Türkische RechtsextremistenAngriffe in Belgien – Wie gefährlich sind die „Grauen Wölfe“ in NRW?

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Eine Hand zeigt den „Wolfsgruß“ der Grauen Wölfe während einer Pro-Türkischen Demonstration. Graue Wölfe ist die Bezeichnung für die ultranationalistische Bewegung aus der Türkei.

Der sogenannte Wolfsgruß der Grauen Wölfe. Der NRW-Verfassungsschutz warnt vor der Organisation.

Türkische Nationalisten haben am vergangenen Wochenende in Belgien gezielt kurdische Familien angegriffen.

Mehrere kurdische Familien sind am Sonntagabend (24. März) in den belgischen Gemeinden Houthalen-Helchteren und Heusden-Zolder (Provinz Limburg) von türkischen Nationalisten angegriffen worden. Mindestens sechs Kurden sollen schwere Verletzungen davongetragen haben und liegen im Krankenhaus, bei zwei von ihnen sei der Zustand kritisch, wie belgische Medien und der Tagesspiegel berichten. 

Die kurdischen Familien aus Limburg hätten demnach in dem rund 50 Kilometer entfernten Ort Kessel-Lo das kurdische Neujahr Newroz gefeiert, wohin sie als Konvoi gereist waren. Mehrere Hundert Menschen aus dem türkisch-nationalen Spektrum hätten sich daraufhin in Sozialen Medien zu einem Protest verabredet, der den kurdischen Korso bei der Rückkehr in Limburg empfangen sollte.

Angreifer zeigten den Wolfsgruß

Der artete jedoch aus: Es sei zu „Lynchangriffen“ gekommen, berichtete kurdische Medien. Eine kurdische Familie, darunter Kinder und Senioren, suchte in einem Haus Schutz. Türkische Nationalisten versammelten sich vor dem Haus, skandierten „Ya Allah, Bismillah, Allahu Ekber“ („In Gottes Namen, Gott ist groß“), zeigten die türkische Flagge sowie den Wolfsgruß, das Erkennungszeichen der „Grauen Wölfe“, wie Videos zeigen, die im Internet kursieren

Alles zum Thema Herbert Reul

Die Polizei konnte die Situation offenbar nur mit zahlreichen Rettungskräften, einem Hubschrauber und einem Wasserwerfer unter Kontrolle bringen. Ein Brandanschlag auf das Wohnhaus soll nur im letzten Moment so verhindert worden sein. Laut Medienberichten sollen die türkischen Nationalisten zudem in den beiden Orten gezielt Autos von Kurdinnen und Kurden angehalten und sie dann herausgezerrt haben, um auf sie einzuschlagen, einzutreten und sie rassistisch zu beleidigen.  

Wir haben im Februar über die Grauen Wölfe – türkische Rechtsextremisten – und die Gefahr, die von ihnen in NRW ausgeht, berichtet:

Der „Wolfsgruß“ ist ihr Erkennungszeichen: Den rechten Arm ausgestreckt formen türkische Rechtsextremisten die Finger zu einem Wolfskopf. Deshalb heißen die Anhänger der Ülkücü-Bewegung hierzulande auch Graue Wölfe (Bozkurt). Sie hetzen gegen Christen, Kurden und Juden. Der Völkermord an den Armeniern durch das osmanische Reich während des Ersten Weltkrieges wird geleugnet. Noch heute träumen die Grauen Wölfe von einem türkischen Großreich.

Allein in NRW sympathisieren 3700 Personen mit der Ülkücü-Bewegung. 2000 Mitglieder sind laut dem Verfassungsschutz in 70 Vereinen organisiert. Bundesweit propagieren Funktionäre unter drei Dachverbänden mit 300 Vereinen ihre extremistische Ideologie.

Jürgen Kayser: Extremisten wollen in kommunale Parlamente

Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ warnte Jürgen Kayser, Chef des NRW-Verfassungsschutzes, vor einer Unterwanderung demokratischer Institutionen durch die Grauen Wölfe. Ähnlich wie die Muslimbruderschaft versuchten diese, bei Parteien anzudocken oder eigene Protagonisten in kommunale Parlamente oder etwa in den Landtag zu bringen, erklärte Kayser.

