Zeitplan, Inhalte, StolperfallenDas sind die ambitionierten Ziele von Schwarz-Grün

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Wüst und Neubaur

Hendrik Wüst (r.) und Mona Neubaur 

Düsseldorf – Drei Punkte stehen vor dem Beginn möglicher Sondierungsgespräche von CDU und Grünen zur Bildung einer schwarz-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen offenbar schon fest. Erstens: Aus den Verhandlungen darf nichts nach außen dringen. Zweitens: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Drittens: Angestrebtes Ziel ist es dennoch, möglichst noch vor der Sommerpause fertig zu werden.

Das klingt sehr ambitioniert und ist es wohl auch. Und deshalb darf durchaus unterstellt werden, dass es keine parallelen Gespräche der CDU mit der SPD oder der Grünen mit SPD und Liberalen geben wird. Weil das den Zeitplan gefährden könnte. Beide Seiten scheinen sich auch in der Frage einig zu sein, dass es sich NRW angesichts der geopolitischen Krisenlage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht leisten kann, noch bis in den Herbst hinein von einer geschäftsführenden Landesregierung geführt zu werden.

Wir werfen einen Blick auf die politischen Themenfelder, die in den schwarz-grünen Sondierungen eine entscheidende Rolle spielen werden.

Wie viel Konfliktpotenzial steckt in der Verkehrspolitik?

Deutlich weniger, als man gemeinhin denkt. Die Forderung der Grünen nach einer radikalen Wende weg vom Auto hin zur Vorfahrt für den öffentlichen Nahverkehr bei den Investitionen deckt sich zwar nicht hundertprozentig mit den Zielen der CDU. Doch in der Realität werden in NRW schon heute kaum noch neue Straßen gebaut. Vielmehr fließt größte Teil des Gelds im Verkehrshaushalt in die Sanierung vorhandener Strecken, vor allem der Autobahnen und der Brücken. Günstig für die Sondierungsgespräche zu diesen Themen: Hendrik Wüst war viereinhalb Jahre lang selbst Verkehrsminister in NRW. Er kennt die Bedeutung des Ressorts also sehr genau. In dieser Zeit ist es ihm gelungen, die Investitionen in die Sanierung und den Ausbau der Infrastruktur auf die Rekordsumme von knapp 3,4 Milliarden Euro nach oben zu schrauben. Inzwischen fließt in NRW mehr Geld in die Schiene als in die Straße.

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Eine neue, grüne Leitung des Verkehrsministeriums hätte bei den Summen, die auch in den kommenden Jahren zur Verfügung stehen, durchaus Gestaltungsmöglichkeiten, um die Verkehrswende voranzutreiben. An kleineren Straßenneubauprojekten wie Ortsumgehungen für stark vom Straßenverkehr belastete Gemeinden – auch wenn sie dem Straßenneubau-Verbot der Grünen widersprechen – dürfte Schwarz-Grün nicht scheitern. Auch nicht an mehr Tempo-30-Zonen in den Großstädten und dem Ausbau der Radinfrastruktur.

Die aktuelle Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU) könnte in einem neuen Kabinett das Ministerium für Europaangelegenheiten übernehmen. Für die Grünen ist Verkehr ein Schlüsselressort, weil sie damit, wenn sie auch in Schleswig-Holstein das Amt übernähmen, mit sieben Landesverkehrsministern ein starkes Gegengewicht zu Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bilden könnten, der gemeinhin nicht gerade als glühender Verfechter des ÖPNV gilt, wie sich aktuell bei der Finanzierung des Neun-Euro-Tickets zeigt.

Der Top-Favorit für das Ministeramt in NRW steht schon fest: Es ist der Verkehrsexperte Arndt Klocke, der sein Direktmandat im Wahlkreis Köln III mit 41,6 Prozent der Erststimmen geholt hat. Das ist ein grünes Rekordergebnis.

Was ist mit der Schulpolitik, eine der schlimmsten Stolperfallen jeder Landesregierung?

Das Ressort wird die CDU nach den vielen Problemen um Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) mit dem zum Teil missglückten Management der Corona-Pandemie diesmal wohl nicht den Grünen überlassen. Das könnte bei Teilen ihrer Wählerschaft auf Unverständnis stoßen. Wobei die Frage, ob die Grünen das Ressort überhaupt haben wollen, schon beantwortet ist. Sie wollen es nicht.

Die kommende Leitung des Schulressorts könnte, so heißt es aus Kreisen der CDU, aufgrund der Negativ-Erfahrungen in der Vergangenheit nach anderen Kriterien ausgesucht werden als bisher. Nach dem Motto: Der oder die Neue muss Schule nicht bis ins kleinste Detail verstehen, sondern in der Lage sein, große Organisationen zu leiten. Weil im Schulalltag viele Player mit am Tisch sitzen, die nicht immer die gleichen Interessen verfolgen: Lehrer, Eltern, Verbände, Gewerkschaften, Kommunen, Bezirksregierungen und die Politik.

Wie geht mit Innenminister Reul weiter?

