Kinder, die in den 70er Jahren adoptiert wurden, wissen oft wenig über ihre Herkunft. Der Landschaftsverband Rheinland unterstützt sie dabei, Antworten auf ungeklärte Fragen zu finden.
Kölner Behörde unterstützt AdoptivkinderWenn das Unwissen über die eigene Herkunft zur mentalen Belastung wird

Ein Ehepaar unternimmt mit seinen beiden Kindern einen Ausflug. Die Zahl der Auslandsadoptionen ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen.
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Die Wandergruppe, die demnächst zu einem Ausflug ins Siebengebirge aufbricht, besteht aus rund 20 Personen. Die meisten von ihnen stammen aus Indien, einige wurden in Kenia geboren. Es handelt sich nicht um Touristen. Die Gesellschaft wird von Christoph Lomba begleitet. Der Sozialarbeiter ist in der zentralen Adoptionsstelle des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) für die Beratung von Auslandsadoptierten zuständig. „Der Ausflug soll dem gemeinsamen Austausch dienen“, erklärt Lomba. „Viele Adoptierte haben ähnliche Erfahrungen gemacht – und es kann ein großer Gewinn sein, darüber zu reden.“
In den 70er Jahren war es für kinderlose Eltern relativ einfach, ein Kind aus dem Ausland zu adoptieren. Mittlerweile sind die Adoptierten erwachsen – und wollen mehr über ihre Herkunft erfahren. Viele haben schon oft darüber nachgedacht, Nachforschungen dazu anzustellen. Aber häufig werden – auch aus Respekt vor den Adoptiveltern – erst dann konkrete Versuche gestartet, wenn diese verstorben sind. „Manche Kinder wollen nicht den Eindruck erwecken, sie wären undankbar“, sagt Lomba. Oft entstehe das Bedürfnis, offene Fragen zu klären, auch dann, wenn die Betroffenen selbst Eltern würden.
Jeder Fünfte meldet sich zum Austausch
Seit rund einem Jahr kümmert sich der LVR um die nachgehende Adoptionsbegleitung. Die Teilnehmer der Wandergruppe wurden alle von Pro Infante vermittelt. Für diese Gruppe fanden bereits mehrere Online-Treffen statt. Die Resonanz ist beachtlich. Von den Personen, die der LVR nach Auswertung der Akten ausfindig machen konnte, hatte jede Fünfte das Bedürfnis, sich über die Adoptionserfahrung auszutauschen.
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Wolfgang Köhler ist Teamleiter der zentralen Adoptionsstelle beim Landschaftsverband Rheinland.
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Das Thema Auslandsadoptionen ist für damals beteiligte Organisationen oft ein dunkles Kapitel. Oft gelang es kinderlosen Eltern, die auf eigene Faust ins Ausland reisten, sich in einem Waisenhaus ein Kind auszusuchen. Mit den Formalitäten nahm man es nicht immer ganz genau. „Wir beobachten immer wieder, dass sich in den Akten widersprüchliche Angaben finden“, sagt Teamleiter Wolfgang Köhler. Oder es werde von den indischen Kinderheimen behauptet, die Akten seien nicht mehr aufzufinden, um Nachforschungen zu erschweren.
Zu den Adoptierten, die sich in der Beratungsgruppe des LVR treffen, gehört auch der Informatiker Sanjay Böhlmeier. Er wurde Ende der 70er Jahre im indischen Bundesstaat Tamil Nadu geboren. Die ersten zwölf Lebensmonate verbrachte er im Kinderheim, ehe er von seinen deutschen Adoptiveltern abgeholt wurde. Die haben aus diesem Vorgang nie ein Geheimnis gemacht. Er habe eine schöne Kindheit gehabt, sagt Böhlmeier. Aber den Gedanken an die Adoption habe er lange verdrängt.