Dabei verfolgen die Grauen Wölfe laut Experten eine Strategie der Entgrenzung. „Das heißt, man versucht die eigenen Themen in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Das gelingt natürlich am besten, indem man Politiker aber auch Integrationsräte oder andere staatliche Stellen beeinflusst. Deshalb versuchen die Grauen Wölfe auch entsprechende Kontakte zu knüpfen“, sagte Kayser und weist auf Maßnahmen seiner Behörde hin: „Der Verfassungsschutz nimmt immer wieder Kontakt mit deutschen Entscheidungsträgern auf, um diese für das Problem zu sensibilisieren.“

NRW-Innenminister Herbert Reul warnt vor antidemokratischen Kräften

„Hass und Hetze, Ausgrenzung und Feindbilder sind Gift für unsere Demokratie. Die gilt es in diesen Tagen einmal mehr vor extremistischen, antidemokratischen Kräften zu schützen“, betonte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) jüngst wieder mit Emphase. „Der Verfassungsschutz hat dabei auch die Grauen Wölfe weiterhin genau im Blick, damit deren Streifzüge durch Nordrhein-Westfalen erfolglos bleiben.“

Der Oberbürgermeister von Hamm, Marc Herter, bei einer SPD-Tagung. Er führte den SPD-Landesverband in Nordrhein-Westfalen übergangsweise als Vorsitzender. Nach Kritik an seinem Besuch bei einem Sympathisanten der türkischen extremistischen «Grauen Wölfe» hat er eine künftig «höhere Sensibilität» angedeutet.

Der Oberbürgermeister von Hamm, Marc Herter, geriet nach seinem Besuch bei einem Sympathisanten der türkischen extremistischen Grauen Wölfe in die Kritik.

Dennoch – manche Politiker begehen Fauxpas und wähnen sich dabei nicht mal in schlechter Gesellschaft: Meist wissen die Mandatsträger nicht, dass sie es mit Rechtsextremen zu tun haben. Im Sommer 2023 geriet der ehemalige Landtagsabgeordnete und heutige Oberbürgermeister in Hamm, Marc Herter, so in die Schlagzeilen. Erst nahm der SPD-Politiker an einer Geburtstagsfeier teil, deren Gastgeber über gute Beziehungen zu den Grauen Wölfen verfügte. Dann wurde bekannt, dass die Bewerbung eines türkischen Faschisten für eine Stelle bei der Stadtverwaltung mit einem wohlwollenden Kommentar aus dem Bürgermeisterbüro ans Personalamt ging.

Der Landtagsabgeordnete Sven Wolf besuchte 2019 eine Moschee in Remscheid, die den Grauen Wölfen zugerechnet wird. Der Neusser Parlamentarier Jörg Geerlings (CDU) musste kritische Fragen beantworten, weil er sich 2022 beim Fastenbrechen vor einer Wand mit Wölfe-Bildern und der türkischen Mutterpartei MHP ablichten ließ.

Jörg Geerlings (CDU), Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Fall Anis Amri, in nachdenklicher Pose im Halbporträt.

Nicht wahrgenommen und wahrscheinlich hätte er sie auch nicht als extremistische Symbole erkannt, erklärte der Neusser Parlamentarier Jörg Geerlings (CDU), nachdem der sich 2022 beim Fastenbrechen vor einer Wand mit Wölfe-Bildern ablichten gelassen hatte.

Der Vorwurf: Er schiele im Landtagswahlkampf auch auf Stimmen von Rechtsaußen. Geerlings stellte damals klar, dass er die Symbole in seinem Rücken nicht wahrgenommen habe. „Und ich hätte sie wahrscheinlich auch nicht erkannt“, räumte der CDU-Politiker ein. „Aber selbst wenn, wäre ich nicht weggerannt. Ich diskutiere mit jedem. Und ich würde in jeder Debatte leidenschaftlich für unsere freiheitliche Grundordnung streiten. Mir eine Nähe zum Rechtsextremismus zu unterstellen, ist völlig absurd.“

Umgang mit türkischen Nationalisten ist schon lange ein Streitpunkt in der CDU

Seit gut einem Jahrzehnt streiten sich CDU-Granden wie der ehemalige Ministerpräsident Armin Laschet über den Umgang mit den türkischen Nationalisten. Herausragend sind die Differenzen 2014 und 2016 zwischen ihm und seiner Parteifreundin Sylvia Pantel. Die damalige Bundestagsabgeordnete hatte von ihrer Partei einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefordert, der die Mitgliedschaft türkischer Ultranationalisten in der CDU verhindern sollte. Auf Drängen Laschets wurden beide Anträge abgelehnt. Somit konnten bei der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl 2020 öffentlich bekannte Graue Wölfe gerade im Ruhrgebiet auf CDU-Listen kandidieren, so etwa in Duisburg.