In der Innenpolitik wird es harte Verhandlungen geben. Im Wahlkampf hatten die Grünen den CDU-Innenminister Herbert Reul scharf kritisiert und ihm indirekt unterstellt, mit seinem Kampf gegen die Clan-Kriminalität auch Ausländerhass zu befeuern. Für Reul selbst ist das Tischtuch aber nicht zerschnitten. „Wenn mich Hendrik Wüst fragt, würde ich auch als Innenminister einer schwarz-grünen Landesregierung zur Verfügung stehen. Aber ich dränge mich natürlich nicht auf“, sagte Reul dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Das wird er auch nicht müssen. Wüst weiß um die Popularität seines Innenministers, der mit seiner Law-and-Order-Politik maßgeblich zum deutlichen Erfolg bei der Landtagswahl beigetragen hat und seinen Wahlkreis im Rheinisch-Bergischen Kreis II (Leichlingen) mit absoluter Mehrheit (51,1 Prozent) gewann.

Wo gibt es in der Innenpolitik Schnittmengen, wo sind die Unterschiede?

Reul sieht Schnittmengen in der Innenpolitik, zum Beispiel dann, wenn es um eine effektive Bekämpfung des Kindesmissbrauchs geht. „Ich bin mir sicher, dass auch die Grünen im Kampf gegen die organisierte Kriminalität keine Abstriche machen wollen. Einigkeit besteht in der Frage, dass wir bei den hohe Einstellungszahlen bei der Polizei bleiben wollen.“

Im Wahlkampf hatten sich die Grünen allerdings deutlich von der CDU abgegrenzt. Sie fordern einen Polizeibeauftragten im Parlament, sind gegen die Verwendung von Elektroschockern (Tasern) und wollen die Befugnisse der Polizei einschränken.

„Sollte es zu Koalitionsgesprächen mit den Grünen kommen, wird man dann hart verhandeln“, sagt Reul. „Wir hatten auch mit den Liberalen harte Auseinandersetzungen, zum Beispiel beim Polizeigesetz. Am Ende stand eine gute Lösung für beide Seiten.“

Wie beurteilt die NRW-Wirtschaft die möglichen politischen Konstellationen?

Die Wirtschaft setzt eher auf Schwarz-Grün als auf eine Ampel, was aber meist nur indirekt aus den sehr diplomatischen Statements einen Tag nach der Wahl hervorgeht. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sagt: „Ich gratuliere den Wahlsiegern, CDU und Bündnis90/Die Grünen, und bin mir sicher, dass in möglichen Koalitionsverhandlungen die Themen des regionalen Handwerks verantwortungsvoll berücksichtigt werden. Dem Klimaschutz sieht sich das Handwerk zum Beispiel seit jeher verpflichtet. Handwerk kann aber nur agieren, wenn gesichert ist, dass die Kundschaft auch erreicht werden kann. Im Bereich der Verkehrspolitik ist da noch viel Luft nach oben.“

Auch Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff macht aus seiner prinzipiellen Zuneigung zu einer Koalition mit CDU-Beteiligung kein Hehl. „Trotz programmatischer Unterschiede kann in einer solchen Koalition eine echte Chance liegen. Vielleicht wird gerade ein solches Bündnis bisher nur schwer überbrückbare Spannungsfelder auflösen und bestehende gesellschaftspolitische Blockaden überwinden. Ich verbinde mit einem schwarz-grünen Projekt die Hoffnung, dass es uns in Nordrhein-Westfalen gelingt, die riesigen energie- und klimapolitischen Herausforderungen pragmatisch und umfassend zu bewältigen“, sagte Kirchhoff dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Der FDP bescheinigte er für die vergangenen fünf Jahre „gute Regierungsarbeit“ der ein „sichtbarer wirtschaftspolitischer Aufholprozess“ zu verdanken sei. Kölns IHK-Präsidentin Nicole Grünewald nannte für die Regierungsbildung keine Parteien-Präferenz, forderte von der künftigen Koalition aber inhaltlich „in den kommenden Jahren sichere und bezahlbare Energie, weiteren Bürokratieabbau, eine funktionierende Infrastruktur und Hilfe bei der Bekämpfung des akuten Fachkräftemangels“.

Wie sehen die Gewerkschaften den Wahlausgang? Welches Bündnis bevorzugt der DGB?

„Soziale Gerechtigkeit soll in den Umbrüchen nicht untergehen“, sagte Kölns DGB-Chef Witich Rossmann. Er sei skeptisch, „ob das bei Schwarz-Grün gut aufgehoben ist“. Jedes Bündnis in NRW sei legitim – auch die Ampel mit einer Verlierer-SPD. „Wir messen jede Koalition daran, ob sie auch die sozialen Interessen berücksichtigt“, sagte Rossmann.

Der Vorsitzende der Familienunternehmer NRW, David Zülow, zeigte unverhohlen seine Präferenz für eine Regierung unter schwarzer Führung. „Das Ergebnis ist ein klarer Regierungsbildungsauftrag an Hendrik Wüst. Eine neue CDU-geführte Landesregierung darf dabei auch durch eine veränderte Farbkonstellation nicht von ihrem Wachstumskurs abkommen. Von der nächsten Koalition fordern wir wieder ein klares Bekenntnis zur Schuldenbremse.“

Und befragt zu den Grünen ergänzte Zülow: „Die Grünen müssen sich jetzt entscheiden, ob sie an die katastrophale Schlussphase von Rot-Grün im Jahr 2017 mit Überschuldung und wirtschaftlichem Stillstand anknüpfen wollen, oder ob sie mit den Sanierern von NRW, also der CDU, den Aufbruchkurs fortsetzen.“

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