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Kokain für 2,6 Milliarden Euro
Der Kronzeuge, der Rocker-Chef und die Todesdrohungen im Kölner Drogen-Prozess

7 min
HANDOUT - Polizisten sichern einen Polizei-Lastwagen mit sichergestelltem Kokain auf der Ladefläche (unbekannter Aufnahmeort, unbekanntes Aufnahmedatum). Nach dem Fund der größten in Deutschland bislang auf einen Schlag sichergestellten Menge Kokain haben die Ermittler nun Einzelheiten des Falls bekanntgeben. +++ dpa-Bildfunk +++

Polizisten sichern einen Polizei-Lastwagen mit sichergestelltem Kokain auf der Ladefläche nach dem Fund der größten in Deutschland bislang auf einen Schlag sichergestellten Menge Kokain +++ dpa-Bildfunk +++

Vor dem Kölner Landgericht wird der größte Kokain-Fund in der deutschen Nachkriegsgeschichte verhandelt. Auf ein Haus in Eitorf wurde jetzt geschossen.

Der Angeklagte in Saal 112 des Landgerichts Köln redet. Am vergangenen Dienstagmorgen berichtet Habib I. von Geldtaschen, in denen er mehrere hunderttausend Euro transportiert hat. „Bis zu einer Million Euro habe ich eingesammelt“, bekennt der gebürtige Bulgare mit türkischen Wurzeln. Der mutmaßliche Koksschieber berichtet von Treffen mit seinen Chefs an der türkisch-bulgarischen Grenze. Er erzählt von Containern im Hamburger Hafen mit ihren Drogenverstecken, die er stundenlang beobachtet hat, bevor sie aus dem Zollbereich geschleust wurden.

Während der ehemalige Betreiber einer Handwerksfirma aus Eitorf spricht, ist die Anspannung im Saal deutlich zu spüren. 32 Personen sitzen hier eng beieinander. Anwälte, Dolmetscher, Gutachter, die Staatsanwältin, das Gericht – und sechs weitere Angeklagte. Acht Justizwachmänner mit Schlagstöcken und Handschellen kommen noch dazu. Und vor dem Eingang sind zwei weitere Wachleute postiert.

Kokain im Marktwert von 2,6 Milliarden Euro

Habib I. ist der einzige Beschuldigte in dem Drogenverfahren, der umfänglich aussagt. Der Mittdreißiger ist Angeklagter und Kronzeuge zugleich. Ein Insider, der während mehrerer Verhandlungstage über die Hintermänner eines gigantischen Drogenverfahrens auspacken soll. In dem Mammut-Komplex geht es um den Schmuggel von 40 Tonnen Kokain im Marktwert von 2,6 Milliarden Euro. Der größte Kokain-Fund in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Und so gewährt der mutmaßliche Rauschgifthändler tiefe Einblicke in die Strukturen der Bande, die den Stoff zwischen 2022 und 2023 aus Südamerika über den Hamburger Hafen nach Deutschland eingeschleust haben soll. Von Streitigkeiten und Todesdrohungen innerhalb der Organisation ist die Rede. Vor allen Dingen dann, wenn sich die Rauschgift-Connection ums Geld zofft, was nicht selten passiert sei, so der Angeklagte.

Das Kokain sollte unter anderem in solchen Kartons mit Ananas-Lieferungen aus Südamerika eingeschmuggelt werden.

Das Kokain sollte unter anderem in solchen Kartons mit Ananas-Lieferungen aus Südamerika eingeschmuggelt werden.

Mit drei „Geschäftspartnern“ habe die Gruppierung in Deutschland zusammengebarbeitet. Diese Kontaktleute hätten zahlreiche Scheinfirmen für den Drogenschmuggel gegründet, berichtet Habib I.. Getarnt etwa als Bananen- oder Ananaslieferungen aus Südamerika, verbargen sich unter den Kisten hunderte Kilogramm „weißer Schnee“. Habib I. bestätigt etliche Namen fingierter Gesellschaften. Jeder der „großen drei“ Geschäftspartner hätte 250.000 Euro „von der Zentrale“ bekommen, wenn es wieder einmal gelungen sei, einen Koks-Container unentdeckt durch den deutschen Zoll zu bringen. „Als Erfolgsprämie, zusätzlich zu den Spesen, also für die Kosten, die beispielsweise durch Geschäftsräume, Personal oder Lager der Scheinunternehmen entstanden sind“, führt das mutmaßliche Bandenmitglied aus.

Schüsse auf das Haus des Bruders vom Kronzeugen

Wie sie denn heißen würden, die drei Partner des Drogen-Syndikats, fragt der Richter. Der Angeklagte offenbart zwei Namen. Dann schweigt er für ein paar Sekunden. Die dritte Person könne er nicht nennen, sagt er schließlich. Das sei zu gefährlich für seine Familie. „Neulich ist das Haus meines Bruders beschossen worden, nachdem ich angefangen habe, hier auszusagen“, flüstert Habib I.. Der Richter nickt wissend.

