Warten auf Greta Thunberg, Neubauer weggetragenSo lief der zweite Tag der Räumung in Lützerath

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Tag zwei der Räumung in Lützerath: Wenige Kilometer vom Dorf entfernt treffen enttäuschte Aktivisten und Mutmacher aufeinander. Alle warten auf Greta Thunberg.

Im Protestcamp der Klimaaktivisten auf dem alten Bolzplatz von Keyenberg schwankt am Donnerstag die Stimmung zwischen Trotz und Enttäuschung. Vom Dorf, das den Kohlebaggern entkommen ist, bis nach Lützerath sind es gerade einmal vier Kilometer. Es regnet seit Stunden.

Helfer fahren mit Handkarren unermüdlich Mulch heran, um wenigstens die völlig verschlammten Wege begehbar zu halten. Andere werden nicht müde, in provisorischen Zelten Essen vorzubereiten. Dennoch ist Keyenberg der Ort, der an diesem Donnerstag immer mehr, vor allem junge Menschen, anlockt. Die Aktivisten haben einen Shuttle nach Erkelenz eingerichtet.

Zwei Gruppen kommen hier zusammen: Die Enttäuschten, müde und verdreckt, die am Vormittag nach einer weiteren Nacht in Lützerath aus dem ehemaligen Bauernhaus von Eckardt Heukamp von der Polizei geräumt wurden. Und die Mutmacher in gespannter Erwartung, die mit Backpacker-Ausrüstung und Zelt aus allen Teilen Deutschlands anreisen, um Flagge zu zeigen und sich auf die für Samstag geplante Großdemonstration vorbereiten.

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Lützerath: Klimaschutzaktivisten freuen sich über Aufmerksamkeit am Braunkohledorf

„Stabil und traurig“, antwortet eine Aktivistin, die sich selbst als „die Amsel“ bezeichnet, auf die Frage, ob sie mit einem derart schnellen Ende gerechnet habe und wie sie sich fühle. „Lützi“ sei halt nicht der Hambacher Forst, kein unübersichtliches Waldstück, dennoch habe der Protest sein Hauptziel erreicht. Die Braunkohle und die Klimabewegung seien endlich wieder das Topthema in Deutschland.

Viele der Ankommenden ärgern sich, dass sie den spontanen Protestzug verpasst haben, der sich aus Keyenberg auf den Weg nach Lützerath gemacht hat und unterwegs von der Polizei aufgehalten wird. Zumal sich Luisa Neubauer, das wohl bekannteste Gesicht der Fridays for Future-Bewegung und Greenpeace-Vorstand Marin Kaiser eingereiht haben.

Die Gruppe mit rund 800 Teilnehmern sei auf dem Weg zur Tagebaukante gewesen, begründet die Polizei ihr Vorgehen. Neubauer trägt ein Schild mit der Aufschrift „Klimaschutz ist Handarbeit“ und kritisiert das Vorgehen der Polizei. Sie habe in der beginnenden Dunkelheit und in der Nacht zum Donnerstag die Räumung fortgesetzt. Das sei „gefährlich und unverständlich“.

Umweltaktivistin Luisa Neubauer wird von Polizisten während einer Sitzblockade weggetragen. Die Demonstranten hatten versucht am zweiten Tag der Räumung durch die Polizei über Äcker zum besetzten Braunkohleort Lützerath zu gelangen und wurden von der Polizei gestoppt.

Umweltaktivistin Luisa Neubauer wird von Polizisten während einer Sitzblockade weggetragen. Die Demonstranten hatten versucht am zweiten Tag der Räumung durch die Polizei über Äcker zum besetzten Braunkohleort Lützerath zu gelangen und wurden von der Polizei gestoppt.

Die Hoffnungen im Protestcamp ruhen jetzt auf Greta Thunberg. Die Ikone der Klimabewegung wird zur Großdemo am Samstag erwartet. „Das ist großartig“, findet Carolin Roßberg. Ein kurzes Lächeln fliegt über ihr Gesicht.

Lützerath: Aktivisten warten auf Greta Thunberg – Luisa Neubauer von Polizei weggetragen

Marten Reiß, dem es bei „Wetten dass“ im November gelang, als Wettkönig mit seiner Fingerabdruckwette ein Millionenpublikum auf Lützerath aufmerksam zu machen und den Großteil seines Preisgelds für Klimaprojekte spendete, übt wie seine Begleiterin Kritik am Polizeieinsatz.

„Wir sind beim Einsatz vor der Räumung am Dienstag auf der Zufahrtstraße mit voller Wucht gegen die Tripods gedrückt worden, obwohl die Polizei wusste, wie gefährlich das für Menschen ist, die oben in den Holzkonstruktionen sitzen.“

Vorwürfe, die Hundertschaften seien mehrfach ohne Rücksicht auf Leib und Leben gegen die Aktivisten vorgegangen, werden im Protestcamp immer wieder laut. „Wir sind bei der ersten Räumung am Mittwoch den gesamten Weg bis zu Eckardts Scheune zurückgewichen und haben gerufen, dass wir friedlich sind“, sagt eine Aktivistin, die ihren Namen nicht nennen möchte.

