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„Zermürbende Belastungssituation“Viele nutzen das lange Wochenende für Kurzurlaub – Was an der Grenze zu erwarten ist

Lesezeit 6 Minuten
Polizisten kontrollieren Fahrzeuge zu Beginn der Grenzkontrollen an allen deutschen Landesgrenzen. Ein Polizist in Warnweste hält eine Kelle auf der „Halt Polizei“ steht, in Richtung eines LKW. (Archivbild)

Verstärkte Grenzkontrollen finden auch in NRW statt.

An Christi Himmelfahrt werden viele Menschen Grenzen passieren. Unserem Reporter sind die Kontrollen zwischen NRW und den Niederlanden neu.

Das grüne Zollauto erinnert mich an frühere Polizeiwagen. Die Situation an der Grenze ist für mich neu, wirkt aus der Zeit gefallen: Stau am Übergang A 74 aus Richtung Venlo zur A 61 nach Mönchengladbach, um die fünf Kilometer. Beamte und Beamtinnen winken LKW und Autos zur Seite. Eine Gruppe von Personen in Sicherheitswesten zieht kurz meinen Blick auf sich, weg von der Straße.

Mit 31 Jahren ist es für mich die erste Fahrt in die Niederlande, bei der ich Kontrollen wahrnehme. Für Menschen Ü50 werden hier vielleicht Erinnerungen wach. Ich finde das Aufgebot der Beamten befremdlicher als jemand, der nur offene Grenzen kennt. Das Schengen-Abkommen, das 1995 die Binnengrenzen der teilnehmenden Staaten öffnete und einen freien Reiseraum schuf – für mich in Europa ein nie anders gekannter Zustand. Aber erstmal fahre ich frei: Aus Nordrhein-Westfalen kommend, werde ich nicht kontrolliert. Ich könnte unbehelligt weiter nach Amsterdam. Aber es geht mir nicht um Urlaub bei den holländischen Nachbarn, bei dieser Tour will ich den Grenzübertritt erleben.

Deutlich mehr Beamte als zuvor, uniformiert und in zivil - bis zu 30 Kilometer tief im Grenzraum

Derzeit wird mehr kontrolliert an Deutschlands Grenzen, auch in NRW. Laut Jens Flören, Sprecher der Bundespolizei NRW, wurden die Grenzkontrollen am 7. und 8. Mai 2025 nochmals intensiviert. Die Anweisung kam vom Bundesinnenministerium (BMI). „Nochmal“ bezieht sich auf die vorausgehende Verstärkung der Überprüfungen seit dem 16. September 2024. Wie viel mehr Personal zum Einsatz kommt? Die genaue Zahl könne er dieser Zeitung aus taktischen Gründen nicht nennen. Aber: Es seien deutlich mehr Beamtinnen und Beamte als zuvor, so Flören, uniformiert und in zivil – bis zu 30 Kilometer tief im Grenzraum. An den Grenzen weise man Asylsuchende, mit Ausnahmen vulnerabler Gruppen, zurück. Die Migrationslage werde permanent neu beurteilt.

LKW stehen hintereinander im Stau. Über ihnen hängt ein Schild mit der Aufschrift „Koblenz“, darunter „Mönchengladbach“ und „Nettetal“, „A 74 61“.

Auch bei blauem Himmel: Stau bleibt Stau.

Dem Innenexperten der CDU-Landtagsfraktion Gregor Golland zufolge sind die verstärkten Kontrollen an der Grenze zwischen NRW und den Niederlanden „Teil einer lang ersehnten Migrationswende in Deutschland“. Die Maßnahmen zeigten auch Auswirkungen auf das Thema Kriminalität. Das sei an mehr Festnahmen, Haftbefehlen und der Sicherung von Betäubungsmitteln feststellbar. „Das ist zu begrüßen“, so Golland. Man wahre mit den Maßnahmen konsequent hoheitliche Rechte. „Wir als souveräner Staat haben das Recht zu wissen, wer hier hereinwill.“

Flächendeckende Kontrollen sind laut Marc Lürbke (FDP) eine Übergangslösung

Die Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden sei keine Hauptfluchtroute, gibt Marc Lürbke, Sprecher der FDP-Landtagsfraktion NRW, auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu bedenken: „Belastungen für Grenzpendlerinnen und -pendler sowie den kleinen Grenzverkehr sollten deshalb so gering wie möglich gehalten werden – etwa durch mobile, Lage angepasste Kontrollen statt flächendeckender Überprüfungen.“ Golland: „Wir wollen weiter den florierenden Handel mit dem starken Handelspartner Niederlande.“ Der Tourismus sei, wenn überhaupt, nur minimal betroffen. „Bürger haben nichts zu befürchten“

Meine Zickzackfahrt an der deutsch-niederländischen Grenze bestätigt die Flächendeckung. An drei von vier Grenzübergängen wird kontrolliert: auf der A 74 zur A 61, auf der N 297 zur B 56 (etwa von Maastricht Richtung Heinsberg) und auf der A 76 zur A 4 (zum Beispiel von Maastricht nach Aachen). Auf freie Fahrt treffe ich hingegen auf der N 280 zur A 52 von Roermond nach Mönchengladbach. 

