Missbrauchsskandal im Erzbistum KölnBätzing: Kirche gibt skandalöses Bild ab

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Bätzing

Kardinal Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz

Köln – Die katholische Kirche in Deutschland gibt nach Ansicht des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, derzeit ein „skandalöses Bild“ ab. Zum Abschluss der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe, die erstmals digital stattfand, bezog sich Bätzing auf die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Erzbistum Köln, wo Kardinal Rainer Woelki ein Gutachten unter Verschluss genommen hat. Im März will er ein Ersatzgutachten vorlegen.

Der „Schatten von Köln“ liege über der erfolgreichen Aufklärung andernorts, sagte Bätzing und wiederholte sein Wort von einem „Desaster der Konfliktbearbeitung“. Zugleich sagte er: „Ich glaube ihm, dass er Aufklärung will“. Zudem sei es ein „Kurzschluss“, den Fokus etwa in der Frage nach den Ursachen für die hohe Zahl an Kirchenaustritten allein auf Woelki zu richten. „Alle Bischöfe tragen Verantwortung für die Lage, und wir alle müssen uns der Kritik stellen.“ Bätzing bekräftigte die Zusage aller Bischöfe, „vorbehaltlose Aufarbeitung und Aufklärung“ zu leisten. Dies solle – gemäß einer Vereinbarung mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, aus dem Jahr 2020 – durch unabhängige Kommissionen in allen Bistümern geschehen. Bätzing wies die Kritik zurück, die Bischöfe würden schweigen oder seit Jahren nichts tun. Auf Nachfrage räumte er aber ein, dass eine Reihe von Bischöfen die Vereinbarung mit Rörig noch nicht einmal gegengezeichnet, geschweige denn umgesetzt hat.

Woelkis Agieren in Bischofskonferenz nicht angesprochen

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ von Teilnehmern erfuhr, wurde Woelkis Agieren in der Bischofskonferenz mit keinem Wort angesprochen. Als über die Aufarbeitung von Missbrauch als auch über die Kirchenaustritte debattiert wurde, hätten die „Kölner Wirren“ für alle spürbar im Hintergrund gestanden. „Dass überhaupt nicht geredet wurde, geht eigentlich gar nicht. Andererseits: Was hätten wir besprechen sollen, was wir nicht schon wissen und was Woelki uns nicht schon gesagt hätte?“, hieß es aus der Runde. Intern herrsche die Einschätzung vor, dass Woelki „den Laden vor die Wand gefahren habe“. Es gebe auch eine ganze Reihe von Ortsbischöfen, die „die Nase gestrichen voll haben“. Vertrauen sei „nicht nur angeknackst, sondern zerstört“, worunter alle zu leiden hätten. Bätzing nannte die Annahme, dass wir über den Rücktritt von Kardinal Woelki sprechen, ein verkehrtes Erwartungsmanagement“. Nach den Regularien der katholischen Kirche ist jeder Bischof in seinem Bistum autonom und nur dem Papst verantwortlich.

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Kritik wurde intern auch am Verhalten des Vatikans geübt. Es gebe eindeutige päpstliche Normen, wie bei Vertuschungsvorwürfen gegen Bischöfe zu verfahren sei, erklärte ein Oberhirte. Daran hätten sich die römischen Behörden bei Woelki aber nicht gehalten. Der Kardinal hatte 2015 den Fall eines mit ihm befreundeten Priesters weder untersucht noch nach Rom gemeldet. „Da versackt jede Transparenz im Sumpf eines undurchschaubaren Systems“, monierte ein Bischof. „Das passt überhaupt nicht in die Zeit, und Rom wird hier zum Mitvertuscher.“ Es gebe aber Kräfte in Rom, die Woelki im Amt halten wollten, weil er dort als einer von wenigen gelte, die noch „die wahre katholische Lehre hochhalten“.

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Kritik an Woelki kam am Donnerstag auch von NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP). Die versprochene Missbrauchsaufklärung im Erzbistum habe schweren Schaden genommen und sei nicht mehr erkennbar. Woelki habe den öffentlichen Eindruck entstehen lassen, „dass es jetzt mehr um Schadensbegrenzung der Amtskirche geht als um die Perspektive der Opfer“, sagte Stamp der „Welt“. Er empfahl Woelki eine Selbstprüfung. Das Amt des Erzbischofs sei mit hohem moralischen Anspruch verbunden. „Das gilt auch für weitere Amtsträger, die die Aufklärung nicht konsequent genug vorangetrieben haben.“ Stamp forderte ein unmissverständliches Schuldeingeständnis, auch wenn dies den seelischen Schaden der Opfer nicht heilen könne.