Tatsächlich schossen Männer am 16. Oktober auf die Hausfassade des Bruders in Eitorf. Ein Sprecher der Kreispolizeibehörde Rhein-Sieg bestätigt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Attacke. „Niemand ist verletzt worden“, führt der Beamte aus. Zu weiteren Details will er sich nicht äußern.

Juni 2024: Benjamin Limbach (Grüne, l), nordrhein-westfälischer Justizminister, und Tino Igelmann, Leiter Zollkriminalamts Nordrhein-Westfalens, berichten stolz über die Rekord-Beschlagnahme von Kokain im Milliardenwert bei einer länderübergreifender Razzia.

Juni 2024: Benjamin Limbach (Grüne, l), nordrhein-westfälischer Justizminister, und Tino Igelmann, Leiter Zollkriminalamts Nordrhein-Westfalens, berichten stolz über die Rekord-Beschlagnahme von Kokain im Milliardenwert bei einer länderübergreifender Razzia.

Wie diese Zeitung weiter aus Ermittlerkreisen erfahren hat, geht man inzwischen von einer Warnung aus. Der Angriff, so der Verdacht, galt eigentlich dem Angeklagten Habib I., der bereits während der Ermittlungen bei der Kripo und der Staatsanwaltschaft gegen das Organisierte Verbrechen (ZeOS) in Düsseldorf die Hintermänner schwer belastet hat.

Kölner Rocker-Chef einer der mutmaßlichen Drahtzieher

Darunter auch den ehemaligen Kölner Boss des mittlerweile aufgelösten Hells-Angels-Charters „Rhine Area“: Kamil S., der mittlerweile in der Türkei leben soll. Sein Bruder Hamid soll 2023 einen Mord an einem Abtrünnigen in Köln-Mülheim beauftragt haben. Dafür wurde er mittlerweile zwar zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Allerdings stellte das Bundesverfassungsgericht Verfahrensfehler fest, der Fall muss erneut vor Gericht verhandelt werden. Bis dahin sitzt Hamid weiter in U-Haft.

Sein Bruder Kamil, so die Anklage im jetzt vor Gericht verhandelten Drogenkomplex, soll zu der dreiköpfigen Führungsriege gehören, die den Koks-Handel im großen Stil mit Hilfe der drei Betreiber der Briefkastenfirmen organisiert hat. Als Chef gilt ein Gangster aus Dubai, dessen Identität immer noch ungeklärt ist. Gleich zehn große Rauschgiftlieferungen aus Übersee hat die Staatsanwaltschaft für den Prozess aufgelistet. Stets soll es sich um Stoff im Tonnenbereich gehandelt haben.

Befreundet mit dem ehemaligen „Kölner Rotlichtpaten“

Der einstige Rocker-Boss Kamil S. gilt als brutaler Anführer, der selbst eigene Leute ausgebeutet, gefoltert und drangsaliert haben soll. Ende 2022 soll er in seine türkische Heimat ausgereist sein. Von dort aus soll er im großen Kokain-Geschäft weiterhin mitgemischt haben.

Nach weiteren Erkenntnissen soll er mit einem seiner Vorgänger als Kölner Hells-Angels-Chef enge Kontakte pflegen: Mit Neco Arabaci, dem ehemaligen rheinischen Rotlicht-Boss und heutigen Präsidenten der „Hells Angels MC Nomads Turkey“. Arabaci galt als der „Der Pate von Köln“. Er lenkte Bordelle und Clubs auf den Kölner Ringen. Letztlich wurde er wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung zu neun Jahren Haft verurteilt. 2007 wurde er in seine türkische Heimat abgeschoben.

Von dort aus soll er immer noch auch in Deutschland und gerade in Köln seine Finger in kriminellen Geschäften haben. Vor gut einem Monat wurde Arabaci in Izmir erneut verhaftet. Die türkische Generalstaatsanwaltschaft wirft dem 53-jährigen Rocker-Boss „die Gründung einer Organisation zur Begehung von Verbrechen und schwere Erpressung“ vor.

Wegen Mordvorwürfen vermutlich in der Türkei untergetaucht

Sein angeblicher Kumpel Kamil S. indes befindet sich weiterhin auf freiem Fuß. Und die Düsseldorfer OK-Ermittler gehen inzwischen der Spur nach, dass S. hinter der Schussattacke auf das Haus in Eitorf stecken könnte, um den angeklagten Kronzeugen zum Schweigen zu bringen. Als Beweis dient den Strafverfolgern eine Aufnahme aus einer Radarkamera in der Nähe des Tatortes. Als sie das Foto dem angeklagten Kronzeugen vorlegen, soll dieser zwei der drei Männer als Handlanger des abgetauchten ehemaligen Kölner Hells-Angels-Chefs identifiziert haben.

