhängig davon war die ganze Merkel-Ära mit internationalen Krisen gepflastert.

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Man möge sich für einen Moment ins Jahr 2025 beamen. Wie werden wir auf Putins Krieg gegen die Ukraine und den deutschen Tabubruch blicken, Waffen in eine Krisenregion geliefert zu haben? Wenn die Ukraine überlebt, weil sie überhaupt in die Lage der Selbstverteidigung versetzt wurde, war es die richtige Entscheidung. Eskaliert der Krieg in Richtung Westen, weil Putin auch noch die letzte Sicherung durchbrennt, werden Waffenlieferungen als dramatischer Fehler bewertet werden. Vermutlich würde es dann viele geben, die sagen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz das doch hätte absehen müssen. Vergessen wird das sein, wofür er heute kritisiert wird: sein Zögern, seine Vorsicht, sein Pochen auf internationalen Schulterschluss.

Merkel hat das Land mit Ruhe durch zahlreiche Krisen gesteuert

Angela Merkel hat in 16 Jahren Kanzlerinschaft vier US-Präsidenten, vier französische Staatspräsidenten, fünf Premierminister Großbritanniens und acht italienische Ministerpräsidenten erlebt. Sie hat das Land durch eine Bankenkrise, eine Euro-Krise, eine Griechenland-Krise, eine Flüchtlingskrise und eine Corona-Krise gesteuert und ist im Gegensatz zu vielen Amtskollegen im Amt geblieben. Durch Wählervotum.

Sie hat als erste Frau die Männerwelt der CDU – und nicht nur die – aufgebrochen, männliche Boshaftigkeit oft geschluckt und, ohne Feministin zu sein, Mädchen im Land vorgelebt, dass sie alles werden können. Und sie hat als Erste ihr Amt selbstbestimmt aufgegeben. Und trotz aller Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik darf nicht übersehen werden, wie sehr sie Deutschlands Ansehen in der Welt mit dieser humanitären Haltung gestärkt und den jahrelangen Vorwurf der Abschottung überwunden hat.

Durch Kontinuität, Verlässlichkeit, Respekt vor Andersdenkenden, Geduld, Uneitelkeit, eiserne Härte gegen sich selbst, aber immer auch mit Neugier und Lust auf Macht – und trotz Fehlern – hat sie Deutschland über vier Legislaturperioden in relativer Ruhe regiert und zur internationalen Führungsmacht ausgebaut. Nun bekommt sie dafür das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausfertigung. Wer, wenn nicht sie?

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