Krise der KlimabewegungLuisa Neubauer: „Brauchen neue Narrative, neue politische Ideen“

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26.10.2023, Berlin: Luisa Neubauer, Aktivistin, steht vor dem Roten Rathaus während einer Pressekonferenz von Fridays for Future zur Klima-Bilanz eines halben Jahres der schwarz-roten Koalition. Moniert wurde während der Beiträge der Redner besonders der mangelnden Ausbau von Radwegen und zu wenig sozialer Wohnungsbau. Foto: Soeren Stache/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Luisa Neubauer, Aktivistin, steht vor dem Roten Rathaus während einer Pressekonferenz von Fridays for Future.

Luisa Neubauer spricht im Interview über Greta Thunberg, die Zukunft der Bewegung und die Klimakonferenz in Dubai.

Ende November startet die Klimakonferenz in Dubai, und die Klimabewegung zerstreitet sich über ihre Haltung zu Israel und Gaza. Welche Rolle wird der Krieg in Nahost auf der Konferenz spielen?

Luisa Neubauer: Es gab in der internationalen Klimabewegung, von der Fridays for Future nur ein kleiner Akteur ist, die Forderung, die Klimakonferenz zu boykottieren. Damit wollte man den Fokus auf die Toten in Gaza lenken. Daraus entstand der Kompromiss, das Leid aus dem Terror, aus der Gewalt, aus dem Konflikt politisch mit zur Konferenz zu bringen. Jetzt ist die große Frage: Welche Realitäten werden mitgemeint und welche nicht?

Greta Thunberg etwa schweigt über das Leid der jüdischen Geiseln der Hamas und ihrer Angehörigen.

Und wir in Deutschland sagen: Natürlich müssen wir über das Leid der Zivilisten in Gaza sprechen, wo wir entsetzliche Nachrichten bekommen und … ich zumindest nicht weiß, wann man gelernt haben soll, so etwas emotional auszuhalten. Es wäre fatal, wenn der Eindruck erwächst, die Lage in Gaza wäre in Deutschland politisch nachrangig. Gleichzeitig dürfen wir doch nicht schweigen über die Menschen, deren Mütter, Väter, Kinder von der Hamas verschleppt wurden. Die von den Raketen der Hamas auf Israel gefährdet sind. Die den Antisemitismus weltweit erleben.

Und was folgt daraus?

Ich befürchte, dass wir weder politisch noch gesellschaftlich noch emotional darauf eingestellt sind, mit der Gleichzeitigkeit der Krisen im 21. Jahrhundert umzugehen. Das ist unbekannt in dieser Art, in dieser Heftigkeit. Und das ist, glaube ich, etwas, was wir als Gesellschaft und auch persönlich völlig unabhängig von den politischen Schritten noch herausfinden müssen.

Luisa Neubauer: Brauchen weiter Druck für klimapolitischen Fortschritt

Muss das denn ausgerechnet die Klimaschutzbewegung herausfinden? Wäre es nicht klüger zu sagen, wir konzentrieren uns auf Klimapolitik, damit nicht solche Zerwürfnisse entstehen, wie wir sie gerade erleben?

In Deutschland sind wir in der privilegierten Lage, dass wir Grundfragen von Demokratie und Freiheit zumindest oftmals ausklammern können, weil sie gelebte Selbstverständlichkeit sind. Andere Generationen vor uns haben erkämpft, dass wir hier in der freien Demokratie unsere Meinung äußern können, dass wir frei protestieren können. Anderswo geht das nicht. Gerade haben mich Aktivistinnen und Aktivisten aus Kambodscha in Berlin besucht, die organisieren sich entgegen massiver staatlicher Repressionen. Sie müssen in jedem Augenblick, wenn sie über die Natur sprechen wollen, auch darüber sprechen, welche demokratischen Freiheiten ihnen verwehrt bleiben.

Was passiert denn konkret in Dubai? Gibt es gemeinsame Aktionen, wer plant sie?

Ich fahre hin, viele andere Aktivistinnen und Aktivisten fahren auch hin. Es wird eine wahnsinnig komplizierte Veranstaltung für uns. Es steht zwischen vielen von uns Schmerz, Enttäuschung, Entzweiung im Raum. Das ist das eine. Das andere ist, dass die politischen und medialen Realitäten weltweit spürbar auseinandergehen. Wir werden viel Übersetzungsarbeit leisten müssen.

Was kann Klimaprotest dann überhaupt noch bewirken?

Druck für klimapolitischen Fortschritt braucht es weiterhin. Vor Ort geht es darum, ob wir weltweit den Absprung von Kohle, Öl und Gas schaffen. Gleichzeitig sehe ich uns als Aktivistinnen und Aktivisten in einer zusätzlichen Rolle, in einer vermittelnden Rolle. In einer idealen Welt schaffen wir es, durch die Vielfalt unserer politischen Realitäten die Vielfalt des Leidens und die parallelen Wahrheiten deutlich zu machen. Im Idealfall können wir Räume schaffen für Zerrüttung und Enttäuschung. aufheben. Aber das hat für mich Grenzen: Dort wo die Einhaltung von Menschenrechten nur für eine Seite angemahnt wird, wo man sich nicht auf ein Existenzrecht für Israel verständigen kann.

Wie kann die Klimabewegung aus der jetzigen Glaubwürdigkeitskrise herausfinden?

