Kommentar zu Benedikt XVI.Hauptsache, nichts falsch gemacht

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Benedikt XVI. im Jahr 2014.

Köln – Viele, viele Wörter – und nur, um das eine Wort zu vermeiden: Ich habe Fehler gemacht. In einem byzantinischen Schriftstück (hier geht es zum Wortlaut) aus frommen Versatzstücken hat Joseph Ratzinger, der frühere Papst Benedikt XVI., jetzt eine Falschaussage im Münchner Missbrauchsgutachten zu seiner Rolle beim Einsatz des pädophilen Essener Priesters H. im Erzbistum München und Freising erklärt.

Erwartungsgemäß wiederholt er in einem auf den 6. Februar datierten Schreiben an seine „lieben Schwestern und Brüder“ die bereits kurz nach der Präsentation des Gutachtens durch die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) am 20. Januar von seinem Sekretär Georg Gänswein verbreitete Version: Einer „kleinen Gruppe“ selbstloser und hingebungsvoller Freunde sei bei der „Riesenarbeit“ für seine 82-seitige Stellungnahme unbeabsichtigt ein bedauerlicher und hoffentlich auch entschuldbarer Fehler passiert: An einer Ordinariatssitzung im Januar 1980, in der über den Fall H. gesprochen wurde, habe er – entgegen den Angaben für das Gutachten – doch teilgenommen.

Kölner Kanzlei Höcker für Benedikt tätig

Alle weiteren Einlassungen zu dem „unbemerkten Übertragungsfehler“ und zur Sache selbst überlässt Benedikt sodann einem „Faktencheck“ seiner „Mitarbeiter“ (hier geht es zum Gesamttext). Zu ihnen zählt Rechtsanwalt Carsten Brennecke aus der Kölner Kanzlei Höcker (hier geht es zur Website der Kanzlei), dessen Hilfe sich auch Kardinal Rainer Woelki im Ringen um die Kölner Missbrauchsgutachten bedient hat. 8000 Seiten hätten sie im Eiltempo durcharbeiten müssen, berichtet Brennecke im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Unter diesem Druck habe der Kirchenrechtler Peter Korta ein „n“ mit einem „b“ verwechselt: Aus „anwesend“ wurde „abwesend“.

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Schneidig, wie man es von Höcker gewohnt ist, fällt auch die Verteidigung des Ex-Papstes aus. War es vor drei Wochen noch dessen phänomenales Langzeitgedächtnis, das gleichsam unfehlbar als Beglaubigung seiner Worte diente, ist es jetzt der Wortlaut von Sitzungsprotokollen: Was dort nicht steht, hat auch nicht stattgefunden. Dass damit ein Wesensmerkmal von Vertuschung außer Acht bleibt, nämlich gerade die Vermeidung aktenkundiger Einträge, sollte Benedikts Juristenquartett mit einem halben Dutzend Doktortiteln eigentlich selbst wissen.

Kalte Juristen-Denke

Kalte Juristen-Denke verriet auch eine von Benedikt unterschriebene Darlegung, dass exhibitionistisches Handeln eines Priesters vor einem Kind kein Missbrauch im eigentlichen Sinn sei und als Privatsache des Geistlichen nicht an dessen Untadeligkeit im Dienst rühre. Die moralische und theologische Ungeheuerlichkeit dieser These versucht der „Faktencheck“ zu unterlaufen, indem er den Gedankengang nur zur Hälfte zitiert und behauptet, der fragliche Satz sei „aus dem Zusammenhang gerissen“. Hauptsache, nichts falsch gemacht – das ist auch für Benedikts Entourage die Devise.

Der Ex-Papst selbst geht dann im Opfergestus zur Anklage über. Es habe ihn „tief getroffen“, dass besagtes Versehen „ausgenutzt“ worden sei, „um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen“. Dem Dank für gleichwohl erfahrenes Vertrauen, für Unterstützung und Gebet – auch von Amtsnachfolger Franziskus persönlich – lässt Benedikt folgen, was „nun folgen muss“: ein Bekenntnis.

„Meine übergroße Schuld“

Aber war für eines! Das „Mea maxima culpa“ („meine übergroße Schuld“) aus der heiligen Messe „fragt mich jeden Tag, ob ich nicht ebenfalls heute von übergroßer Schuld sprechen muss“, so Benedikt. „Und es sagt mir tröstend, wie groß auch immer meine Schuld heute ist, der Herr vergibt mir, wenn ich mich ehrlich von ihm durchschauen lasse und so wirklich zur Änderung meines Selbst bereit bin.“

Wenn er nun bald vor dem „endgültigen Richter meines Lebens“ stehen werde, dann vertraue er darauf, dass der Herr nicht nur gerechter Richter, sondern auch Freund und Bruder und „mein Anwalt ist“. Auf Erden hienieden bleibt nach den Worten des Delinquenten der große „Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind“.

Fehler geschehen nicht, Menschen begehen sie

Doch Fehler und Vergehen geschehen nicht einfach. Sie werden begangen. Von Menschen. Von Menschen, die „ich“ sagen müssen, wenn sie von ihrer Verantwortung sprechen. Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. tut das nicht. Schon wieder nicht. Und nun wohl auch in Zukunft nicht mehr.

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Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, hatte vermutlich recht, als er Ratzinger jüngst attestierte, bei der Wahl seiner engsten Vertrauten keine gute Hand gehabt zu haben. Angetreten zu seinem Schirm und zum Schutz seines Vermächtnisses, hätten sie ihn vor dieser Erklärung bewahren müssen. Sie hilft niemandem. Nicht Joseph Ratzinger, nicht seiner Kirche, am wenigsten aber den Opfern.

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