Bereits in Polizeiverhören hatte Habib I. als Kronzeuge den Ex-Rocker als einen der Drahtzieher der Koks-Mafia geoutet. Detailliert schilderte der Unternehmer aus Eitorf, wie er nach und nach in den Dunstkreis des mutmaßlichen Hells-Angels-Gangsters geraten sein will. Die Hells Angels habe er zunächst um Hilfe gebeten, weil er von einem Mitarbeiter bedroht worden sei. Nachdem die Rocker-Bande ihm zunächst bei seinem Problem geholfen hätte, habe sie Schutzgeld von ihm verlangt. Mitunter soll man ihm eine Pistole an den Kopf gehalten haben, um ihn gefügig zu machen. Weil er aber nicht zahlen konnte, habe er schließlich eingewilligt, für die Rocker zu arbeiten.

Fortan gab I. den Handlanger in der Kokain-Bande, spähte die Lage am Hamburger Hafen aus, fuhr Lkw mit der heißen Ware zu ihrem Bestimmungsort. Ein lukratives Geschäft gewiss, auch scheint eine Art Thrill mitgespielt zu haben, der Spaß brachte, so der Tenor der Aussagen bei den Ermittlern.

Kokainschwemme in Deutschland

Der Fall belegt einmal mehr eine zunehmende Kokainschwemme nach Deutschland. Die Coca-Pflanze gedeiht vor allem in südamerikanischen Hochlagen ab 2000 Metern Höhe. Die Anbauflächen in Kolumbien, Peru und Bolivien wachsen stetig. Allein 2021 erzeugten diese Staaten gut 2000 Tonnen Kokain – Tendenz steigend. Über Häfen in Surinam oder Ecuador etwa geht der Stoff nach Europa – und zwar auf Frachtschiffen, die bis zu 24.000 Container geladen haben. Die Drogen in diesem Wust zu finden, gleicht einer Sisyphos-Arbeit.

Kokain verbreite sich „in Deutschland sehr stark, weil der Markt in Nordamerika gesättigt ist und sich der Drogenhandel stärker auf Europa konzentriert“, warnte Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland bereits im April. Die Menge des international geschmuggelten Kokains sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

Das beschlagnahmte Kokain wurde in einer Müllverbrennungsanlage entsorgt.

Das beschlagnahmte Kokain wurde in einer Müllverbrennungsanlage entsorgt.

Aus großen Mafia-Verfahren hierzulande geht hervor, wie arbeitsteilig die Drogengangster agieren. Meist landet der Stoff aus Südamerika in den großen Seehäfen wie Antwerpen, Rotterdam oder Hamburg an. Banden aus Albanien oder Marokko beherrschen etwa in Belgien oder den Niederlanden die Kais. Oft bestechen sie Hafenarbeiter oder Zöllner, damit die wegschauen, wenn Container mit der heißen Fracht durch die Kontrollen wandern.

Die Dealer kommunizieren über Kypto-Handys

Erst im April wurden in Hamburg zwei ehemalige Hafenmitarbeiter wegen Kokainhandels zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Draußen übernehmen dann die Rauschgift-Syndikate den weißen Schnee. Die Kommunikation läuft über Krypto-Handys mit der Verschlüsselungs-Software Encrochat oder SkyEcc. Lange Zeit wähnten sich die Großdealer in Sicherheit. Bis IT-Forensiker der Polizei in Frankreich die Codes knacken konnten. Auch wurden Server der Software gefunden. Seither überfluten Tausende Verfahren die europäischen Sicherheitsbehörden. Denn in den verschlüsselten Chats reden die Rauschgifthändler offen über ihre illegalen Geschäfte und Aufträge.

Insgesamt wurde im Jahr 2023 in Deutschland laut dem BKA-Lagebericht eine Rekordmenge von 43 Tonnen beschlagnahmt, doppelt soviel wie im Vorjahr. Der Großteil stammt aus dem Kölner Mammut-Verfahren. Die deutschen Sicherheitsbehörden erfassten 2023 insgesamt 55.532 Fälle von Rauschgifthandel, darunter 6421 Kokaingeschäfte. Der Konsum und Handel mit dem Stoff stieg dem BKA zufolge um mehr als 27 Prozent.

Zurück zum Kokain-Prozess in Köln. Habib I. will weiter aussagen. Er sitzt im Hochsicherheitstrakt der JVA Köln, streng abgeschottet von anderen Untersuchungshäftlingen. Eine Schutzmaßnahme. Niemand weiß, was ihm sonst passieren könnte.