Es gibt für Klimabewegungen offensichtlich eine gewisse Gefahr, sich in politischen Irrwegen des 20. Jahrhunderts zu verrennen. Die Klimakrise des 21. Jahrhunderts verlangt von uns neue Narrative, neue politische Ideen, neue aktivistische Wege.

Ist ein Satz wie „No Climate Justice on Occupied Land“, den auch Greta Thunberg in Amsterdam skandierte, gleichzeitig richtig und falsch? Also richtig, wenn man ihn global versteht – und katastrophal falsch, wenn man ihn auf Israel bezieht?

Ich glaube, diesen Satz kann man jetzt gerade nicht isoliert betrachten. Er wird mit einer fatalen Einseitigkeit in einem desaströsen Krieg benutzt.

Hat die Klimabewegung in den vergangenen Jahren versäumt, ihre Haltung zu Israel zu klären?

Mal ehrlich: Wären wir vor drei Jahren losgezogen und hätten eine Klimakonferenz organisiert, um den Nahost-Konflikt zu klären, wären wir von allen Seiten für verrückt erklärt worden. Da hätten alle Beteiligten gesagt: „Leute, bitte fokussiert euch.“ Ich war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die jeweiligen nationalen Bewegungen sich eigenständig mit Fragen von Antisemitismus beschäftigen, so haben wir es hier in Deutschland gemacht. Für uns war klar: Wir müssen keine Lösung für einen Jahrzehntealten Konflikt präsentieren, aber dafür sorgen, dass unsere Haltung gegenüber des Existenzrechtes von Israel und im Umgang mit antisemitischen Vorfällen klar ist.

Hat „Fridays for Future“ aufgegeben?

Mit welcher Klima-Halbzeit-Bilanz fährt die deutsche Ampelregierung nach Dubai?

Durch unseren Druck in den vergangenen Jahren passiert mehr denn je. Nur reicht das noch nicht. Deutschland erhält laut internationalen Analysen, etwa vom climate action tracker, in Sachen Klimaschutz die Bewertung ein großes „Ungenügend“. Zusätzlich erleben wir live und in Farbe, wie es aussieht, wenn man sich ganz bewusst entscheidet, Klima weder zur Chefsache zu machen noch sich als Koalition an einem überparteilichen Klimakonsens zu orientieren. Olaf Scholz hat bisher nicht den Anschein erweckt, es wäre sein großes Bemühen, in diesem Land gesellschaftlichen Frieden zu schaffen durch stringente, konsequente, erfolgreiche, sozialgerechte, zeit- und fristgerechte Klimapolitik.

Die weltweite Durchschnittstemperatur wird nach Erwartung des Direktors des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, das 1,5-Grad-Limit des Pariser Abkommens zumindest zeitweise überschreiten. Hat „Fridays for Future“ das Ziel schon aufgegeben?

Das 1,5-Grad-Ziel ist das Versprechen der Weltgemeinschaft, die bedrohtesten Regionen nicht zurück zu lassen. Dieses Versprechen steht. Sobald 1,5 Grad wissenschaftlich nicht mehr möglich sind, kämpfen wir für 1,51 Grad und so weiter. Es geht um Temperaturen, ja, aber es geht auch um gelebtes Weltvertrauen und eine internationale Aufrichtigkeit.

Gastgeber in Dubai sind die VAE – wieder ein Fossil-Staat. Nach den Erfahrungen in Ägypten: Ist das ein Fehler oder eine Chance? Immerhin können die Ölstaaten so vielleicht eingebunden werden.

Ich bin skeptisch. Daher kämpfen wir dafür, dass die Klimakonferenz kein fossiles Abrisskommando wird sondern ein Ort, der auf eine echte Wende hin zu grünen und sauberen Energien hinwirken kann.

Diese Woche treffen sich die Grünen zum Parteitag und stehen vor den Scherben ihrer Klimapolitik. Wie sollen sich die Grünen zur Ampel verhalten?

Die Instanz, auf die ich in der Ampel zurzeit gucke, ist der Kanzler. Und wie viele andere in diesem Land sehe ich bis heute kein nachhaltiges Regierungs-Konzept. Diese Gesellschaft steht unter einem enormen Druck. Menschen haben immer weniger Lust auf Veränderung und immer mehr Angst vor Verlust. Diese Zeit bringt eine solche Wucht an Krisen und Katastrophen mit sich ,das Vertrauen in die Demokratie erodiert in einem erschreckenden Maße - ein Kanzler der loszieht, um Menschen zu begeistern und Mut zu machen, wäre aktuell einfach sehr hilfreich.

Sie haben auf der Solidaritätskundgebung für Israel am Brandenburger Tor gesprochen, beim Hamburger Gedenken an den 9. November 1938, noch vor der Klimakonferenz kommende Woche treten Sie bei einem Solidaritätskonzert von Igor Levit, Wolf Biermann und anderen im Berliner Ensemble auf. Warum wählen Sie diese Auftritte in dieser Zeit?

Es braucht in diesen Tagen Zeiten und Räume für Trauer, für Vermissen, für Angst, für Verzweiflung. Solche Räume zu schaffen, kann eine sehr große Kraft entfalten. Und wenn ich einen kleinen Beitrag leisten kann, dann freue ich mich, das zu tun. Im besten Falle werden wir alle nachdenklicher, wenn wir jenseits von politischen Großkämpfen und Überschriften als Menschen zusammenkommen. Es geschehen zurzeit so viele Katastrophen. Wir brauchen diese Nachdenklichkeit.

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