Auch Serap Güler, Laschets Protegé, einstige NRW-Integrations-Staatssekretärin und heutige Bundestagsabgeordnete, wurde wegen ihrer Auftritte bei Tagungen der türkischen Rechtsextremisten vor zehn Jahren kritisiert. Die Kölner CDU-Politikerin rechtfertigte ihre Teilnahme seinerzeit damit, „dass auch andere Politiker eingeladen worden waren“. Keinem der Anwesenden sei aufgefallen, dass die Grauen Wölfe dort für sich geworben hätten.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler in einer Gesprächssituation.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler spricht sich für ein Verbot der rechtsextremistischen Grauen Wölfe aus.

2016 entwickelten sich erneut parteiinterne Diskussionen, als klar wurde, dass die Plattform „Union der Vielfalt – Landesnetzwerk Integration der CDU NRW“ (UDV) auch Protagonisten der Ülkücü-Bewegung sowie der islamistischen Organisation Milli Görüs unter ihrem Dach hatte. Als stellvertretendes Vorstandsmitglied fungierte Serap Güler. Inzwischen fordert die Unionspolitikerin aber ein Verbot der Grauen Wölfe – wie in Frankreich, wo die Regierung 2020 die Organisation der türkischen Ultranationalisten auflöste.

Köln: Miteinander-Preis ging an Rechtsextreme – Stadt waren „extremistische Aktivitäten nicht bekannt“

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker war wohl nicht umfänglich genug informiert, als sie im Juni 2022 den „Miteinander-Preis für Demokratie und Vielfalt“ an Canan Durna verlieh. Stolz nahm die Mülheimerin den Scheck mit 1000 Euro entgegen. Eine Auszeichnung für ihr soziales Engagement in der Obdachlosenhilfe, unter anderem beim Verein „Merhaba und Mahlzeit“. Tatsächlich aber scheint die Stadtspitze den Wolf im Schafspelz geehrt zu haben.

Ein „Welt“-Reporter entlarvte die Schattenseite der „bekennenden türkischen Rechtsextremistin“. Auf ihrem Facebook-Account fanden sich demnach Bilder einer durchgestrichenen israelischen Flagge. Dazu der Slogan: „Nieder mit Israel“. Ferner soll sie den Gründer der rechtsextremen türkischen MHP, Alparslan Türkes, verehrt haben. Eine Partei, die heutzutage als Steigbügelhalter für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyib Erdogan gilt.

Der Neofaschist Türkes gilt auch als Gründer der Grauen Wölfe; auf einem Kongress der Türkischen Föderation 1996 in der Essener Grugahalle rief er zu einem Marsch durch die Institutionen auf. Türkes empfahl, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen und Parteien beizutreten. Am besten in die CDU, denn die rechtsextremen Parteien seien zu unwichtig – und den Türken nicht wohlgesinnt.

Kölner Verein Merhaba verteidigte Canan Durna 

Der Verein Merhaba wies die Darstellung zurück. Durna sei alles andere als „rechtsextrem oder antidemokratisch“ gesinnt. Diese Aussage widerspricht nach Informationen dieser Zeitung allerdings Erkenntnissen Kölner Staatsschützer.

Auf Anfrage teilte die Stadt Köln mit, dass extremistische Aktivitäten der Preisträgerin nicht bekannt gewesen seien. Alle Kandidaten seien vor Beratung in der Jury anhand öffentlich zugänglicher Quellen auf Echtheit, Plausibilität und Passung zu den Ausschreibungsrichtlinien überprüft worden. „Eine Abfrage beim Verfassungsschutz zählte nicht dazu“, so eine Pressesprecherin. „Eine Aberkennung des Preises sahen die Statuten bislang nicht vor. In Folge unter anderem der benannten Ergebnisprüfung und in Abwägung juristischer Risiken wurde Frau Durna der Preis nicht aberkannt.“

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