Das Bild des Kontrollgeschehens ist ähnlich: Pavillons, Einsatzautos, Dixi Klos und Warnwesten-Tupfer. Dass die Überprüfungsprocedere einen Stau bedingen, bleibt bei meiner Testfahrt aber ein Einzelfall. Die beiden anderen Grenzkontrollen wirken weniger umfänglich, die Präsenz der Beamten spüre ich trotzdem. Rausgewunken werde ich nicht. Mir ist bewusst, dass ich nichts zu befürchten habe, höchstens eine verspätete Ankunft – wie es Menschen geht, die auf Schutz hinter der Grenze hoffen, kann ich mir nicht vorstellen.

Nationales Vorgehen könnte europäisches Agieren untergraben

Der Vorsitzende der Bundespolizei in der GdP, Andreas Roßkopf, begründet die vermehrten Kontrollen damit, dass die „irreguläre Migration nach Deutschland auch mit Grenzkontrollen durch die Bundespolizei“ reduziert werden solle. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte kurz nach Amtsantritt die Intensivierung angewiesen. Gleichzeitig ordnete er an, dass auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden können.

Gemäß dem SPD-Innenexperten Lars Castellucci birgt dieses unabgestimmte Vorgehen die Gefahr, dass andere europäische Länder national vorgingen, statt einen gemeinsamen Kurs zu verfolgen. Aus Sicht der Bundespolizei NRW sei die Zurückweisung an Grenzen eine „seit Jahren bewährte Praxis“ zwischen ihnen und den Niederlanden. Folgt man dieser Perspektive, wäre keine Beeinträchtigung des nachbarschaftlichen Verhältnisses zu befürchten. Aufwändig klingen die Maßnahmen trotzdem.

Lukas Günther: Auswirkungen auf Wirtschaft und Grenzverkehr prüfen

Für die vermehrten Kontrollen wurde der Überstundenabbau bei der Bundespolizei gestoppt, Fortbildungen pausiere man. Das teilt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit und betont die zusätzliche Belastung. Die Maßnahmen sind laut GdP nicht lange durchzuhalten. Denn weit über 1000 Bereitschaftspolizisten seien im gesamtdeutschen Grenzraum im Einsatz, auf einer Länge knapp unter 3900 Kilometern zu den neun Nachbarstaaten. Zur Einordnung: Die Binnengrenze zwischen NRW und den Niederlanden ist 395 Kilometer lang. Trotzdem führe der Aufwand zu „einer erheblich gestiegenen Arbeitsbelastung und einem Anstieg der Überstunden bei der Bundespolizei“, sagt Lukas Günther, Sprecher der SPD NRW unserer Zeitung.

Günther erläutert die Kosten-Nutzen-Abwägung: Wenn die Zahl der Aufgriffe den Aufwand nicht rechtfertigten, müssten die Grenzkontrollen deutlich zurückgefahren oder eingestellt werden. Man müsse sie mit Augenmaße hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Wirtschaft und den Grenzverkehr bewerten. Deutschland sei aber auf dem richtigen Weg. Man senke die Zahl der Asylanträge, ohne humanitäre Verpflichtungen zu vernachlässigen.

Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW, hinterfragt Rechtmäßigkeit der Kontrollen

Marc Lürbke hat vor allem die „zermürbende Belastungssituation“ der Polizeibeamtinnen und -beamten im Blick. „Wir müssen sicherstellen, dass die Einsatzkräfte, die aktuell schon gar nicht mehr aus ihren Stiefeln kommen, schnellstmöglich durch weitere personelle Verstärkung entlastet werden.“ Hier sei auch die NRW-Landesregierung gefordert. Aus Sicht der FDP dürfen die Maßnahmen keine Dauerlösung sein. Ein Kraftakt für die Polizei auf Zeit.

Eine verwerfliche Verstärkung der Grenzkontrollen, wie es Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW, sieht. „Wir lehnen die Grenzkontrollen und ihre Verstärkung ab“, so Naujoks. „Die Kontrollen sind rechtlich umstritten – gelinde gesagt, europarechtlich kritisch.“ Lürbke argumentiert: Wer an der Grenze ein Schutzgesuch äußere, habe nach deutschem Recht keinen Anspruch auf Einreise, wenn er aus einem sicheren Drittstaat kommt – etwa den Niederlanden. Günther: „Entscheidend ist, dass die auf europäischer Ebene ausgehandelte GEAS-Verordnung zügig in nationales Recht überführt wird.“

Die Reform des GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) dient laut BMI dazu, Migration in der EU insgesamt verlässlich zu steuern und zu ordnen, humanitäre Standards für Geflüchtete zu wahren und die irreguläre Sekundärmigration, also das unkontrollierte Weiterziehen in andere EU-Mitgliedstaaten, zu begrenzen. Birgit Naujoks Perspektive auf die Grenze: „Die Menschen fühlen sich nicht willkommen – gegen sie wird gekämpft.“ (mit dpa)