Margot Käßmann: Woelki schadet

Die frühere evangelische Bischöfin von Hannover, Margot Käßmann beklagte, dass Woelki der Kirche insgesamt schade. Dieser Missbrauchsskandal sei „derart bitter“ und betreffe „tatsächlich auch uns als evangelische Kirche“, sagte Käßmann im Podcast „Die Wochentester“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Kirche habe immer ein hohes Vertrauen besessen, wenn ihr Kinder und Jugendliche anvertraut wurden. Und es tut all denen weh, die sich seit Jahren abmühen in Kindergottesdiensten und Jugendfreizeiten, wenn festgestellt werden muss, dieses Vertrauen wurde furchtbar missbraucht.“ Kinder seien in ihrer Würde aufs Tiefste verletzt worden, so Käßmann. Sie wisse nicht, „wie dieser Vertrauensverlust wieder gutzumachen ist. Das wird ungeheuer schwierig sein.“

Der Kriminologe Christian Pfeiffer sprach mit Blick auf die Diskussionen über Kardinal Woelki hingegen von einer einseitigen und verlogenen Fixierung. „Ich will den Kardinal überhaupt nicht verteidigen, der dumm genug war, die Fehler zu machen, die ihm jetzt zurecht angekreidet werden, insbesondere im Umgang mit den Medien“, sagte Pfeiffer dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er rege sich nur darüber auf, „dass Woelki jetzt allein für eine Intransparenz verantwortlich sein soll, die alle Bischöfe praktiziert haben.“ Das „Woelki-Theater“ lenke davon ab, „dass es in der deutschen katholischen Kirche insgesamt an einer Kultur der Transparenz fehlt“.

Kriminologe greift Münchner Kardinal Reinhard Marx besonders scharf an

Besonders scharf griff Pfeiffer den Münchner Kardinal Reinhard Marx an, der Woelkis Verhalten „verheerend“ genannt hatte. Marx selbst habe sowohl in seiner Diözese als auch auf der Ebene der Bischofskonferenz Transparenz verhindert. „Man hat es der Kirche durchgehen lassen, dass sie selbst über das Aktenmaterial bestimmen durfte, das sie für die sogenannte MHG-Studie von 2018 zur Verfügung gestellt hat.“ Deshalb sei bis heute nicht bekannt, wie die Verantwortlichen in den einzelnen Bistümern mit Opfern und Tätern umgegangen seien. „Es wurde also genau das verhindert, wonach in Köln jetzt alle rufen.“ 2013 hatte die Bischofskonferenz unter Marx’ Führung ein Forschungsprojekt mit Pfeiffer im Streit über die Verwendung kirchlicher Akten abgebrochen.

„Wer Täter geschützt und Opfer vernachlässigt hat, muss zur Verantwortung gezogen werden“, betonte Pfeiffer. Wenn die von Woelki versprochene Aufklärung solche Verfehlungen nun für das Erzbistum Köln an den Tag bringe, sei das zu begrüßen. „Dann mag es auch den berechtigten Ruf nach Rücktritten geben.“ Das gelte auch mit Blick auf den Kardinal – etwa für den Fall, dass er Täter geschützt und vor Sanktionen bewahrt haben sollte. „Dann sieht die Sache anders aus, aber bewiesen ist das eben noch nicht.“

Pfeiffer unterstützte den Ruf von Opfervertretern nach Wahrheitskommissionen, die komplett unabhängig von der Kirche agieren sollten. Bischof Bätzing hatte dazu erklärt, die Kirche werde sich der Einrichtung solcher Gremien nicht verschließen, wenn diese von der Politik eingerichtet und zur Durchleuchtung auch anderer gesellschaftlicher Bereiche mandatiert würden.

Den Staatsanwaltschaften warf Pfeiffer eine „Beißhemmung“ gegenüber der Kirche vor. Bei jeder anderen Institution hätten die Behörden auf den Verdacht, es würden Straftaten verheimlicht, Hausdurchsuchungen vorgenommen und Akten beschlagnahmt. Nicht so bei der Kirche. „Das ist die Verinnerlichung einer Habacht-Stellung, mit der man früher auf Zehenspitzen durch Kirchenräume schlich.“ Er gehe davon aus, dass ein rigoroses Vorgehen in der Vergangenheit die Verfolgung von Straftaten ermöglicht hätte, die inzwischen verjährt sind. (mit kna, dpa)

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