Reise an den Geburtsort
Vor allem das Unwissen über sein erstes Lebensjahr wird für den Adoptierten zunehmend zu einer mentalen Belastung. So entschließt er sich im Herbst 2017, an seinen Geburtsort zu reisen, um dort mehr über seine Wurzeln zu erfahren. „Es war der Versuch, das schwarze Loch mit Informationen zu füllen“, sagt Christoph Lomba. Doch der Plan geht nicht auf. Das Heim gibt vor, die Adoptionsakten seien seit einem Brand nicht mehr vorhanden.
Eine ungute Erfahrung. Böhlmeier hat das Gefühl, in seiner Heimat zurückgewiesen zu werden. Das Gefühl, zurückgelassen zu werden, hat er in Deutschland schon in so mancher Therapiestunde zum Thema gemacht. Die nach der Geburt fehlende Bindung zur Mutter hat ihn offenbar emotional geprägt. Es fällt ihm schwer, zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen – wohl aus Angst, im Stich gelassen oder enttäuscht zu werden.

Christoph Lomba ist als Sozialarbeiter ist in der zentralen Adoptionsstelle des Landschaftsverbands Rheinland tätig.
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Die Zahl der Auslandsadoptionen ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Kinderwunschbehandlungen führen immer häufiger zum erwünschten Erfolg. Das Geschäft mit Leihmüttern floriert, obwohl es in Deutschland verboten ist. Agenturen in der Ukraine vermitteln Leihmütter zum Preis eines Mittelklasse-Fahrzeugs.
In Deutschland gibt es Altersgrenzen, die mit dem Beitritt der Bundesrepublik zum Haager Adoptionsübereinkommen (HAÜ) von 1993 in Zusammenhang stehen. Danach darf ein Kind erst dann zur internationalen Adoption freigegeben werden, nachdem im Herkunftsland alle Maßnahmen gescheitert sind, dem Kind den Verbleib in seiner bisherigen Familie zu ermöglichen oder eine geeignete Aufnahmefamilie zu finden. Der Altersabstand zwischen Eltern und Adoptivkind sollte 40 Jahre nicht überschreiten.
Mit dem HAÜ hatten sich eine Reihe von Staaten auf verbindliche Vorgaben im Bereich der internationalen Adoption verständigt. Es regelt die Zusammenarbeit zentraler Behörden im Herkunfts- und Aufnahmeland, um einen geordneten Verfahrensablauf sicherzustellen. So muss in Deutschland die Eignung zur Aufnahme eines Kindes aus dem Ausland festgestellt werden. Hierzu gehört, dass ein gesichertes Einkommen der Eltern nachgewiesen werden muss. Auch die Stabilität der Beziehung der interessierten Eltern wird unter die Lupe genommen. Zudem wird erwartet, dass sich die Adoptionswilligen mit der Kultur des Herkunftslandes des Kindes intensiv auseinandersetzen. Rund 2500 Euro fallen in Deutschland an Gebühren an, hinzu kommen Kosten für Übersetzungen sowie Reise- und Aufenthaltskosten.
Erst bei der Hochzeit von Adoption erfahren
Kaum zu glauben: Bei Leihmutterschaften und Inlandsadoptionen erfahren manche Adoptivkinder bis heute erst, wenn sie bei der Hochzeit einen Auszug aus dem Geburtsregister beantragen, dass sie nicht von ihren leiblichen Eltern aufgezogen worden sind. „Das zieht dann so manchem den Boden unter den Füßen weg“, sagt Teamleiter Köhler. Bis in die 70er Jahre sei Eltern tatsächlich oft explizit geraten worden, eine Adoption zu verschweigen.
Sanjay Böhlmeier hat sich dazu entschieden, den Kampf gegen sein Trauma nicht aufzugeben. Er will in diesem Jahr erneut nach Indien reisen, um vor Ort mit der Zentralen indischen Adoptionsbehörde in Kontakt zu treten. Der Austausch mit den anderen Adoptionskindern in der LVR-Gruppe hat ihm Mut gemacht. Spurensuche, Teil II. Ein Erfolg könnte zum Wendepunkt in seinem Leben werden.