Kommentar zu Klima-AktivistenSitzblockaden der „Letzten Generation“ sind Nötigung

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In einer Reihe sitzen Klimaaktivisten der Umweltschutzbewegung „Letzte Generation“ sitzen auf der Münchner Prinzregentenstraße und blockieren den Verkehr.

Aktivisten der Klimaschutzbewegung „Letzte Generation“ sitzen auf der Prinzregentenstraße in München und blockieren den Verkehr.

In seinem Kommentar erklärt der frühere Präsident des NRW-Verfassungsgerichtshofs Michael Bertrams, warum die Sitzblockaden der „Letzten Generation“ als verwerflich anzusehen sind.

Auf der jüngsten Welt-Klimakonferenz hat UN-Generalsekretär António Guterres die Dramatik des Klimawandels in die mahnenden Worte gefasst: „Die Welt brennt und ertrinkt vor unseren Augen.“ So sehen das auch die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“. Im Unterschied zu Guterres belassen sie es allerdings nicht bei mahnenden Worten. Um die Welt wachzurütteln, zielen sie vielmehr auf „größtmögliche Störung“. Sie setzen sich quer auf verkehrsreiche Straßen, kleben ihre Hände am Boden fest und hindern so ungezählte Autofahrer an der Weiterfahrt.

Diese Aktionen haben den Aktivisten große Aufmerksamkeit eingebracht, zwei Sprecherinnen haben es bis in Anne Wills ARD-Talkrunde und auf die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geschafft.

Präses der EKD-Synode Nicole Heinrich unterstützt den Protest

Vorsitzende der Synode ist seit 2021 die 26 Jahre alte Philosophie-Studentin Anna-Nicole Heinrich. Auf deren Einladung hat die drei Jahre jüngere Klimaaktivistin Aimée van Baalen vor den Synodalen für das Anliegen der „Letzten Generation“ geworben und ihre Protest-Aktionen verteidigt. Sie sähen keine andere Möglichkeit mehr, ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen, so van Baalen. Am Rande der Synode solidarisierte sich Präses Heinrich mit der „Letzten Generation“ und erklärte, Straßenblockaden seien „ein legitimes Mittel des zivilen Widerstands“.

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Dem ist zu widersprechen. Entgegen Heinrichs Auffassung handelt es sich bei den Blockaden der „Letzten Generation“ um strafbare Nötigungen. Das folgt aus den Grundsätzen, welche die Strafgerichte und das Bundesverfassungsgericht zur strafrechtlichen Einordnung solcher Blockaden entwickelt haben.

Danach gilt: Mit Straßenblockaden werden Autofahrer durch physischen Zwang gewaltsam an der Weiterfahrt gehindert. Solche Blockaden sind rechtswidrige Nötigungen, wenn die Gewaltanwendung zu dem angestrebten Zweck als „verwerflich“ anzusehen ist.

Das Recht auf Demonstrationsfreiheit kann auch Sitzblockaden umfassen

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass auch Sitzblockaden Zusammenkünfte von Personen sind, die den Schutz der in Artikel 8 des Grundgesetzes garantierten Demonstrationsfreiheit genießen. Dieser Schutz ist nämlich nicht auf Versammlungen beschränkt, auf denen argumentiert und mit Worten gestritten wird. Er umfasst vielmehr auch Formen aufsehenerregender, nonverbaler Meinungskundgebungen.

Für die Anwendung des „Nötigungsparagrafen“ 240 im Strafgesetzbuch (StGB) auf die Sitzblockaden ist deshalb abzuwägen zwischen dem Schutz der Demonstrationsfreiheit der „Letzten Generation“ einerseits und dem Schutz der Freiheitsrechte der davon betroffenen Autofahrer andererseits.

Wichtige Abwägungselemente sind insbesondere die Dauer und Intensität der Blockade. Moralische „Fernziele“ der Demonstrierenden spielen hingegen keine Rolle. Demnach kann es bei einer sehr kurzen, etwa auf die Dauer weniger Ampelphasen begrenzten Blockade im Einzelfall gerechtfertigt sein, den Eingriff in den Straßenverkehr nicht als verwerflich, sondern als noch sozial erträglich zu qualifizieren.

Die Aktionen der „Letzten Generation“ sind auf größtmögliche Störung aus

An einer solchen Sozialverträglichkeit fehlt es den Sitzblockaden der „Letzten Generation“ schon deshalb, weil diese nach Art und Dauer bewusst und erklärtermaßen auf größtmögliche Störung angelegt sind. Die Aktivisten kleben sich gerade deshalb am Boden fest, um es der Polizei zu erschweren, ihre Blockade rasch zu beenden und den im Stau steckenden Personen eine zügige Weiterfahrt zu ermöglichen.

Mit ihren Blockaden nehmen die Aktivisten überdies billigend in Kauf, dass anderen durch die lange Hinderung an ihrer Weiterfahrt erhebliche Nachteile bis hin zu Gefahren für Leib oder Leben erwachsen können – etwa bei Krankentransporten oder Rettungseinsätzen. Kommunikativ stellen die Klimaschützer das als Nebenfolge ihrer Aktionen sogar absichtsvoll in Rechnung, um die Aufmerksamkeit für ihr Fernziel der Klimarettung zu erhöhen.

Wie kalkuliert die Gruppe hier vorgeht, zeigte zuletzt ihre Sitzblockade Ende November auf dem Rollfeld des Berliner Flughafens, bei der sie einen möglichen Eingriff in den Flugverkehr (Paragraf 315 StGB) und die Gefährdung Hunderter Menschen in Kauf nahm.

Sitzblockaden im rechtlichen Sinn verwerflich

Derart motivierte Sitzblockaden sind vom Schutz der Demonstrationsfreiheit nicht mehr umfasst. Sie sind im rechtlichen Sinn verwerflich. Daran ändert auch der hohe Rang des Klimaschutzes nichts. Die Blockaden lassen sich auch nicht als „legitimer Widerstand“ oder als eine Art Notwehr gegen vermeintliche Verstöße oder Unterlassungen der Regierung in puncto Klimaschutz rechtfertigen.

Zu einer anderen Bewertung gibt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 zum Klimaschutzgesetz 2019 keinen Anlass. Soweit Karlsruhe mit Blick auf die Treibhausgasemissionen „Generationengerechtigkeit“ verlangt, richtet sich diese Forderung an den Gesetzgeber, ohne die Angehörigen der jungen Generation zu legitimieren, gewaltsam in die Freiheitsrechte ihrer Mitbürger einzugreifen und den Gesetzgeber auf diesem Weg zu einem entsprechenden Handeln oder Unterlassen zu bewegen.

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