„Es wurde trotzdem draufgehauen, als seien wir keine Menschen mehr.“ Sie wolle anonym bleiben, „weil die Polizei mit dem Paragrafen 129 gerade nur so um sich schmeißt und Menschen, die sich auf der Straße festkleben, vorwirft, dass sie eine kriminelle Vereinigung sind“, sagt sie.

Lützerath: Farbbeutel und Dosen fliegen aus den Fenstern auf Polizisten

In Lützerath müssen sich die Hundertschaften am Donnerstag mühselig durch die einzelnen Häuser vorarbeiten. Der Einsatz verläuft weitgehend ruhig, vereinzelt werden Feuerwerkskörper gezündet. Auch Farbbeutel, Dosen und andere Gegenstände fliegen aus den Fenstern. Auf dem Dachfrist eines Hauses harren ungefähr zehn Klimaaktivisten bei Regen und stürmischem Wind aus und bringen sich dadurch bei den Wetterbedingungen selbst in eine gefährliche Lage.

Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach verschafft sich vor Ort über mehrere Stunden selbst ein Bild von der Lage. Man komme zügig voran, sagt er. Gegen 11.30 Uhr hat sich eine Hundertschaft durch ein Fenster Zugang zur Scheune des ehemaligen Bauernhofs von Eckhardt Heukamp verschafft und leitet die Besetzer aus dem Gebäude.

Polizisten betreten ein von Aktivisten besetztes Haus am zweiten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath.

Polizisten betreten ein von Aktivisten besetztes Haus in Lützerath.

„Wir hatten keine andere Wahl. Wir haben laut nach draußen kommuniziert, dass sich Leute an den Türen festgeklebt haben und die ganze Scheune voller Heu ist“, berichtet eine der Besetzerinnen. „Das hat die Polizei nicht daran gehindert, eine Flex einzusetzen, so dass auch Funken gesprüht sind.“ Einige tragen ein Bild des letzten Landwirts von Lützerath mit sich. Parallel dazu wird mit der Räumung der ersten Baumhäuser begonnen, die sich relativ nah am Boden befinden, so dass die Höhenretter der Polizei noch nicht zum Einsatz kommen müssen.

Lützerath: Polizei holt Aktivisten aus Baumhäusern im Braunkohledorf

Je weiter der Tag fortschreitet, desto mehr nimmt der Einsatz die Züge einer willkommenen Rettung an. Einige der Aktivisten, die zum Teil seit Mittwochmorgen ihre Baumhäuser nicht mehr verlassen haben, scheinen geradezu erleichtert, von der Polizei befreit zu werden.

Auf dem Gelände, wo am Dienstag noch große Teile des Lützerath-Camps standen, hocken immer noch drei Aktivisten auf jeweils einem Onepod im weiterhin strömenden Regen. Derweil beginnen schon erste Abbrucharbeiten an den Hallen, in denen sich keine Besetzer mehr aufhalten.

Am Nachmittag taucht das Gerücht auf, dass es zwischen zwei Häusern in Lützerath eine Tunnelverbindung geben soll. Auf Youtube ist ein Video zu sehen, das die Existenz des Tunnels belegen soll. Aachens Polizeipräsident reagiert gelassen. „Ich habe auch davon gehört. Wir prüfen das gerade. Sollte es einen Tunnel geben, ist er aber garantiert nicht besetzt.“ Vorsichtshalber wird der Bereich, in dem der Tunnel vermutet wird, nicht mehr mit schwerem Gerät befahren. Am Abend bestätigt Polizei-Chef Weinspach gegenüber dem WDR das Gerücht, dass es einen Tunnel unter einem Teil des Camps gibt.

Hotel macht Ärger wegen dreckiger Stiefel

Die Hundertschaften der Polizei plagen sich wegen des schlechten Wetters mit einem ganz banalen Problem herum. Ein Hochdruckreiniger, mit dem sie ihre Stiefel vom Dreck befreien sollen, ist abgezogen worden. Wohin und warum – keiner weiß etwas Genaues. Das Problem der Beamten: Das Hotel in Aachen, in dem sie untergebracht werden, will sie mit den Stiefeln in diesem Zustand nicht ins Foyer lassen. Das ist mal eine andere Art von Betretungsverbot.

Am frühen Abend kommt über den Polizeifunk eine Nachricht, die schockiert. In Keyenberg, dort wo weiter Klimaaktivisten im Protestcamp ankommen, ist ein Auto in Brand geraten. Es ist das Fahrzeug eines der Kommunikationsteams der Polizei, die seit Wochen mit den Aktivisten im Austausch stehen. Menschen sind dabei nicht zu Schaden gekommen.

Auch wenn das Gelände in Lützerath nach dem zweiten Tag zum größten Teil geräumt ist. Die Polizei geht dennoch nicht davon aus, dass der Einsatz zeitnah beendet sein könnte.

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